Vor-Berichterstattung zum Wintertief Daisy erinnert an Katastrophenwinter 1978/79 (+ Twitter-Rieseln)

by Dirk Elsner on 9. Januar 2010

Heute soll das Wintertief Daisy Deutschland lahmlegen. Einige Medien scheinen sich, so mein Eindruck, regelrecht nach einem neuen Katastrophenwinter zu sehnen. So titelt etwa Bild: Die Angst vor Blizzard: Sturmtief „Daisy“ droht Deutschland am Wochenende lahmzulegen. Und laut Handelsblatt rät der Katastrophenschutz zu Hamsterkäufen:

“Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe riet am Freitag bereits den Bürgern, sich mit Lebensmitteln einzudecken. Jede unnötige Autofahrt solle vermieden werden. Auch das Technische Hilfswerk hat sich auf einen Großeinsatz vorbereitet: „Wir nehmen die Unwetterwarnungen ernst und beobachten die Lageentwicklung in Deutschland“, sagte THW-Präsident Albrecht Broemme.”

Da kommen bei älteren Semestern Erinnerungen an den Katastrophenwinter 1978/79 auf.


Schneekatastrophe Winter 1979 (1 von 4) – MyVideo

Damals versank Deutschland tatsächlich in Schneemassen. Daran erinnert etwa der Blog Geschichtspuls:

Nachdem zu Weihnachten vor 30 Jahren noch starkes Tauwetter herrschte, gab es zum Jahreswechsel besonders in Nord- und Mitteldeutschland einen dramatischen Temperatursturz. Während zur Mittagszeit des 31. Dezember 1978 beispielsweise auf dem Fichtelberg noch ein Grad plus gemessen wurde, waren es am Neujahrsmorgen ganze 27 Grad minus. Hinzu kam ein fast 78-stündiger Schneesturm, der vor allem den Norden Deutschlands unter seinen Schneemassen begrub. Erst mehrere Wochen später beruhigte sich die Lage.

In der Bundesrepublik versuchte die Bundeswehr, eingeschneite Autos und LKWs auf der Autobahn mit Panzern zu befreien.

Details zur Wetterlage im Dezember 1978 hier. Besonders schwer betroffen war damals der Norden des Landes sowie die damalige DDR, wie Doku.cc schreibt:  

“Nichts bewegt sich mehr. Rentner, die vom Feiertagskaffeetrinken nach Hause wollen, warten in den Haltestellenhäuschen am Dorfrand vergeblich auf ihre Busse. Die Insel Rügen ist plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten und muss aus der Luft von NVA-Hubschraubern mit Brot und Decken versorgt werden.
Die gravierendste Folge des Temperatursturzes aber ist, dass die Energieversorgung der DDR massiv gefährdet ist. Die Bagger in den Braunkohlen-Tagebauen der DDR drohen, einer nach dem anderen stillzustehen. Das “Neue Deutschland” berichtet in ungewohnter Offenheit darüber, dass die Versorgung mit Fernwärme nicht mehr gewährleistet ist. Menschen erfrieren in ihren Wohnungen.”

Im Westen starben 17 Menschen, über 80 Gemeinden waren zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Der Verkehr stand still. Hart erwischte es Schleswig-Holstein: Die Schäden kostete das Land 100 Millionen Mark.

Eine Doku zum Katastrophenwinter 1978/79 gibt es am 10.1. auf N3 unter dem Titel: “Als der Osten im Schnee versank”. Eine andere Doku ist hier auf myVideo in vier Teilen zusammengetragen.

Viele werden sich vielleicht auch noch an das damalige Gemeinschaftsgefühl und die neu entdeckte Nachbarschaftshilfe erinnern. Wildfremde Menschen halfen sich damals gegenseitig dabei, Autos aus dem Schnee zu befreien oder sich mit Lebensmitteln zu versorgen. So entstand in der damals gerade entstandenen “Knopfdruckgesellschaft” eine neues Gefühl der Wärme.

Ob es diesmal auch dazu kommt, ist wie häufig bei meteorologischen Ereignisse, vorher schwer zu sagen. Das Handelsblatt gab jedenfalls gestern schon Entwarnung:  Die Schnee-Katastrophe bleibt aus.

Über die wirtschaftlichen Folgen ist noch nicht viel zu erfahren. OK, Düngemittel- und Salzhersteller K+S erhöht die Streusalzproduktion um 20%. Ob es weitere wirtschaftliche Konsequenzen gibt, erfahren wir wohl spätestens am Montag. Die Börse jedenfalls hat das Schneetief gestern ignoriert.

Stets spannend bei von Medien gehypten Ereignissen ist es, das Rauschen oder in diesem Fall das Rieseln bei Twitter zu verfolgen. Hier die aktuellen Tweets zu den Stichworten Daisy und Schnee. Die Tweets am Freitag Abends lassen darauf schließen, dass in Deutschland wesentlich entspannte mit dem Schneesturm umgegangen wird, als sich das offensichtlich einige Chefredakteure wünschen. Wie schon beim Umgang mit der Finanzkrise oder der Schweinegrippe zeigen die Deutschen ihre neue Gelassenheit.

 

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Focus: Winterwetter: Regierung bangt um Stromversorgung

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