Deutschlands gespielte Empörung über zu Guttenbergs Fußnotengate (+ ausgewählte Blog- und Pressereaktionen)

by Dirk Elsner on 21. Februar 2011

Nachtrag vom 22./23.2.11

Nach der “Vorwärtsverteidigung” zu Guttenbergs (dazu hier eine Analyse der Rede auf Carta) mit dem Verzicht auf seinen Doktor-Titel gestern Abend, ist eine medienwirksame Debatte entbrannt, ob das ausreichend ist. Die Frage, ob er die Arbeit überhaupt selbst geschrieben hat, ist nicht beantwortet. Kai Biermann zeigt in der ZEIT sein Entsetzen über “Guttenbergs interessantes Verhältnis zur Wahrheit”. Stefan Kuzmany findet auf Spon Die Lüge ist ministrabel geworden”. f.luebberding analysiert auf Weissgarnix sehr lesenswert die jüngsten Ausfälle und Medienreaktionen.

Immerhin ist der FTD die “Kampagne” der BILD pro Guttenberg aufgefallen. Max Steinbeis cartart gegen die erschreckenden Einlassungen der  Pro-Guttenberg-Fraktion, die plötzlich sonst so hoch gehaltene Werte plötzlich relativiert.

Derweil frage ich mich, woher eigentlich die von diversen Medien kolportierten hohen Zustimmungswerte für den Verteidigungsminister kommen. Ich jedenfalls halte die ständig wiederholte pauschale Behauptung, das Volk stehe hinter zu Guttenberg, nicht für haltbar.

Nachtrag vom 24.2.

Fein, Spon beantwortet die Frage zu den vermeintlich hohen Zustimmungswerten in dem Beitrag „Bild.de-Leser revoltieren gegen Guttenberg“,in dem eine Übersicht diverser Umfragen zu finden ist. Eine einheitliche Pro-Guttenberg-Front der deutschen Bevölkerung lässt sich daraus jedenfalls nicht ablesen.

Ursprünglicher Beitrag

Der „Politstar“ Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg hat sich ja durch die Plagiatsaffäre selbst irgendwie zu einer Fußnote herab gesetzt. Dennoch, die Empörungswelle, die durch die Medien geistert, wirkt irgendwie gespielt. Mit einem beispiellosen Tam Tam hat doch erst der deutsche Meinungsmainstream den CSU-Politiker während seiner Amtszeit als Wirtschafts- und Verteidigungsminister hochgepusht. Dabei stand die öffentliche Huldigung von Anfang an im reziproken Verhältnis zu den politischen Leistungen des Ministers.

Meine Sympathien hatte zu Guttenberg bereits im März 2009 aufgebraucht. Ich unterstützte damals ein mittelständisches Maschinenbauunternehmen, das schwer unter der Finanzkrise litt. Dieses und viele andere Mittelständler wunderten sich im Frühjahr 2009 über die Prioritäten des neuen Wirtschaftsministers und der gesamten Bundesregierung. Die galten damals nämlich ausschließlich der Rettung des Opel-Konzerns. Sein Debüt feierte zu Guttenberg im Blick Log mit der Geschichte “zu Guttenberg holt drei Minuspunkte im US-Auswärtsspiel”. Damals ließ er sich kurz nach seinem Amtsantritt als Kümmerer von Opel inszenieren mit geschickt gestellten Fotos in Washington und am Times Square.

Aus seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister ist tatsächlich nichts hängen geblieben außer seinem späteren, von diversen Medien wie eine Legende gepflegtem “Nein” gegen die Inanspruchnahme von Staatshilfen für Opel, die der Konzern ohnehin nie brauchte.

Im Vergleich zu der Opel-Priorität der damaligen Regierung, über die sich damals kaum jemand wunderte, empfinde ich die gespielte Empörung um zu Guttenbergs Dissertation eher als peinlich für unsere öffentliche Wahrnehmung. Der Mann hat mit seiner Dissertation letztlich genau so viel Schaum angerührt, wie in seiner Amtszeit als Minister. Nur wird das offenbar erst jetzt gesehen, wie bei jenem Kaiser, der keine Kleider trug und dies niemandem auffiel.

Anstatt sich jetzt erst über zu Guttenberg aufzuregen, sollte man eher einmal hinterfragen, warum Deutschlands Mainstream-Medien den Freiherrn so weitgehend kritiklos gewähren ließen und sich nun auf jede nicht gesetzte Fußnote stürzen. Das Niveau der öffentlicher Auseinandersetzung im Mainstream ist offenbar so weit gesunken, dass kritische Äußerungen nur möglich sind, wenn mit Googles oder Facebooks Hilfe einen Skandal aufgedeckt wird.

Dieses Land sollte froh sein, dass es Blogs wie Spiegelfechter, Weissgarnix, die NachDenkSeiten und viele andere gibt, die schon vor der aktuellen Affäre auf Distanz zu dem “Meister des Bluffs” (ZEIT Online) gegangen sind und sich nicht haben blenden lassen von öffentlichen Meinungsmache über gestellte Fotos, “Experten” oder Dr.-Titeln. Ob sich Fans der zu Guttenbergs dank der fleißig am Comeback des “Hoffnungsträgers” arbeitenden Springer („Das Volk hält zu Guttenberg„) und Co. weniger Sorgen machen müssen, bleibt abzuwarten. Vielleicht wirft ja die Entmystifizierung zu Guttenbergs endlich ein Schlaglicht darauf, wie die derzeitige Funktionselite versucht, die Öffentlichkeit durch tumbe PR zu beeinflussen anstatt mit durchdachter an Sachlösungen orientierter Politik. Zu befürchten ist allerdings, dass sich zu Guttenberg-Anhänger die Kritik schön reden, wie ein Beitrag bei Spon zeigt.

PS

So sehr das Projekt GuttenPlag Wiki zeigt, was das Web 2.0 leisten kann, wenn es ein aus ihrer Sicht “lohnenswertes” Ziel gefunden hat, so schade ist es, dass zu vielen anderen Missständen solche Community-Aktionen ausbleiben. Es gibt sicher lohnenswertere Aktionen, als die Fußnotenkontrolle einer Doktorarbeit.

Blogreaktionen auf zu Guttenberg

Spiegelfechter: Aristokratische Brauchtumspflege

Weissgarnix: Für wie blöd hält er uns?

Spreeblick: Die Generation Guttenberg

olivermark: The inconvenient truth about Doktorarbeiten

Jens Scholz: Entlarvt die Schaumschläger

Sozialtheoristen: Reputation als riskante Währung

Netzpolitik: Fake-PM weist zu Guttenberg kommerziellen Ghostwriter nach

Oeffinger Freidenker: Guttenberg-Witze

NDS: Wetten, dass Guttenberg seinen Doktortitel behalten darf, schreibt NachDenkSeiten-Leser H.K.

Weissgarnix: Nutzen eines Ghostwriters

Spiegelfechter: Der Lügenbaron

Und die Presse

FAZ: Plagiats-Affäre – Vgl. auch Guttenberg 2009 (21.2.11): Auf siebzig Prozent aller Seiten der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg finden sich Plagiate. Wer hier am Werk war, wusste, was er tat. Seine Verteidiger ficht das nicht an. Was von ihren Argumenten zu halten ist.

Spon: GuttenPlag-Wiki-Zwischenbilanz – Web-Detektive fanden schon mehr als 3000 Plagiats-Zeilen (21.2.11): 21,5 Prozent der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg stammt nicht von ihm – das glauben die Initiatoren der Internetplattform GuttenPlag Wiki. 3521 von 16.325 Zeilen sind demnach Plagiate. Und die Suche ist noch lange nicht zu Ende.

FAZ: Plagiatssucher von „GuttenPlag“ – „Die ganze Dissertation wurde abgeschrieben“: Sie haben durchforstet, geprüft, gegengelesen, nun wollen die Plagiatsucher von „GuttenPlag“ eine Zwischenbilanz der Dissertation von Verteidigungsminister Guttenberg vorlegen. Für sie steht längst fest: Die Arbeit ist vollständig abgeschrieben worden – mit Vorsatz.

Zeit: Meister des Bluffs: Er bereut, ein bisschen: Der Verteidigungsminister verteidigte sich in der Plagiatsaffäre selbst. Außerdem narrte er die Journalisten. Michael Schlieben kommentiert.

FAZ: Karl-Theodor zu Guttenberg – Die Studierstube ist seine Bühne nicht: Karl-Theodor zu Guttenberg: Nicht nur bei seiner Doktorarbeit, die jetzt wegen Plagiatsvorwürfen in heftiger Kritik steht, ist das Prinzip „Mehr Schein als Sein“ erkennbar. Ein Doktor-Typ ist Guttenberg schon von Natur aus nicht.

FTD: Doktor ohne Doktortitel – Das Volk lacht und wacht über Dr. a. D. Guttenberg: Wer den Schaden (verursacht) hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Dass das Sprichwort gerade auch für Popstars gilt, erfährt dieser Tage der Verteidigungsminister. Vor allem im Internet wird der CSU-Mann mit Spott überzogen – und seine Doktorarbeit zerpflückt

FAZ: Verteidigungsminister zu Guttenberg – Im Ausnahmezustand: Guttenbergs politisches Schicksal ist auch zu einer Zukunftsfrage der Union geworden; sie berührt das ganze Land sowie das Stärkeverhältnis aller Bundestagsparteien. Ein blamabler Rücktritt des Verteidigungsministers hätte weitreichende Folgen.

Spon: Doktorarbeit von Guttenberg – Online-Fahnder wollen Plagiatebilanz vorlegen (18.2.11):  Verteidigungsminister Guttenberg beteuert, seine Dissertation sei kein Plagiat. Im Web allerdings tragen die Nutzer immer weitere Verdachtsfälle zusammen. Die Seite GuttenPlag sammelt und ordnet die Meldungen, am Sonntag wollen die Betreiber ein erstes Fazit der Prüfung vorlegen.

Zeit: Plagiatsaffäre Der Herr zu Guttenberg ist so frei: Seine Methode in kritischen Situationen: Mit Vollgas über die rote Ampel. Diesmal tun sich Abgründe auf. Karl-Theodor zu Guttenberg war nicht ehrlich.

Spon: Umstrittene Doktorarbeit – Guttenberg kopierte auch von Bundestagsdienst: Neue Vorwürfe gegen Dr. a.D. Karl-Theodor zu Guttenberg: Nach SPIEGEL-Informationen hat der CSU-Abgeordnete auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages für seine Doktorarbeit in Anspruch genommen – immerhin stammten die Ausarbeitungen von einem zweifach promovierten Beamten.

FAZ: Verteidigungsminister zu Guttenberg – Gezielte Informationspannen: Nicht nur der Doktorand zu Guttenberg pflegte einen freihändigen Umgang mit den Fakten. Auch der Minister nahm es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau. Dies wird nicht nur an Guttenbergs Krisenmanagement in der Kundus-Affäre deutlich.

enigma Februar 22, 2011 um 03:47 Uhr

@ egghat

„Die BuBa verleiht 338 Mrd an andere EU-Notenbanken und niemanden juckt es …“

Seit wann wunderst Du Dich, daß Überschußliquidität per Kredit durch die Welt schießt? So was nennt sich Interbankengeldmarkt, also eigentlich nichts besonderes! Und über die Konditionen weiß man, soweit ich das sehe, nichts! Das kann man kritisieren, jedoch nicht so einfach bewerten. Machst Du doch sonst nicht… ?!

nigecus Februar 21, 2011 um 22:36 Uhr

Nach einem Blick in das plagiatswiki bin ich dann etwas über die dreistigkeit entsetzt. Die diss unserer familienministerin war eine Typ B Diss, was bereits sehr fragwürdig ist. Aber dieses Meisterwerk ist nur Kopienordner.

Feliks_Dzerzhinsky Februar 21, 2011 um 13:07 Uhr

Sie sprechen uns aus dem Herzen, wir fordern schon von Anfang an:
Uneingeschränkte Solidarität mit Dr. zu Guttenberg!

dels Februar 21, 2011 um 19:32 Uhr

@Feliks_Dzerzhinsky
Ich glaube Sie haben den Beitrag nicht richtig gelesen.

egghat Februar 21, 2011 um 12:33 Uhr

Ist immer so.

Die BuBa verleiht 338 Mrd an andere EU-Notenbanken und niemanden juckt es …

egghat Februar 21, 2011 um 08:43 Uhr

Also meine Empörung ist echt 😉

Und dass die Medien mit jedem Politiker, eigentlich jedem Thema das Hype und Dump Spiel treiben, das früher nur bei Stars üblich war, ist irgendwie auch nichts Neues.

Vor zwei Jahren war die FDP die einzig wahre coole Partei, jetzt der letzte Dreck. Vor einem Jahr war’s Lena, heute ist die nur noch Meh (und warte mal ab, wie die Presse aus dem Busch kommt, wenn die 16. wird …). Ist die SPD bei 20% ist Gabriel der Wackel-Siggy, ist sie bei 30% der Retter der Partei.

Man sollte sich (als Leser) von der ganzen Nummer aber nicht ausnehmen. Man ist auch selektiv. Skeptische Artikel zu Guttenbergs Selbstinszenierung waren ausreichend da (nicht nur hier). Auch die Warnung, dass dieses Pendel zurückschlagen kann und wird. Es wollte nur niemand hören ..

dels Februar 21, 2011 um 09:22 Uhr

@egghat
Dir nehme ich die Empörung sogar ab 😉
Mich nervt eigentlich vor allem an dieser Welle, dass über solche Nebensächlichkeiten intensiv diskutiert, die wirklich wichtigen Themen aber links liegen lässt.

Joerg Februar 22, 2011 um 22:04 Uhr

Fand das gestern auch sehr bemerkenswert und eigentlich sehr bedenklich. Da wurden in Lybien die Demonstranten mit Kampfflugzeugen bombardiert, aber Topmeldung war natürlich der zurückgegebene Doktortitel des Freiherrn von Copy & Paste. Das aber gerade die bürgerlichen Bätter wie FAZ, oder sogar die FTD besonders scharf gegen Guttenberg schiessen lässt hoffen das die Bundesregierung es nicht lange durchhält den als Minister zu tragen. Nachdem er die Vorwürfe erst als völlig absurd bezeichnet hat und dann doch einräumen musste das er da mit der Arbeit nur „Blödsinn“ verzapft hat, hätte er wenigsten genügend Schneid haben sollen um direkt zurückzutreten.

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