Zum Rücktritt von zu Guttenberg: Nach Tunesien und Ägypten übte auch in Deutschland das Netz die politische Einflussnahme (+Blogreaktionen)

by Dirk Elsner on 2. März 2011

imageDer Verteidigungsminister Karl Theodor „Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht“ zu Guttenberg ist also gestern zurückgetreten. Häme, wie sie vielfach im Netz zu lesen ist, ist hier unangebracht. Der Schritt konnte nach diesem Druck nicht mehr überraschen. Macht man sich einmal frei von der üblichen Begleitrhetorik aller Parteien, die zu Guttenberg wahlweise als Opfer einer Medienkampagne oder die Kanzlerin blamiert sehen, dann war dieser Schritt unter politökonomischen Aspekten folgerichtig und überfällig (siehe Beitrag vom Montag).

 

Unter der Berichtsflut sind mir drei Berichte aufgefallen, die die Rolle des Netzes betonen. Carta, Handelsblatt und Spiegel Online weisen in zwei Beiträgen darauf hin, dass ohne die Aktivitäten der Netzcommunity es wohl erst gar nicht zu diesem massiven Druck gekommen wäre.

“Ohne die akribische Dokumentation der Plagiate im GuttenPlag Wiki wäre die Debatte versandet,” vermutet Christian Stöcker auf Spiegel Online. Weiter schreibt Stöcker:

“Totale Transparenz, die bequeme Verfügbarkeit aller zentralen Informationen, hat die Debatte um Guttenberg bestimmt, im Konzert mit der blitzschnellen und hocheffizienten Vernetzung jener, die sich all das nicht länger bieten lassen wollten. Weder die bis zum Schluss guten Umfrageergebnisse des Ministers, noch die unerschütterliche Unterstützung durch das Springer-Schlachtschiff konnten Guttenberg am Ende retten. Die alte Regel, dass man in Deutschland als Politiker kaum stürzen kann, wenn man „Bild“ auf seiner Seite hat: Sie gilt nicht mehr. Netz schlägt „Bild“ – jedenfalls dann, wenn es wirklich etwas nachzuweisen gibt.”

Ähnlich sieht dies auch Robin Meyer-Lucht von Carta. Er schreibt:

 

“Der Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist eine Schlappe für die Bild-Zeitung und ein Beleg für den wachsenden Einfluss kollektiver Informationsverarbeitung im Internet.”

Aber das Netz hat den Rücktritt nicht gegen oder allein, sondern erst im Zusammenspiel mit den klassischen Medien bewirkt. Diesmal nahmen die Leitmedien gern die Steilvorlagen aus dem Netz gern auf. Das Handelsblatt kommentiert dies:

“Jenseits allen Spotts hat die Affäre gezeigt, wie stark das Internet im Zusammenspiel mit den klassischen Medien die Politik beeinflussen kann – wenn das Thema die Nutzer nur genügend interessiert.

Jenseits des Kampfes um die Deutungshoheit wird deutlich, wie mächtig das Internet in politischen Auseinandersetzungen sein kann – wenn das Thema die Öffentlichkeit nur genug interessiert. Nachdem in Medienberichten zunächst von einigen wenigen Plagiaten die Rede war, trugen die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Guttenplag-Wikis zahlreiche Stellen zusammen, wo Guttenberg abgekupfert haben könnte.”

Noch nie wurde eine privat initiierte Webseite (GuttenPlag Wiki) in Deutschland so oft verlinkt. Das ist bemerkenswert für die klassischen Medien. Aber nicht zuletzt durch die Unterstützung im Web für die Freiheitsbestrebungen in Ägypten, Tunesien und anderen Ländern, hat man in den Redaktionen gemerkt, dass das Netz nicht mehr aus Freaks und Nerds besteht.  So scheint es fast konsequent, dass Stöcker in seinem Beitrag die Netzgemeinde mit folgendem Satz adelt:

“Deutschlands geistige Elite lebt mit dem Netz. Von dem Bild von den paar Irren da draußen im Reich des Digitalen, die man getrost ignorieren kann, muss sich die deutsche Politik schleunigst verabschieden.”

Was bleibt abschließend zum zurückgetretenen Verteidigungsminister zu schreiben? Zu Guttenberg hat mit seinem Rücktritt gerade noch die Kurve bekommen und damit vielleicht die Basis für ein späteres Comeback gelegt. Trotz der überhöht dargestellten Leistungen des Ex-Ministers zeigte er Ansatzpunkte, um verkrustete Denkstrukturen aufbrechen und den verstaubten Habitus der Berliner Politik aufpolieren zu können. Daher ist vorstellbar, dass wir den gefallenen Star bald wieder sehen werden. Ich rechne damit, dass sich zu Guttenberg über Bayern (Ministerpräsident) und/oder die CSU (Vorsitzender) zurück in das politische Berlin arbeiten wird. Das kann jetzt zwei, drei Jahre dauern, aber wir werden ihn dort in welcher Funktion auch immer wiedersehen. Er wird dann 42 Jahre sein, und das ist für Politiker nun wirklich kein schlechtes Alter.

Nachtrag vom 3.3.

Einen weiteren lesenwerten Beitrag hat heute Wolfgang Michal auf Carta.info geliefert. Er dankt zu Guttenberg, denn

„der Guttenberg-Rücktritt könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein. Denn der Abgang des Ministers (Karl-Theodor in der Rolle Elsas?) führt analoge und digitale Öffentlichkeit erstmals zusammen. Zum ersten Mal bekunden die beiden öffentlich Respekt voreinander und Sympathie füreinander: in langen philosophischen Netzkolumnen und langen nachdenklichen Leitartikeln. Sie sprechen von Zäsur, ja von Neubeginn, und sie meinen es ehrlich. Der Journalismus realisiert, dass die andere Seite (der Vierten Gewalt) keine existentielle Bedrohung darstellt, sondern – im Gegenteil – eine hervorragende Ergänzung ist; und „das Netz“ entdeckt, dass der Journalismus gar nicht so hundsmiserabel agiert wie gedacht.“

Zum Rücktritt außerdem ein Blick in ausgewählte Blogs

NDS: Guttenbergs unaufrichtiger Rücktritt

Spiegelfechter: Anderthalb Wochen danach: der Fall Guttenberg

Oeffinger FreidenkerDie 13 Tage des Guttenberg

WEISSGARNIX: Guttenbergs Iden des März

Finanzzeug: Tut weh aber geht doch: Rücktritt des Verteidigungsministers zu Guttenberg

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