Brüderles protokollarischer Fehltritt zur Kernenergie: Wer nicht inszeniert, der verliert

by Dirk Elsner on 28. März 2011

In dem Film “Der Plan” gibt es nach 11 Minuten eine Szene, in der der überraschend gescheiterte Senatskandidat David Norris am Wahlabend eine Rede vor seinen Anhängern hält. Er startet mit dem üblichen Pathos vom Wiederaufstehen nach der Niederlage. Nach drei, vier Sätzen hält Norris, gespielt von Matt Damon, inne und sagt, es sei Blödsinn, was er gerade gesagte habe. “Dies war nur eine Floskel, die bei unser Fokusgruppe gut funktioniert hat, deswegen haben wir sie beibehalten. Sie ist aber nicht wahr.“ Er deckt dann zum Leidwesen seiner PR-Berater die Wahrheit über die Inszenierung seiner Wahlkampagne auf. Diese Inszenierung reicht über die Aufhellung des Lebenslaufs, über die Auswahl der richtigen Krawattenfarbe, bis hin zur Bestimmung des Abnutzungsgrades der Schuhe, weil damit bestimmte Wirkungen verbunden seien. Sein Anhänger hören zunächst gebannt zu, um am Ende der Rede tosend zu applaudieren.

In der vergangenen  Woche konnten wir wieder einmal erleben, was passiert, wenn im realen Leben eine Inszenierung aufgedeckt wird. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, trat letzte Woche zurück, weil er nicht “aufgepasst” hatte und in einem Protokoll Sätze standen, an deren Wahrheit zwar keine Zweifel bestehen, die aber nicht zur bestehenden Politikinszenierung der Bundesregierung passte. Die Mitschrift stammte aus einem Treffen von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle beim BDI mit und 39 deutschen Managern am 14. März. Es war der Tag, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel das irritierende Atom-Moratorium ankündigte. Brüderle hat laut Protokoll die Ad-hoc-Wende der Kanzlerin mit dem Wahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz begründet. Sowohl Brüderle selbst als auch der BDI wiesen die Angaben in dem Protokoll umgehend als fehlerhaft zurück, obwohl Teilnehmer gegenüber dem Handelsblatt genau diese Aussagen des Wirtschaftsministers bestätigen.

Diese “Affäre” zerrt, weniger Wochen nachdem zu Guttenberg aufgeflogen ist, wieder einmal die permanente Inszenierung von Politik und Wirtschaft in den Fokus. OK, es ist nicht so, dass uns dies überrascht. Ständig und überall wird geschauspielert, wenn eine Kamera dreht, ein Mikrofon offen ist oder ein Journalist mitschreibt. Stets führt die “Funktionselite” ihr Schauspiel mit Hilfe diverser Medien auf, um Unternehmern, den Bürgern, ihren Kunden oder Mitarbeitern ein Bild oder eine Botschaft zu präsentieren, die die Realität nicht hergibt.

Und was machen wir? Kommt einmal eine solche enthüllte Inszenierung ans Licht, dann schlagen wir die Hände zusammen und spielen die Empörten. Klar, bei Extreminszenierern, wie etwa Utz Classen, Thomas Middelhoff oder zu Guttenberg ist dies ja einfach. Wir fordern dann Offenheit, Klarheit, Ehrlichkeit und mehr ein. Aber können wir das wirklich ertragen? Honorieren wir wirklich, wenn sich Politiker, Manager, Unternehmen plötzlich authentisch präsentieren und damit all die Flecken, Falten und Unreinheiten offen gelegt werden, die es in der politischen und wirtschaftlichen Praxis gibt? Wollen wir tatsächlich die Wahrheit hören? Ich glaube das nicht.

Ich erwarte vielmehr, dass es diese Inszenierungen immer weiter geben wird, weil asymmetrische Informationsverteilung es stets erlauben, Geschehnisse in unterschiedlicher Weise darzustellen. Im Zweifel wählt der Präsentator eines Sachverhalts immer die Darstellung, die für ihn persönlich bzw. sein Subsystem, wie Unternehmen, Partei, Verband oder Staat vorteilhafter ist. So funktionierten Politik und Wirtschaft zwar schon immer. Jedoch hat die so nachhaltige Beeinflussung der Meinungsbildung mit Unterstützung von im verborgenen arbeitenden PR-Beratern mittlerweile eine neue Dimension erreicht. Eindrucksvoll hat Albrecht Müller in seinem Buch “Meinungsmache” diese manipulative Veränderung der Realitätswahrnehmung belegt für die jüngere Politikgeschichte der Bundesrepublik.

Authentizität und Ehrlichkeit sind nicht gefragt im “Schattenreich der Wahrheit” (Handelsblatt), wenn dadurch ein mühsam aufgebautes Bild gestört wird. Wir erwarten von Politikern und Managern einen bestimmten Habitus und das Eintreten für “öffentliche Interessen”, wie auch immer diese definiert sind. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, dann hagelt es Kritik und Ablehnung. Die aktuelle Debatte um die Abschaltung von Kernkraftwerken belegt dies sehr eindrucksvoll. Derzeit ist es z.B. im Sinne einer gefühlten Mehrheitsmeinung in Deutschland nicht opportun, sich für den Erhalt der Kernenergie einzusetzen, selbst wenn es gute Gründe dafür gibt.

Rainer Brüderle traute sich immerhin in nicht öffentlichen Kreisen, seine Position offensiv zu vertreten. Dafür sollte man ihm selbst dann Anerkennung zollen, wenn man die Position inhaltlich nicht teil. Erschreckend nur, dass er in der Außendarstellung ein anderes Bild vermitteln möchte und nun jemand seinen Job verloren hat, weil er, Schnappauf, nicht mitgeholfen hat, die tatsächliche Position des Wirtschaftsminister zu verschleiern. Das wiederum wirft ein armseliges und erschütterndes Bild auf Rainer Brüderle und seine Partei. Noch schlimmer, er hat seine “Wahrheit” hinterher sogar vor dem deutschen Parlament zu einer Lüge erklärt.

Wundert sich da noch jemand über die um sich greifende Politikverdrossenheit und Ablehnung gegenüber den Entscheidern in Politik und Wirtschaft, die durch ihre Kungeleien die wirtschaftliche und politische Intransparenz weiter fördern? Wer, wie viele Top-Entscheider öffentliche Auftritte durch PR-Profis inszenieren lässt, darf sich nicht wundern, dass die meisten uns angebotenen perfekten Bilder und Botschaften blutleer, steril und gephotoshopt wirken. Wir zweifeln daher schon intuitiv ihre Authentizität an. Ob wir damit aber schon bereit für die “Wahrheit” sind, bleibt zweifelhaft.

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