Wow! Die ZEIT zur Behandlung der Finanzkrise in den Medien: “Journalisten suchen nicht nach der Wahrheit, sondern nach Geschichten”

by Dirk Elsner on 28. April 2011

Der Beitrag in der Zeit ist zwar schon zwei Wochen alt, aber ich habe ihn erst in dieser Woche über eine Facebook-Empfehlung entdeckt. Heike Faller wirft einen bemerkenswerten Blick auf den Umgang der Medien mit der Finanzkrise am Beispiel von Produkten, über die bis zum Ausbruch der Krise kaum einer schreiben wollte und die eher als “Quotenkiller” galten: Verbriefte Forderungspapiere, in denen die Finanzindustrie kariöse Immobilienkredite verpackte.

Unter dem Titel “Finanzkrise Musste das sein?” offenbart sie außerdem einen Einblick in den Medienbetrieb, der manch einem Medienvertreter nicht schmecken dürfte, jedoch bei uns Konsumenten seit Jahren als Vorurteil verankert ist:

“Journalisten suchen übrigens nicht nach der Wahrheit, sondern nach Geschichten. Eine Geschichte ist eine Geschichte, wenn sie der Wahrheit von gestern widerspricht oder sie zumindest auf eine interessante Weise fortspinnt. “

Faller berichtet aus Gesprächen mit diversen Medien-Vertretern über die Probleme, die komplexen Produkte und geschäftlichen Verflechtungen der Finanzbranche überhaupt zu verstehen.

“Die größeren Zusammenhänge erschließen sich, auf den 200 Zeilen, die Finanzgeschichten im Allgemeinen eingeräumt werden, nicht.”

Am Ende zieht sie ohne Vorwurf ein Fazit, das meine Auffassung besser trifft, als ich sie selbst hätte je aufschreiben können:

“Dass eine Gruppe von Reportern auf ein komplexes Thema angesetzt wird, kommt seit dem 11. September häufiger vor – aber nur, wenn die Katastrophe passiert ist. Ein einzelner, der sich, sagen wir 2005, wochenlang hätte freinehmen wollen, um sich in die Welt der Derivate zu begeben, hätte sich seiner Sache schon sehr sicher sein müssen. Denn wäre er mit leeren Händen wiedergekommen oder hätte um fünf weitere Wochen Recherchezeit gebeten (weil das alles so kompliziert ist), dann hätte er ein Problem gehabt.

Mit dem Journalismus ist es wie mit dem Investieren. Es ist schwer, gegen den Mainstream zu arbeiten. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Es hat nicht einmal etwas mit Wirtschaftsjournalismus zu tun. Es hat damit zu tun, dass wir alle, auch unsere Leser, Nachrichtenzyklen unterliegen, die dafür sorgen, dass bestimmte Ideen jahrelang fast unpublizierbar sind – zu merkwürdig, zu schwer verdaulich, irgendwie aus der Zeit gefallen.”

Es ist nicht überraschend, dass der Beitrag keine (im Netz auffindbare) Reflektion der Medien selbst ausgelöst hat. Im Zuge der Finanzkrise habe ich im Blick Log Beiträge gesammelt (hier zur Übersicht), die sich kritisch mit dem eigenen Umgang der Medien befassen. Die Sammlung ist sehr übersichtlich. Selbst die Studie der Otto Brenner-Stiftung “Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik” löste keine öffentlich wahrnehmbare Debatte aus, zumindest keine, die bei mir als Medienkonsument angekommen ist. Man möchte sich wohl nicht aktiv mit einem Defekt am Mythos der 4. Gewalt und “Hüter der Wahrheit” auseinandersetzen.

Leider hält der Trend in der Wirtschaft, Themen oberflächlich anzugehen oder im Zweifel lieber direkt die Presseerklärung eines Konzern zu zitieren, weiter an. Dennoch, es ist keinesfalls so, dass es keine gut recherchierten und tiefen Lesestücke aus der Finanz- und Wirtschaftswelt gibt. In meinen Linksammlungen finde ich mittlerweile hunderte lesenswerte Beiträge, aus denen Leser viel über Wirtschaft, Finanzen, Management und mehr erfahren können, wenn sie denn nur wollen und sich die Zeit nehmen. 

Es gibt ausgezeichnete Bücher von Journalisten über Hintergründe, wie etwa Norbert Härings Werk “Macht und Markt”. Er baut in dem Buch eine ausgezeichnete Brücke zwischen ökonomischen Forschungsergebnissen und dem Handeln von Wirtschaftsakteuren und Politikern in der Praxis. Bei der Lektüre des Buches wünschte ich mir, dass solche Erkenntnisse häufiger einfließen in die tagesaktuelle Berichterstattung.

Breitere Debatten und Folgeartikel werden dadurch (leider) nur sehr selten ausgelöst. Das mag an der Komplexität der Themen legen, der trockenen Sprache und sicher auch an der Bequemlichkeit vieler Leser liegen.

Medien wissen sehr genau, dass Beiträge über das größte Nichtereignis des Jahres, gemeint ist natürlich die britische Prinzenhochzeit, viel mehr Aufmerksamkeit generieren, als Texte über die Finanzmarktregulierung, die Konstruktionsfehler des europäischen Schuldenkrisenfonds oder viele unternehmerische und finanzwirtschaftliche Petitessen, die uns täglich als Erfolgsstorys verkauft werden. Medien sind halt Wirtschaftsbetriebe, die ökonomischen Gesetzen folgen müssen. Kritische Tiefe in knochentrockenen Themen ist da nicht gefragt. Dabei geht es auch anders. Wie, das werde ich in einem Folgebeitrag am Beispiel einiger US-Wirtschaftsblogs darstellen.

nigecus April 28, 2011 um 21:12 Uhr

moin moin,

vielleicht ist es nur „menschlich“, dass sich der Großteil der Adressaten (egal ob „alle“ oder nur bestimmte Teilgruppen) für ein Thema (allgemein oder spezifisch) interessieren wenn „das Flugzeug abgestürzt“, „das Kind in den Brunnen gefallen“, … ist. Die Medienbranche (oder sonstige Anbieter von Informationen) funktioniert auch vor allem nach Bedarf, also wenn der Bedarf nach Informationen (oder auch „Geschichten“) bereits vorhanden ist. Ist halt‘ so eine Market-Pull Denke.

Es ist ja auch viel einfacher nachfrage-/bedarfsorientiert zu denken. Zum Beispiel diese bescheuerte Werbung vom Land BW die irgendwie so lautete „kommen Sie mit einem Problem und wir lösen es“ (oder so ähnlich hieß es damals). Das schwierige am Denken ist erstmal ein Problem/Thema zu finden. Die Problemanalyse ist dagegen schon etwas leichter (was nicht heißt es sei einfach). Dazu passt eigentlich die Aussage ganz gut: „… Ein einzelner, der sich, sagen wir 2005, wochenlang hätte freinehmen wollen, um sich in die Welt der Derivate zu begeben…“. Das Kalkül eines Chefredakteurs mag dann vielleicht so aussehen:
– „Informationsbeschaffungskosten“: So ein Journalist hätte ja erst mühsam ein Problem/Thema finden müssen, während später (=nach dem „Flugzeugabsturz“) einem das Thema quasi „umsonst“ vor die Füße geworfen wird.
– „Umsatzpotential“: Das „Quasi-Umsonst“-Thema/Problem kommt frei Haus mit riesengroßen „Attention“ daher, während für mühsam selbst gefundene Problem/Thema die potentielle „Kundschaft“ erstmal sensibilisiert werden müsste.
==> „Rendite“: (a) Supersinnvolles Problemsuchen hat niedrige Rendite und super hohes Sunk Cost Risiko. (b) Funktionlose Klugmeierei im Nachhinein hat hohe Rendite und garkein Verlustrisiko.
==> Fazit: Wähle (b)

Am Ende liegt es ja an uns, den (der Masse der) Medienkonsumenten, was wir vor die Nase zum Lesen gesetzt bekommen.

Marsman April 28, 2011 um 01:29 Uhr

Zur allf. Unterstreichung des Artikels:
(Ich habe meinen HW in Irland.)
Es gibt, wenn es denn sein muss, auch leicht verständliche Geschichten, Berichte.
Eben gab es in einer irischen Internetzeitung wieder
am einen Beitrag für Emigranten. In Kanada würden
irische Immigranten mit offenen Armen empfangen
werden. Es wurden u.a. unlängst manche Bestimmungen bei Arbeitsvisas in Kanada verbessert.
Der Grund warum sich Kanada sowas leisten kann
hat genauer besehen nichts mit Altruismus zu tun.
Was es in Kanada nicht gibt ist eine Bankenmisere
mit allem drum und dran, logischerweise keine
Rezession und dgl. mehr.
Das hat u.a. sehr viel mit der Politik der
kanadischen Zentralbank zu tun. Die hatte ihre
ganz eigene Linie, Politik, die man als alt-
modisch-konservativ bezeichnen kann und die
Ursache für Verhinderung einer Misere war.
Hier ein Beitrag im Walrus in dem das beschrieben
wurde:
http://www.walrusmagazine.com/articles/2009.07-mark-carney-merchant-banker-canada-john-lorinc-graham-roumieu/

Hier ein amerikanischer Artikel zum selben Thema:
Few forclosures, no bank failures: Canada offers
lesson
http://www.mcclatchydc.com/2011/01/11/106599/few-foreclosures-no-bank-failures.html

Und hier ein Blog auf die Zahlen von Bankenpleiten
USA und Kanada verglichen werden:
http://mjperry.blogspot.com/2010/02/bank-failures-12000-in-us-vs-2-in.html

Dieser Blogbeitrag hat Witz. U.a. wohl weil
Kanada in den Finanzseiten – u. Nachrichten
praktisch nie vorkommt, dafür aber jeder noch so
arge Unsinn aus den USA. Kanada ist in diesem
Sinn wohl ein dünn besiedelter Waldstreifen
entlang der amerikanischen Grenze.

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