Europas Staatsanleihen: Ursache und Wirkung einer Finanzkatastrophe

by Constantyn on 27. November 2011

Erst einmal:  gute Besserung Dirk!  Ich hoffe, Du hast Dir nicht die Finger wund geschrieben!

Wenn es die europäischen Staaten darauf angelegt hätten, die Finanzmärkte zum Kollaps zu bringen, sie hätten es nicht besser machen können.  Die Schlagzeilen der letzten Woche lassen nicht nur Investoren, sondern auch wohl jeden Durchschnittsmenschen   verzweifelt mit dem Kopfschütteln.  Deutschland gegen Großbritannien und Schweden in Sachen Finanztransaktionssteuer,  Frankreich gegen Deutschland in Sachen EFSF Bankstatus,  EZB gegen Italien zur EFSF Unterstützung Italiens, Luxemburg gegen Deutschland in Sachen deutsche Verschuldung und Frankreich gegen Deutschland die Zweite in Sachen EZB Intervention sind nur einige wenige der erfreulichen und vertrauenserweckenden Schlagzeilen, flankiert von einem heillosen Durcheinander in der Debatte zum Trennbankensystem und der „Hebelung“ des Rettungsfonds. Jetzt, am Wochenende, berichtet die „Welt“ von einem neuen Streit zwischen Paris und Berlin:  Sarkozy, aber auch andere Länder, möchten im  ESM, Nachfolger des EFSF, die Beteiligung privater Gläubiger aus den Vereinbarungen wieder heraus verhandeln.  Finnland indes schlägt sich auf die Seite Deutschlands in Sachen Eurobonds.  Langsam blicke ich nicht mehr durch …

Mal ehrlich:  Wenn SIE ein institutioneller Investor wären,  würden Sie dann noch in europäische Staatsanleihen investieren? Hätten SIE noch das Vertrauen, wenn Sie für die Anlage von Versicherungsgelder Zehntausender Kunden oder Fondsanleger verantwortlich wären?  Die „Finanzmärkte“ oder besser gesagt, die professionellen Akteure an den Märkten haben diese Frage klar beantwortet:  kein Vertrauen –  verkaufen!  Was wir erleben ist ein schleichender Crash, mit aller Panik und Hysterie, des gesamten Marktes für Staatsfinanzierungen.  Die Zinsaufschläge für Staatsanleihen aller europäischer Länder sind im Vergleich zu Bundesanleihen dramatisch gestiegen.  Frankreich muss knapp 2 Prozent mehr zahlen als Deutschland, Spanien 4,5 Prozent, Italien deutlich über 5 Prozent. Selbst die ESFS müsste für Finanzierungen schon knapp 2 Prozent mehr zahlen und reflektiert damit die als schwach angesehene Durchschnittsbonität der europäischen Garantiegeber.  Und Deutschland, bis vor kurzen Hort der Stabilität, kriegt ihre Staatsanleihen auch nicht mehr verkauft.

Diese Aufschläge sind, simpel und einfach,  Ausdruck des Misstrauens der internationalen Anleger.  Es sind diese Anleger, neben Banken auch Versicherungen, Fonds. Pensionskassen und asiatische Staatsfonds, die mit diesen Renditen auch größere europäischen Volkswirtschaften mit Abschlägen handeln, die an subprime Papiere erinnern.  Marktschätzungen zufolge wird normalerweise im Durchschnitt zwischen 50 und 70% der emittierten europäischen Staatsanleihen von solchen institutionellen Anlegern gehalten, der Rest von Privatanlegern.  Mittlerweile dürfte sich der Anteil institutioneller Anleger schon deutlich reduziert haben.  Dafür ist eine neue Institution auf dem Markt, die diese Lücke füllt: die EZB.  Forderungen mittlerweile vieler Staaten und Wirtschaftsexperten rufen nach einer unbegrenzten Finanzierung der Staatsanleihen durch die EZB.   Aber: dieses wäre die Ansage des allerletzten Trumpfes, den Europa noch spielen könnte.  Mit Sicherheit würde jede Ankündigung der EZB, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, zu  wesentlich stärkeren Portfolioverkäufen führen.

Um eine dauerhafte Stabilität wieder zu gewinnen, müssen die europäischen Staaten das Vertrauen der Finanzmärkte wiedergewinnen.  Das geht nur über einen klaren Schulterschluss der Regierungen und der EU-Kommission, eine gemeinsame überzeugende Botschaft ohne endlose und  quälend langsame Findungsprozesse und Minimalkompromisse.  Es ist das klare Bekenntnis, dass alle EU-Staaten Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt haben, und eine bindende Verpflichtung zu einem harte gemeinsamen Konsolidierungsrahmen.  Solange nur um populistische Randthemen mit  zweifelhafter Auswirkung auf die Stabilisierung der Märkte gestritten wird, wie etwa die Finanztransaktionssteuer, oder ein Maulkorb für Rating Agenturen, wird man sein Wahlklientel vielleicht beeindrucken, aber nicht etwa eine PIMCO oder die GIC, hier stellvertretend für internationalen Anleger genannt. Europa muss das Vertrauen ihrer großen Finanzierer wiedergewinnen und nicht versuchen, ihnen Fesseln anzulegen.

Dieses Bekenntnis der europäischen Staaten zu einem Ende der ungebremsten Schuldenspirale muss am Anfang stehen. Ohne wenn und aber und ohne politische Sandkastenquerelen. Die Staatsschulden sind der Kern des Problems, dort muss sichtbar angesetzt werden.

Nur unter dieser Voraussetzung macht es überhaupt Sinn, über Maßnahmen wie Eurobonds oder den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen durch die EZB nachzudenken.  Eurobonds werden dabei allenfalls Symptome lindern, denn sie sozialisieren lediglich die Finanzierungskosten, zu Lasten mindestens Deutschlands und zu Gunsten der Mittelmeeranrainer.  Ein Pflaster also, sinnvoll aber nur, wenn vorher die Blutungen gestoppt wurden.

Das Thema EZB indessen ist eine Grundsatzfrage.  Die EZB ist das allerletzte Aufgebot, die uneingeschränkte Gelddruckmaschine. Nur sie kann den Märkten etwas entgegensetzen.  Der Preis für ihren Einsatz wäre die Aufgabe des Stabilitätsprinzips.  Die Stabilität der Bundesbank zu Zeiten der DM war unzweifelhaft, sie und die Unabhängigkeit der Bundesbank wurden nie aufgegeben.  Wenn die EZB dagegen ihren Stabilitätskurs aufgibt, wird sie in dieser Hinsicht auf Jahrzehnte hinaus das Vertrauen verspielen. Gerade deshalb können wir die EZB nicht leichtfertig zum einzigen Krisenretter berufen. Es mag sein, dass dieser Schritt notwendig wird, um Europa und den Euro zu retten.  Der unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen durch die EZB schafft aber eine ungeahnte Abhängigkeit, denn die EZB würde mindestens wohl für ein Drittel oder mehr der Staatsschulden gerade stehen müssen, also nicht nur hunderte, sondern wahrscheinlich tausende von Milliarden. Im Übrigen ändert ein solcher Kurs nichts daran, dass auch eine EZB die Staatsanleihen nur solchen Bedingungen übernehmen kann, die die Bonität des jeweiligen Landes widerspiegeln.  Sie würde also italienische Anleihen, solange keine Besserung des Staatshaushalts sichtbar wird, weiterhin mit erheblichen Aufschlägen über Bundesanleihen übernehmen.  Die EZB kann nicht den Markt „hochkaufen“, auch wenn sich so mancher Staat das wünscht. Sie kann nur die Finanzierungslücken stopfen.  Und vor allem:  die EZB kann die maroden Staatshaushalte nicht sanieren.  Das können nur die Staaten selbst.

 

Martin Burch Dezember 21, 2011 um 18:51 Uhr

Was die EZB falsch und richtig macht kommt hier

– krugman.blogs.nytimes.com
http://acemaxx-analytics-dispinar.blogspot.com (auf Deutsch)

ziemlich gut zum Ausdruck…

_Flin_ November 28, 2011 um 11:04 Uhr

Es ist mir unbegreiflich, wie Sie aus einer anfangs stimmigen Analyse (die institutionellen Anleger verkaufen ihre Anleihen) doch nur wieder zum Schluß kommen, die europäischen Staaten müssten mehr sparen.

Dieser Schluß, sooft er auch wiederholt wird, ist schlicht nicht wahr.
Wenn die Staatsfinanzen, die Defizite und die Schuldenquoten das Problem wären, wieso sind dann US-Zinsen so niedrig? Wieso sind japanische Zinsen so niedrig?
Wieso gibt es bei Spanien, Slowenien oder Österreich deutliche Zinsaufschläge gegenüber Deutschland, obwohl die Staatsfinanzen dieser Länder deutlich solider sind?

Was es im Moment an den Märkten gibt, ist doch ein Euro-Malus. Weil die EZB mit ihrer „Geldstabilität, koste es, was es wolle“-Politik und ihrer Wahnsinns-Zinserhöhung im April gezeigt hat, dass sie im Zweifelsfall immer gegen Wachstum entscheiden wird, egal, wie prekär die Lage in den kleineren Staaten Eurolands ist.

Insofern teile ich Ihre Schlüsse in keinster Weise.

Wirtschaftsphilosoph November 28, 2011 um 10:28 Uhr

„Mit Sicherheit würde jede Ankündigung der EZB, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, zu wesentlich stärkeren Portfolioverkäufen führen.“

Das sehe ich nicht so, schon gar nicht „mit Sicherheit“. Wenn die EZB unbegrenzt Staatsanleihen kauft, was nur mit Deutschlands Einverständnis geht, dann ist das Thema Staatsinsolvenzen vom Tisch und der Kauf von Staatsanleihen attraktiver. Die hohen Spreads gehen zurück, nur der Euro insgesamt könnte ins Rutschen kommen.

„Die Staatsschulden sind der Kern des Problems, dort muss sichtbar angesetzt werden.“

Das kann man so sehen, muss man aber auch nicht. Italien hatte doch z. B. schon lange diese Schulden, Griechenland konnte sich erst durch den Euro so verschulden und Irland wie Spanien hatten vor dem Platzen ihrer jeweiligen Immobilienblase weniger Staatsschulden als Deutschland. Wenn nun gar nicht die Schulden das Hauptproblem sind, sonder der Euro selbst, ergeben sich andere Schlüsse.

„Im Übrigen ändert ein solcher Kurs nichts daran, dass auch eine EZB die Staatsanleihen nur solchen Bedingungen übernehmen kann, die die Bonität des jeweiligen Landes widerspiegeln.“

Das verstehe ich gar nicht. Wenn die EZB unbegrenzt hilft, ist deswegen das Insolvenzrisiko weg und die Bonität erstklassig.

Sascha November 28, 2011 um 11:17 Uhr

Danke für die Antworten von Wirtschaftsphilosoph und Flin!

Ich kann mich dem nur anschließen – die Argumentationen über das Schreckgespenst „Stabilität“ von Preisen und Euro sind so langsam wirklich lächerlich.

Stabilität um den Preis von Staatsbankrotten, die eigentlich kaum noch zu vermeiden sind, wenn die EZB nicht endlich eingreift. Ich habe den Eindruck, dass die Problematik eines Bankrotts eines europaischen Staates noch nicht wirklich verstanden ist. Letztlich bluten dann doch die Einwohner der Staaten – insofern geht es doch um den Wohlstand europäischer Bürger!

Stattdessen scheint immer die Neiddebatte zu dominieren, die blöden Banken haben so viel Geld verdient, nun müssen sie auch mal mit Verlusten leben. Diese Rachegelüste scheinen Vielen den Verstand zu vernebeln und sie erkennen die wahre Dramatik der Lage nicht.

Gunther November 29, 2011 um 08:28 Uhr

@SASCHA
Zitat: „Stabilität um den Preis von Staatsbankrotten, die eigentlich kaum noch zu vermeiden sind, wenn die EZB nicht endlich eingreift. Ich habe den Eindruck, dass die Problematik eines Bankrotts eines europaischen Staates noch nicht wirklich verstanden ist. Letztlich bluten dann doch die Einwohner der Staaten – insofern geht es doch um den Wohlstand europäischer Bürger! “

Wenn die EZB „eingreift“ passiert genau das Selbe: Die Geldmenge wird erhöht, und kann nicht abgeschöpft werden (Zinsen erhöhen in einer Rezession?), das führt zu Inflation. Inflation führt wiederrum zu höheren Anleihezinsen, weil sich Investoren aus anderen Währungsräumen das Risiko bezahlen lassen.

Du kannst es drehen und wenden wie Du willst: Die europäischen Bürger werden in der einen oder anderen Form bezahlen, durch Inflation oder durch Staatsbankrott mit einhergehender „Verkleinerung“ der Haushalte.

Im übrigen denke ich schon, das die Autoren hier das Problem verstanden haben, nur hast _Du_ das ganze noch nicht zu Ende gedacht!

FDominicus November 28, 2011 um 09:02 Uhr

Meine Antwort war vor drei Jahren schon diesselbe wie heute. Keine Anleihen von Staaten. Es war gar nicht schwer.

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