So war 2011: Nichts aus 2008 gelernt

by Dirk Elsner on 30. Dezember 2011

Zur Folklore am Ende eines Jahres gehört es ja, zurück zu schauen. Wie so oft, ist dieses Jahr ganz anders verlaufen, als es die professionellen Vorhersager erwartet haben.

Januar

Bereits im Januar fragte ich mich, ob die Risiken eines Rating-Downgrades der USA übertrieben sind. Damals gab es schon genügend Warnhinweise, dass sich das US-Rating verschlechtern könnte. Außerdem bewegte mich bereits der Schuldenschnitt für Griechenland in “Euroschuldenkrise: Die doppelte Fehlsteuerung bei einem andauernden Verzicht auf den Haircut”. Schon längst vergessen ist der Dioxinskandl mit den typischen Empörungsreflexen. Steve Jobs war erstmals Thema, denn die Bekanntgabe seiner Krankheit vernichtet 12 Milliarden an Börsenwert von Apple. Ich meinte, der iGod darf nicht alternativlos sein. Im Januar begann außerdem die Debatte über die Bewertungen der Social Media-Giganten. Goldman Sachs baut mit Facebook an der nächsten Blase und kam auf eine Bewertung von 50 Mrd. US$, die ich nicht gerechtfertigt fand. In der Finanzwelt machte man sich Gedanken, ob Wikileaks tatsächlich über Informationen eines Bankhauses verfügte, mit der eine Bank in die Tiefe gerissen werden kann. Bisher erwies sich diese Ankündigung als Papiertiger. Kritik gab es wieder am Weltwirtschaftsforum: “Ägypten brennt, Davos pennt: Das Weltwirtschaftsforum findet die neue Normalität nicht

Februar

Im Februar kam ich hier an der Causa zu Guttenberg nicht vorbei. Viel wichtiger war aber der arabische Frühling, mit dem ich mich zwar im Detail nicht befasst habe. Aber selbst die Vorhersagemärkte beschäftigten sich mit den Abgängen arabischer Herrscher. In Deutschland wurde im Frühjahr noch die Konjunkturparty gefeiert. Ich schrieb: “Im (trügerischen?) Bewusstsein, die Wirtschaftskrise in Deutschland besser überwunden zu haben (Ökonomen feiern bereits den Dauerboom), als jedes andere europäische Land, fühlen wir uns selbstbewusst und bemüßigt mit breiter Brust den kleinen Partnern in der EU kluge Tipps zu geben.” Im Februar rollte der 2010er Hype um die Seltenen Erden so langsam aus. Außerdem eröffnete Motorola mit dem Xoom den Kampf gegen Apples iPad.

März

In diesem Monat wurde einmal mehr das Armageddon für Deutschland ausgerufen. Dabei ging es gar nicht um Deutschland, sondern um den Gau in im Kernkraftwerk Fukushima. Es gab eine Kernschmelze der Information und ich fragte mich: Wann wird Deutschland evakuiert? Weismachen wollte man der Weltbevölkerung, dass man mit so einem Ereignis nicht hätte rechnen können. Das war Blödsinn und animierte mich zu “Warum das Unglück in Japan definitiv kein “Schwarzer Schwan” war”. Zu Guttenberg trat im März zurück und ich wunderte mich über die heftige Nachlese, die eine Selbstkritik der Medien gegenüber des Hochjubelns des Barons vermissen lies.

April

Ab April kochte die europäische Schuldenkrise wieder hoch. Ich wollte damals wissen: Wie hoch sind die wirklichen Kosten für die Euro-Rettungsschirme? In einigen Beiträgen spielte ich einen Haircut für griechische Anleihen durch: Traumrenditen bei Verzicht auf Schuldenschnitt oder soll man trotz der Haircut-Gefahr griechische Anleihen kaufen? Politik und Medien wollten den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie und ich hielt mich am Thema der Versicherung der “wahren Kosten eines Kernkraftwerks-GAUs fest.

Mai

Die “Kosten eines Gaus” provozierte mich zu der These “Natürlich ist das AKW-Risiko versicherbar: Wie man einfach die Versicherungskosten für Kernenergie berechnen könnte”. In vielen Beiträgen des abgelaufenen Jahres beschäftigte ich mich mit neuen Dienstleistungen im Finanzsektor und stellte einmal mehr im Mai fest, dass Banken erstaunt zuschauen, wie Google mit der Wallet den Kampf um elektronische Geldbörse beginnt. Im Mai gab es dann einen weiteren Untergang des Abendlandes, durch die Verbreitung von EHEC: EHEC-Panik in Deutschland oder nur medialer Durchfall? Die Wirtschaft boomte im Mai weiter, finanziert wurde das Wachstum interessanterweise ohne einen Kreditboom. Klar, die Schuldenkrise spielte in jedem Monat eine Rolle. Auch im Mai wollte die offizielle europäische Politik nicht von Umschuldung sprechen, erfand aber einen neuen Begriff: Schuldenkrise und Griechenland: Raider heißt schon lange Twix und Umschuldung jetzt “Neuprofilierung”. Das Thema Finanz- und Bankenkrise wurde im Frühjahr noch nicht so groß gespielt, wie im späteren Verlauf des Jahres. Es war aber bei der damaligen Selbstgefälligkeit Zeit sich zu fragen: Haben wir in Deutschland die Krise verschwendet?

Juni

Im Juni gab es einen breiten Themenmix. Griechenland machte noch immer keinen Schritt aus der Krise. Inzwischen wurde in der Öffentlichkeit mit einem Lehman 2 gedroht. Und der Finanzbranche gelang es das Haftungsprinzip der Gläubiger in der öffentlichen Debatte umzudrehen. Ich stellte daher klar: “Wenn Du ein Gläubiger bist, dann bist Du ein Gläubiger. Ausnahme, Du bist eine Bank”. Mich nervte außerdem das Genöle der Banken über strenge Regulierung, vor allem wegen der Ödnis auf dem Bankentag, auf dem Kreditinstitute wieder nicht über Innovationen redeten. So langsam verdüsterte sich die medial Stimmungslage, dennoch blieb der Wirtschaftsuntergang aus und ich schrieb einmal mehr über die Fehlprognosen der dunklen Wirtschafts-Gurus. Als Medienkonsument nervte mich die Medienpornografie über die inszenierte Wirklichkeiten in Wirtschaft und Politik.  Dagegen freute ich mich, dass Handelsblatt und Süddeutsche die Wirtschaftsblogs entdeckt haben.

Juli

Im Juli erreichte die Schuldenkrise mal wieder die USA, wo um die Erhöhung der Schuldengrenze gerungen wurde. Das inspirierte mich zu Poker um US-Schuldengrenze ist spieltheoretisch ein Chickengame und wird in letzter Sekunde entschieden. In Europa fiel die Sommerpause für die Finanzminister und Banker aus: Komplexer Gipfel-Beschluss:”Schuldenschnitt” Griechenlands lässt private Gläubiger weiter im Windschatten der Steuerzahler fahren. Ganz großes Kino zeigte übrigens Josef Ackermann für den PR Coup einer “freiwilligen” Beteiligung an der Finanzierung Griechenlands. In der öffentlichen Debatte spielte damals noch keine Rolle, wie die Politik selbst die Fehlsteuerung der Kreditvergabe an Staaten beeinflusst hat. Mir stieß dafür die Kakophonie der Wirtschaftselite mit einer unglaublichen Vorschlagsflut zur Lösung der griechischen Schuldenkrise unangenehm auf. Es war außerdem mal wieder Stresstest-Time in Europa und es wurde gerätselt über die Rolle der “Märkte”. Ich fand, dass Alex in der FTD die Finanzmärkte besser erklärt als der Stresstest. Der Stresstest selbst war für mich wieder einmal eine Beruhigungspille und PR-Maßnahme für den Finanzsektor. In den Fokus gerieten erneut die Ratingagenturen, wo mich ständig wiederholende Kritik an ihnen ermüdete.

August

Eigentlich wollte ich den August im Blog etwas ruhiger angehen. Aber die Finanzmärkte spielten den Sommercrash. Erstmals verloren die USA ihr Top-Rating und auch die deutsche Kreditwürdigkeit geriet zunehmend unter Druck. Die Flut der Vorschläge zur Lösung der Griechenlandkrise schwoll weiter an. Die Finanzmärkte setzten ihre Psychose fort und die globale Wirtschaftselite ritt sich immer tiefer in ihr Gefangenendilemma. Die Eurobonds kamen auf die Agenda und ich stellte dar, warum ich dagegen bin. Und außerdem war es Zeit über das Ende vom Mythos der risikofreien Geld- und Kapitalanlage zu schreiben. Steve Jobs sorgte ein vorletztes Mal durch seinen Rücktritt als Chef von Apple für Schlagzeilen, die ich unter “No one more thing” kommentierte.

September

Mit dem Herbst verfinsterte sich der Himmel weiter über dem Bankenhorizont. Nach dem Besuch eines Kongresses in Berlin war mir klar, dass die Banken immer größere Probleme mit der eigenen Refinanzierung bekommen werden. Die Folgen einer griechischen Staatspleite für das Finanzsystem wurden rauf und runter gespielt. Das sollte vor allem Druck auf Deutschland ausüben, weil der Bundestag über den europäischen Schuldenkrisenfonds abstimmte. In London kam derweil heraus, dass ein Händler der UBS ein paar Milliarden versenkt hat. Banken finden nicht zum Aufbruch, sondern befanden sich im Abbruch. Mich beeindruckte ein Titel im Handelsblatt: Banken “vom Dienstleister zum Bedroher”?

Oktober

Der Oktober begann für die Wirtschafts- und Tech-Welt traurig. Steve Jobs starb und ließ die Welt innehalten. Wieder einmal fand in der EU der wichtigste Gipfel aller Zeiten statt. Immerhin näherte man sich jetzt realistischeren Beträgen beim Schuldenschnitt für Griechenland: 50% Schuldenschnitt für Griechenland und Bankenrettung: Kernelemente der Einigung zur Schulden- und Bankenkrise. Mich überkam aber derweil schon eine gewissen Krisenmüdigkeit. Alles drehte sich noch schneller im Kreis. Mittlerweile arbeitete sich die Bankenkrise in die Schlagzeilen vor. Es wurde über die Zwangskapitalisierung gesprochen, mit der ich ein Problem hatte. Die Banken selbst tauchten wieder einmal ab und ich war genervt von der katastrophalen Krisenkommunikation der Kreditwirtschaft. In New York bekam die Occupy-Bewegung endlich weltweite Aufmerksamkeit und der 7 Milliardste Erdbewohner macht sich breit. 

November

November und Dezember waren für mich ausgesprochen ereignisreiche Monate, weil wir privat im Umzugsstress standen und gleichzeitig das von mir in Hamburg geleitete Projekt vor der Einführung stand. Ich freute mich daher besonders über die viele Gastbeiträge, wie Plädoyer für den Euro (aber nicht unbedingt für die EU), Europas Staatsanleihen: Ursache und Wirkung einer Finanzkatastrophe oder Soziale Austauschtheorien als Erklärung für menschliches Verhalten in Gesellschaften. Meine Ungeduld gegenüber der Passivität der Banken wuchs und ich machte mir Gedanken über die Zukunft des Banking und den unverstandene Paradigmenwechsel. Derweil grübelte man in der öffentlichen Debatte über den Einfluss der Märkte. Diese Debatte war von viel Unverständnis darüber geprägt, wer die Märkte sind. Daher aktualisierte ich einen Beitrag aus dem letzten Jahr: Und wer sind nun eigentlich “die Märkte”?. Schön fand ich natürlich, dass die FAS die bunte Welt der Wirtschaftsblogs nun auch offiziell entdeckte.

Dezember

Der Stress für die Banken spielte eine immer stärkere Rolle. Die Frage aber Wann reagieren die Banken selbst endlich auf die Krise? blieb wieder einmal unbeantwortet. Ein neuer Gipfel entzweite Europa und die düsteren Schlagzeilen erinnerten schon fast an die Zeit nach der Lehman-Pleite. Deutschland litt jetzt auch offiziell unter einer Verschlechterung des Ratingausblicks, was ich allerdings nicht für einen Burner hielt. Die Notenbanken begannen mit Notoperationen und schütteten einen Gelpolitischer Tsunami aus.

Fazit

Soweit der Schnelldurchlauf durch ein Jahr, das vor allem gezeigt hat, dass wir nichts aus der Finanzkrise 2008/2009 gelernt haben.

Klaus Kastner Dezember 31, 2011 um 14:34 Uhr

Was man im Falle von Griechenland von anderen, nicht europäischen Ländern, die ihre externen Zahlungsprobleme lösen mussten, lernen hätte können, ist hier zusammengefaßt. Zugegebenermaßen heutzutage eine Minderheitenmeinung.

http://klauskastner.blogspot.com/2011/12/closing-2011-with-minority-view.html

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