Social Forecasting (Teil 4): Ein Blick in weitere Anwendungsbereiche bis in den Finanzsektor

by Dirk Elsner on 15. März 2012

Black Swan cygnet

Auch ein junger Schwarzer Schwan wird einmal groß (Foto: flickr/0ystercatcher)

Eigentlich hatte ich ursprünglich nur vor, einen Beitrag (Teil 1 hier, Teil 2 hier und Teil 3 hier) zum Social Forecasting zu schreiben. Aber nach dem Gespräch mit dem Geschäftführer und Gründer von Crowdworx, Aleksandar Ivanov, und der Lektüre einiger Artikel zu dem Themen sehe ich Anwendungsmöglichkeiten ohne Ende für das Social Forecasting.

Überall dort, wo Entscheidungen getroffen werden, bedarf es nicht nur einer Vorstellung davon, wie die Welt ist, sondern auch, wie die Welt sein wird oder zumindest werden könnte (James Surowiecki in “Die Weisheit der Vielen”). So lässt sich das Forecasting etwa für die moderne Finanzplanung einsetzen.

Ein Beispiel aus meiner Beratungspraxis ist etwa die toolgestützte Risikoanalyse für Business- Investitions- und Projektplanung (ausführlich habe ich das einmal in der CFOWorld vorgestellt, Teil 1, Teil 2, Teil 3). Der Kern solcher Monte-Carlo-Simulationen liegt in einem möglichst genauen Planungsmodell und in der Ermittlung der wichtigsten Einflussfaktoren (= Werttreiber) auf die Zielgrößen (Unternehmens- oder Projekterfolg, Liquidität oder beliebige andere). Hat man die wichtigsten Einflussgrößen ermittelt, dann gehe ich immer so vor, die Entwicklung dieser Werttreiber über eine Expertenschätzung zu ermitteln. Gerade wenn diese Werttreiber externe Größen sind, wie etwa bestimmte Beschaffungspreise, Absatzmengen, Zinssätze, Rohstoffpreise oder Devisenkurse, könnte es aber Sinn machen, auf Social Forecasting zurückzugreifen. Die Schätzergebnisse werden so genauer.

Mir ist leider nicht bekannt, ob etwa in Banken bereits Social Forecasting zum Einsatz kommt. Für Häuser, die freilich die Qualität ihres Risikomanagements erhöhen wollen, müsste diese Instrument eine sinnvolle Ergänzung sein, insbesondere wenn Makrogrößen eine wichtige Rolle spielen. So hätte man sich mit Social Forecasting möglicherweise besser gegen die Kreditausfälle des USA-Immobilienmarktes wappnen können.

Gerade im Finanzbereich spielt die Liquiditätsausstattung eine große Rolle. Ich habe dazu im letzten Jahr ein langes Projekt geleitet. Dabei ist gerade in ökonomische angespannten Zeiten die Entwicklung der Liquiditätsablaufbilanz ganz entscheidend für das Treasury von Banken. Hier könnte man etwa über die Schätzung bestimmte Parameter für ausgewählte Produktaggregate die Ermittlung der Liquiditätsschwankungen verfeinern oder zumindest einem Stresstest unterziehen.

Ein weiterer großer Themenkomplex, mit dem sich derzeit viele Kreditinstitute befassen, ist die Einrichtung und Verbesserung von Frühwarnsystemen. Die Informationen vieler Frühwarnsysteme basieren auf Vergangenheits- bzw. Gegenwartsdaten, sie sind daher für zukünftige Ereignisse nur bedingt verwendbar und müssen durch Prognosedaten ergänzt werden. Hier empfiehlt die bankfachliche Literatur Risikoeinschätzungen von Experten, Informationen aus der Presse oder Erkenntnissen aus Szenariobetrachtungen und -analysen (inklusive Stresstests) zu verwenden. Schade eigentlich, dass die Finanzbranche nicht den Vorreiter beim Social Forecasting spielt. Die bisherigen Anwendungsbeispiele in der Unternehmenspraxis könnten hier aber dazu führen, zumindest einmal ein Pilotversuch zu starten.

Klassischer Anwendungsbereich im Finanzwesen dürften natürlich Vorhersagen für das Vermögensmanagement sein. Immerhin gibt es hier die ersten Anwendungen, nämlich den hier bereits vorgestellten Fonds von Investtor oder die Aktiencommunity Sharewise. Für die Makropolitik der Geldmärkte wäre das Erkennen von Vermögensblasen sicher eine interessante Anwendungen. Robert Shiller schrieb im vergangenen Jahr, dass niemand Blasen präzise vorhersagen kann. Aber Social Forecasting könnte die Sensibilität dafür erhöhen.

An dieser Stelle ist der Hinweis notwendig, dass auch Social Forecasting nicht immer das korrekte Eintreten bestimmter Ereignisse prognostizieren kann. Wenn etwa aus einer Vorhersage ein Ereignis mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 90% vorhergesagt wird, heißt dies nicht, dass dieses Ereignis so eintreten muss. Die Zahl 90% besagt lediglich, dass bei einer hinreichend großen Wiederholung des exakt gleichen Ereignisses unter exakt identischen Bedingungen in 90% der Fälle das vorhergesagte Ergebnis erwartet wird, aber eben nicht in allen Fällen. Außerdem handelt es bei den Vorhersagen stets um subjektive Wahrscheinlichkeiten.

Abweichungen und Enttäuschungen wird es daher auch beim Social Forecasting geben. Letztlich geht es aber darum, die Vorhersagegüte gegenüber bisherigen Modellen und Expertenschätzungen zu verbessern. Das scheint durch die bisherigen Erfahrungen mit Social Forecasting erreicht zu werden. “Schwarze Schwäne” werden freilich auch über das Social Forecasting nicht leichter entdeckt.

Und wo wir schon bei Talebs und Poppers Gefieder sind. Nimmt man Talebs 4-Quadranten-Paradigma[1], dann dürfte Social Forecasting maximal bis zum 3. Quadranten gute Ergebnisse erzielen. Der vierte Quadrant ist nach Taleb die Domäne des Schwarzen Schwans: Komplexe Ergebnisse in Extremistan: Taleb warnt davor, sich hier auf Vorhersagen zu verlassen. Hier dürften also klar die Grenzen von Social Forecasting liegen, freilich ebenfalls die Grenzen aller anderen Vorhersagemethoden.

So, ich denke mit Taleb habe ich hier den richtigen Abschluss für diese Serie gefunden, um auch die Grenzen des Social Forecastings aufzuzeigen. Social Forecasting wird mir und dem Blick Log auf jeden Fall weiter erhalten bleiben


[1] Siehe zur Vertiefung des 4-Quadranten-Paradigma insbesondere den Aufsatz von Nassim Nicholas Taleb aus 2008 THEFOURTHQUADRANT: AMAPOFTHELIMITSOFSTATISTICS und ergänzend diesesPapiervonIsead oder das Working Papier von Ron S. Kenett und Charels S. Tapiero Quality, RiskandtheTalebQuadrants.

Previous post:

Next post: