Das große Match um Mobile Payment (4): Klassische Finanzbranche in der Defensive?

by Dirk Elsner on 24. April 2012

Nach der Vorstellung von Mobile Payment im ersten Teil und der Präsentation der großen Mannschaften und des Mittelfeld im zweiten und dritten Teil, geht es heute um die Spielweise der eigentlichen Gatekeeper des Zahlungsverkehrs: Banken und Zahlungsdienstleister.

Weil ich für diesen Beitrag sonst keine grafischen Element habe, hier noch ein Video, das ebenfalls einen Überblick über die Möglichkeiten im Mobile Payment gibt (mehr dazu in Teil 1)

Schon fast flehend mutet die Feststellung der Unternehmensberatung A.T. Kearney an: „Um innovative Angreifer auf die Wertschöpfungskette der Finanzbranche nachhaltig auf Distanz halten zu können, ist für Banken zeitnahes Handeln angesagt.“ Zumindest im Payment-Bereich dürften Banken mit ihrer defensiven Spielweise der putzmunteren Offensive der IT- und Telkos nicht auf Dauer stand halten können.

Banken waren einst die Vorreiter

Banken gelten als nicht besonders innovativ und verstecken sich gern hinter einem Stapel Kleingedrucktes, wie die US-Autorin Carol Realini in ihrem gerade erschienenen Buch “Why Banking is Broken” (Amazon Link) feststellte. Sie seien “out of touch with its customers, using technology in uncreative ways, and frankly, selfish”, zitiert Larry Magid auf Forbes Online in dem Artikel “Banks Need A ‚Wall Street Steve Jobs

Klassische Banken verhalten sich im Mobile Payment derzeit wie ein Fußballteam unter Otto Rehagel, nämlich extrem defensiv. Eigentlich erstaunlich, denn Sie kommen aus einer starken Ausgangsposition, zumindest gilt das für Deutschland. Hier führen nämlich ganz klar am Point of Sale die von Banken betriebenen Girocard- bzw. EC-Karten-Verfahren. Aber diese haben bisher noch keine Lösungen auf Basis von Smartphones zugelassen[1].

Dabei waren die Banken gerade Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts und Anfang der 2000er Jahre erstaunlich offensiv bei neuen Zahlungsmethoden. Sie setzten damals weit vorausschauend auf den E-Commerce-Boom und traten zahlreiche hoch interessante Projekte los. Der Spiegel zitierte Rolf Breuer, damals Vorstandssprecher der Deutschen Bank: "Die e-Revolution hat die Deutsche Bank erfasst." Die damals noch stolze WestLB präsentierte in einem Fachbeitrag 1999 digitale Zahlungssysteme. Die Bundesbank empfahl bereits 1997, also noch zu DM-Zeiten die Anpassung des Kreditwesengesetzes, um elektronisches Geld nicht im rechtsfreien Raum zu belassen[2] und die EU verabschiedete 2000 die EGeldRichtlinie. Es war also schon einmal viel los.

Heute nehmen Banken vorsichtig den Ball auf

Damals haben Banken viel Zeit und Geld in neue Technologien investiert, oft ohne nennenswerten Return. Das kann ein Grund sein, warum sie sich heute so zurückhaltend verhalten. Dennoch sind einige Spielzüge zu erkennen.

Nicht alle wollen sich hinter der Verteidigungsmauer verstecken. So bricht die Sparkassenorganisation aus dem Defensivverband aus und wertet ihre Zahlungskarten mit NFC-Chips auf mit Girogo. Bei Beschränkungen auf Zahlungen bis 20 Euro muss sich der echte Spielwitz dieses Dribblings aber uns Zuschauern erst noch erschließen, denn das Angebot bleibt deutlich hinter dem Umfang und Usability der Smartphone-Wallets zurück[3]. Aber die Sparkassen denken offenbar weiter, denn nach Informationen der Webseite Der Handel“ wird die S-Finanzgruppe alsbald eine Kooperation mit einem Smart­phone-Hersteller verkünden.” Unterschätzen sollte man die Organisation also nicht.

[an dieser Stelle hätte ich gern das Video über Girogo eingebunden. Aber einbettbarer Code wird hier leider nicht zur Verfügung gestellt]

Daneben zeigt die Deutsche Bank innovative Spielfreude. Sie hat gemeinsam mit dem Finanzsoftware-Entwickler GFT auf der CeBIT den Prototyp einer mobile App vorgestellt, von der man glaubt, mobile Bankgeschäfte revolutionieren zu können. Die “Revolution” besteht aber bisher nur darin, einen klassischen Überweisungsträger (viele wissen gar nicht mehr, was das ist) per Smartphone abzufotografieren und anschließend in die Online-Banking-Anwendung der Bank zu übertragen. In ihrer "Bankfiliale der Zukunft" pilotiert nach einem Bericht in Der Handel PayPal erstmals in Deutschland eine Zahlungslösung für den stationären Handel. Als erster Händler setzt der mStore im Q110 die "PayPal QRShopping App" von PayPal und dem IT-Dienstleister Itellium ein[4].

Auch die Zahlungs-Apps für Smartphones werden mittlerweile entdeckt. So ist die britische Barclays Bank gerade mit Pingit gestartet und soll in den ersten Wochen bereits 400.000 Downloads der App verzeichnet haben. Arbeitet man sich durch die Details der PingitBeschreibung, dann ist dies allerdings auch eine proprietäre Lösung, deren Handling bei Zahlungen an Nicht-Barclay-Kunden sehr umständlich ist[5]. Ich habe daher große Zweifel am Nutzen einer derartigen stand alone-Lösung.

Reichen die Aktivitäten?

Nach einer Umfrage des Financial Services Club unter 300 Professionells aus dem Bankenzahlungsverkehr sehen Banken mittlerweile den Druck durch das Aufstreben im Mobile und Internet-Payment und zwar für die Konsumenten- als auch für das Unternehmensliga. Für die USA erwartet man das völlige Verschwinden des Schecks, der dort statt Überweisungen verwendet wird. Man sieht außerdem, dass künftig mehr Zahlungen mobil und via Internet abgewickelt werden als über Bargeld und Karten. Die Abwicklung könnte dann realtime über pan-europäische Clearinghäuser erfolgen.

Bereits 2010 analysierte Johannes Bussmann in der Fachzeitschrift Die Bank die Spielweise der Finanzbranche und stellte fest, dass deutsche Banken Mobile Payment als Zahlungsweg der Zukunft noch nicht entdeckt haben. An dieser Feststellung hat sich bisher nichts geändert. Bussmann warnte damals davor, dass für deutsche Finanzdienstleister das Risiko bestehe, in einem vielversprechenden Zukunftsmarkt von bisher kaum bekannten Akteuren überholt zu werden.

Kartengesellschaften preschen vor

Während Einzelinstitute gegen das Kurspassspiel der IT- und Telkoelite wenig nachsetzen, sehen die etablierten Kartenanbieter wie Visa, MasterCard und American Express sehr wohl die neuen Herausforderungen. Der Chefentwickler von MasterCard glaubt aber zunächst an eine Koexistenz zwischen Karten und Mobile. Mastercard selbst bietet bereits ein NFC-Bezahlsystem namens "Paypass" an, allerdings basiert das nur auf Karte. Visa zeigt sich deutlich spielfreudiger und ist als strategischer Investor bei Square eingestiegen und arbeitet mit Vodafone zusammen an einer gemeinsame Zahlungslösung für Mobiltelefone und startete mit der Landesbank Berlin AG und Swiss Post Solutions das kontaktlose Bezahlen mit dem iPhone[6].

Mit wenigen Ausnahmen verhalten sich die meisten Banken aber passiv. Sie können noch davon zerren, die wichtigste Schnittstelle zu allen Zahlungsverkehrsleistungen besetzt zu halten, das Konto: Aber auf eine Stammplatzgarantie sollte man hier lieber nicht hoffen. Das Beispiel M-PESA (siehe dazu Teil 2) zeigt, dass Mobilfunkanbieter Konten führen. Daneben lassen die Patenanmeldungen für Apples iWallet ebenfalls Kontofunktionalitäten vermuten.

Die sonst im Banking übliche Strategie, erst einmal die Newcomer das Spiel machen zu lassen, ihre Fehler zu beobachten und anschließend durch schnelle Konter die erfolgreichsten Spielweisen zu kopieren, könnte diesmal nicht aufgehen. Einige der Newcomer haben mittlerweile eine Wertschöpfungstiefe aufgebaut, die Banken nicht einfach adaptieren können[7]. Sie scheinen sich übrigens auch nicht an den Vorschriften des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (ZAG), das gerade Ende 2011 um das sogenannte E-Geld erweitert wurde[8], zu stören (zumindest nicht öffentlich).

Wenn die Banken nicht endlich ins Spiel finden, dann könnte ihnen hier nur die Schnittstelle zum Konto bleiben oder ein Co-Branding[9], dann freilich zu den Bedingungen der neuen Dienstleister. Für die Telkos und IT-Unternehmen dagegen besteht für einen attraktiven Spielfluss wenig Notwendigkeit auf die Gegner Rücksicht zu nehmen.

Etwas ausruhen kann man sich vielleicht noch, weil man auf die Bequemlichkeit der Zuschauer Kunden hofft und denkt, sie lassen sich durch die immer wieder auftauchenden Meldungen über Sicherheitslücken und unzureichendem Datenschutz abschrecken. Besonders clever war das Warten auf Eigentore aber bekanntlich noch nie[10].

Hat die Finanzbranche die neuen Herausforderungen unterschätzt?

Mittlerweile kommen auch aus der klassischen Finanzbranche selbst Stimmen, die sich gut vorstellen können, dass die traditionellen Zahlungsprovider durch die neuen Offensive Kanäle Google, Paypal und Telkos überrollt werden könnten[11]

Die Zurückhaltung klassischer Institute mag darin begründet sein, dass einige Studien 2009 und 2010 sich noch eher zurückhaltend geäußert haben (siehe dazu “Mobile Payment: Der nächste Mega-Flop”). Daneben gab es nach den oben bereits erwähnten Versuchen Anfang des Jahrtausende auch in den vergangenen Jahren zahlreiche Ansätze, die sich am Markt aber bisher nicht durchgesetzt haben[12].

Dennoch könnte sich die vorsichtige Spielweise als zu defensiv erweisen. Mobile Payment kommt in Europa an. Zu stark ist mittlerweile das Interesse der zum Teil bereits mit Banklizenzen ausgestatteten IT- und Telekommunikationskonzerne, das Zahlungsverhalten der Konsumenten und Unternehmen zu ändern. Dazu kommt eine starke Verbreitung von Smartphones, mit denen die Anwendung kinderleicht wird. Außerdem können die Newcomer ihren Einstieg in den Kern des Bankgeschäft mit zum Teil gewaltigen Ressourcen vorantreiben.

Mitspielen über professionelles Cash Management

Für die Banken ist aber nicht alles verloren in den neuen Marktsegmenten. Zahlungen werden ja nicht nur zwischen Konsumenten und Unternehmen abgewickelt, sondern auch zwischen Unternehmen und innerhalb von Konzernen. Hier liegt die Domäne des Cash Managements.

Gerade rollt zum Beispiel die US-Bank JPMorgan Chase ihr Cash management “Access” via Smartphones and Tablets international aus. Dabei geht es um den Zugriff und die bankübergreifenden Konten- und Zahlungsverkehrsdaten von großen Unternehmen und die Finanzdisposition dieser Konten. Letztlich handelt es sich dabei aber nicht um eine wirkliche Innovation. JPMorgan Chase schafft lediglich eine neue Zugangsschnittstelle über mobile Endgeräte auf die bisherigen Anwendungen und Informationen bei Banken.

In dieser Liga wollen die neuen Mitspieler aber gar nicht aufsteigen und können dies derzeit wohl auch nicht (obwohl, man weiss ja nicht, was auf den Übungsplätzen in den Laboren so trainiert probiert wird).

Für Finanzhäuser liegt hier die große Chance, sich von Wettbewerbern abzusetzen. Mit den zunehmenden Zahlungsverkehrsvolumina bei Non- und Nearbanks wird es für die Finanzdisposition von Unternehmen immer wichtiger, diese Daten in die Cash Management Systeme zu bekommen. Für die Praxis bedeutet dies, es müssen je nach Umfang genutzter Systeme und Anwender zusätzliche Schnittstellen zu den Paymentplattformen aufgebaut werden, um an die entsprechenden Informationen zu gelangen und diese disponieren zu können. Dies gilt umso mehr, je länger die Zahlungen aus welchen Gründen auch immer, auf diesen Plattformen gehalten werden[13].

Ein weiteres Feld für die Positionierung von Banken wären außerdem Beratungsservices zum Payment für Geschäftskunden, denn Dank der in dieser Beitragsreihe vorgestellten Entwicklung dürften viele Geschäftskunden erhöhten Beratungsbedarf haben.


[1] Siehe dazu André M. Bajorat am 4.4. auf Mobile Zeitgeist

[2] Siehe dazu Jörg Bibow, Thorsten Wichmann, Elektronisches Geld: Funktionsweise und wirtschaftspolitische Konsequenzen, Arbeitspapier Januar 1998, S. 17. Außerdem Spiegel Online v. 16.6.1998 Wem gehört das Geld im Internet? und Geld im 3. Jahrtausend – Vom Realen zum Virtuellen (Cybergeld), Hausarbeit 2000 Uni Berlin.

[3] Siehe dazu Bank-Blog Top oder Flop? Die neue „Girogo“ Karte und mobile zeitgeist Sparkassen und ihre erste Interpretation von mobile Payments – die Geldkarte mit NFC Chip

[4] Um die App für iPhone oder Android nutzen zu können, erklärt Der Handel, “verknüpft der Kunde sein PayPal-Konto mit dem Smartphone und hinterlegt eine Postadresse sowie einen 4-stelligen Sicherheitscode. Daraufhin kann er mit Hilfe eines eingescannten QR-Codes weiterführende Informationen zu Produkten aufrufen, Waren bestellen und auch direkt über PayPal bezahlen – gleichgültig, ob er sich in einem Ladengeschäft, vor einer Plakatwand oder in einem virtuellen Shop befindet.”

[5] Freilich haben die Dienste der Telekommunikations- und Internetdienstleister ebenfalls mit dieser Abgeschlossenheit zu kämpfen, können aber vermutliche auf eine breitere Nutzerbasis hoffen.

[6] Am 5.4. meldetet allerdings die Webseite Der Handel, dass die Landesbank Berlin (LBB) gemeinsam mit MasterCard die mobile Bezahlung per Smartphone startete. Die in dem Beitrag beschriebene Kooperation zwischen LBB, Swiss Post Solutions und Vivotech bezieht sich aber nach einer Pressemeldung der LBB und VISA auf Visas paywave. Ich konnte den Widerspruch bisher nicht aufklären.

[7] Dies gilt erst Recht, wenn sie ihren Kunden die gleiche Nutzererfahrung bieten wollen.

[8] Vgl. § 1a ZAG. Gleiches gilt übrigens auch für das Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention bzw. des Geldwäschegesetztes, dass nun in § 2 auch E-Geld-Anbieter verpflichtet.

[9] So etwas bietet Master Card mit mFoundry. Damit sollen Banken ihre eigene NFC Wallet anbieten können.

[10] Eine Ende März bekannt gewordene Sicherheitslücke bei Visa und MasterCard zeigt außerdem, dass auch die traditionelle Branche nicht von Probleme geschützt ist.

[11] Siehe dazu etwa Bankingtech: Payments the new battleground.

[12] So haben sich 2003 die Mobilfunkunternehmen Orange, Telefónica Móviles, T-Mobile und Vodafone entschieden zur Gründung eines neuen Mobiltelefon-basierten Zahlungsverfahrens zusammenzuarbeiten. Unter der Marke Simpay sollte ein weltweites mobiles Zahlungsverfahren auf Basis eines offenen Standards etabliert werden. Diese gemeinsame Plattform ist 2005 gescheitert, vgl. FAZ v. 27.6.2005.

[13] Hier müsste man jetzt auf die Usancen der verschiedenen Paymentplattformen schauen und zu welchem Zeitpunkt sie eingegangen Gelder auf Bankkonten gutschreiben bzw. gezahlte Beträge den jeweiligen Bankkonten belasten. In jedem Fall erfolgt das nicht in Echtzeit.

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