Schlankheitskur gefällt mir nicht: Wirtschaftspresse wird immer dünner

by Dirk Elsner on 3. September 2012

Letzte Woche schrieb der gut informierte Bülend Ürük auf Newsroom über das Abspecken bei der Financial Times Deutschland (FTD). Ab heute soll der frühere Ableger der britischen Finanztageszeitung in verringertem Umfang erscheinen. Das Handelsblatt hat schon vor Monaten damit begonnen, sein ursprünglich auf 64 Seiten konzipiertes Format immer weiter einzudampfen. Letzte Woche hielt man am Montag und Dienstag aber nur noch dünne 48 Seiten in den Händen. Das Handelsblatt hat dafür die Ausgabe vom Freitag schrittweise zu einem echten Wochenend-Magazin ausgebaut. Ähnlich plant es die FTD. Beide Blätter schreiben Verluste (siehe zum Handelsblatt den Artikel in der FTD). Als Leser und Konsument von Wirtschaftsnachrichten gefällt mir das natürlich nicht.

Immerhin, so wurde ja geunkt, wird die Print FTD nicht komplett eingestellt. Aber vielleicht ist das auch nur ein Tod auf Raten. Wenn man Newsroom und anderen Quellen glaubt, dann kämpfen die Flaggschiffe der gedruckten Wirtschaftspresse in Deutschland ja ziemlich stark gegen den Anzeigenschwund. Im Handelsblatt zum Beispiel fällt der hohe Anteil an Verlagsanzeigen auf.

Laut einem Interview der Branchenzeitschrift Wirtschaftsjournalist mit dem “Holtzbrinck-Rategeber” Michael Grabner soll die Wirtschaftstagespresse in der schwierigsten Phase der Geschichte stecken. Ich weiß nicht, welche Gründe dafür in der Medienbranche unter den Fachleuten diskutiert werden (gut informiert dazu aber Thomas Knüwer in seinem Blog). Eine Ursache dürfte darin liegen, dass die Zahl der Printkäufer zurück geht und dieser Rückgang durch die Online-Segmente nicht aufgefangen wird.

Spricht man mit Journalisten, dann hört man auch häufig, der Rückgang läge auch an der Qualität, die zurück gegangen sei. Es werde zu viel gespart, damit stünde nicht genügend Zeit zur Verfügung stünde, um stets Beiträge in der Tiefe eines Iwersen, Kühnlenz oder Storbecks zu produzieren.

Das mag ein Grund sein. Ein weiterer Grund liegt aber mit Sicherheit darin, dass die Verlagshäuser zunehmend an den Bedürfnissen der Leser vorbeischreiben. Dazu nur zwei Punkte (und es gibt wesentlich mehr), die mir als Leser auffallen:

  1. Die Wirtschaftspresse ist für die Unternehmenswelt 1.0 gemacht. Neue Entwicklungen, junge Unternehmen, spannende Ideen werden auf den Technikseiten oder vielleicht gar im Karriere-Teil behandelt. Ansonsten dreht sich alles um die etablierten (Groß-) Unternehmen, die ja auch noch die Anzeigen platzieren. Die Leserschaft aber, die sich für diese Unternehmen interessieren, wird immer geringer.
  2. Wirtschaftspraktiker finden ausgerechnet in der Wirtschaftspresse vergleichsweise wenig Nutzwert. Es mag ja die Apokalyptiker freuen, wenn Nouriel Roubini oder wer auch immer von der Titelseite einmal mehr mit einer neuen Untergangshypothese über den Euro oder die Weltwirtschaft grüßt. Kein Unternehmer oder Finanzchef kann aber in der Praxis etwas mit solchen Meldungen anfangen. Solche Beiträge taugten höchsten für den Smalltalk oder für ein flüchtiges Twittergewitter. Für die Praxis sind solche Aufmacher irrelevant.

Ich glaube, die Wirtschaftsmedien müssen sich deutlich mehr Gedanken über ihre Zielgruppen machen und aufspüren, was diese mögen und vor allem brauchen. Das klingt zwar nach Binse, wird aber nicht gemacht. Ich habe häufig eher den Eindruck, in den Verlagen arbeitet man nur mit bestimmten, aus meiner Sicht vollkommen überholten Thesen, wie ein durchschnittlicher Leser tikkt.

Ein Beispiel für eine gute Zielorientierung finde ich etwa die “Mittelstandsseiten” im Handelsblatt. Mit vielen Artikeln können hier auch Praktiker etwas anfangen. Leider findet man diese Ausrichtung nur einmal wöchentlich. Die wie auch immer abzugrenzende neue Unternehmenswelt, in die immer mehr Firmen herein wachsen und über die es unendlich viel zu berichten gäbe, findet dafür weder im Handelsblatt noch in der FTD statt. Die sich dafür interessierenden Leser, und das werden immer mehr, holen sich die Infos dazu aus dem Netz.

Dazu kommt: Alle “Traditionsblätter” nehmen online nicht ernst und vergeuden damit vor allen den großen Wissensschatz, den sie sich im Laufe der Zeit aufgebaut haben. Es geht mir häufig zu verschiedenen Themen so, dass ich genau weiß, es stand einmal dazu etwas in der FAZ, der FTD oder dem Handelsblatt. Wenn ich mir den Artikel nicht zurückgelegt, gebookmarkt oder in meinem Blog verlinkt habe, finde ich ihn in höchstens 20% der Fälle nach wenigen Sekunden. Meist dauert länger, ich lande in einem anderen Medium oder gebe auf. Online-Recherchen in Fachmedien gehen an den Bedürfnissen der Wirtschaftspraxis vollkommen vorbei. Statt immer wieder am optischen Design herum zu schrauben, müssen endlich Ideen her, den wertvollen Content auch über den Tag hinaus zu nutzen. Dabei geht es nicht um Design, sondern Funktionalität und Content.

Drei Jahr nach der Paid-Content-Diskussion ist immer noch nicht viel passiert. Noch immer muss ich mich online mit abgespeckten Ausgaben begnügen, finde in den umständlich gestalteten Archivfunktionen kaum einen Artikel wieder und vermisse die spielerische Kreativität anderer Branchen mit dem Netz. Dabei gibt es Ideen genug in den Häusern. Da braucht man nicht einmal teure Berater engagieren, sondern sollte einfach mal das Potenzial im eigenen Haus und bei den Lesern heben.

Ansonsten lese ich weiter gern und in ausgedruckter Form und hoffe auf eine Renaissance der Wirtschaftspresse.

nigecus September 4, 2012 um 19:05 Uhr

„… die Wirtschaftsmedien müssen sich deutlich mehr Gedanken über ihre Zielgruppen machen und aufspüren, was diese mögen und vor allem brauchen…“

Ich würde der Kritik zustimmen, dass Artikel/Zusammensetzung des HB nicht ganz immer zum Informationsbedürfnis passt (mir geht es so). Auf der Arbeit liegt immer so ein HB herum, was man sich manchmal in einer kleinen Pause anguckt. Ich finde meistens 1 Artikel, den ich interessant finde, sei es persönlich oder für die Arbeit. Aber das ist ein bisschen wenig ehrlich gesagt.

Ich würde mal behaupten, dass das HB für jemanden der in der Finanzbranche arbeitet zu öberflächig ist, weil die Finanzbranchen hinsichtlich Aufgabenfelder, Marktsegmente (Risikoarten), usw. sehr stark zersplittert ist. Ich habe garnicht die Zeit mir jeden Tag 48 Seiten an Artikeln reinzuziehen, von denen gerade mal 0 bis 2 Artikel interessant sein könnten.

Ich geben mal ein nicht ganz faires Beispiel anhand von Bloomberg wie man es richtig(er) macht (Es ist nicht fair, weil Bloomberg mit ihren Terminal-Abos alles mögliche quersubventionieren kann, und irgendwie „im Preis enthalten“ ist. Die verdienen mit Zeitungen kein Geld…):
– Bloomberg BRIEF: Nach spezifischen Marksegmenten (wo die Leser drin arbeitet) mit der passenden Publikationsfrequenz (i.d.R. täglich, aber mache wöchentlich, z.B. Regulierung),
– Business Week: Ein wöchentliches Magazin
– Bloomberg Markets: Monatliches Magazin

http://www.bloombergbriefs.com/
http://www.businessweek.com/
http://www.bloomberg.com/markets-magazine/

Ich denke dass eine tägliche Wirtschaftszeitung wie eine Regionalzeitung funktionieren sollte. Man nimmt ein Abo auf Zeitung mit allgemeinen/globalen Sachen und klar abgegrenzt einen guten Spezialteil (d.h. bei Regionalzeitungen ist das der Regionalteil, aber es können auch andere Sachen sein, z.B. die Bild-Zeitung hat Sportteil. Nicht wenige Leute kaufen nur deswegen dieses Revolverblättchen). Man kehrt quasi die Wichtigkeiten um. Der allgemeine/globale Teil der Zeitung ist nur ein Cross-Selling-Produkt, weil der Käufer die Zeitung v.a. wegen dem Spezialteil kauft.

Wir leben im Zeitalter des Information Overflow:
– Suchkosten: Die Leser schätzen es, wenn man nicht selber erst „vorsortieren“ muss und direkt den gesuchten Honig serviert bekommt. Um mit Information erschlagen zu werden, brauche ich nur den Browser öffnen oder in meine Mailbox reingucken.
– *Kognition: Wenn Zeit (zum Lesen) knapp ist, dann müssen Aussagen so verpackt sein, diese schnell/klar im Gehirn des Lesers ankommen. Wenn der Content nicht geschmeidig in mein Gehirn fließt, dann schmeiße ich Zeitungen/usw. halt nach 2min in den Mülleimer (Allein mit dem richtigen Grammatikstil, Bilder/Diagramme, Tabellen, kann man viele ermüdene/gequälte Text-Seiten einsparen. Extreme: Man kann jeden Artikel der Welt auch in einem Comic erzählen).
– Interessiert-mich-nicht: Ich würde behaupten, dass die Arbeitsteilung (in allen Branchen) sich ständig erhöht. Daher werden 5 Seiten zum/über speziellen Tätigkeitsgebiet des Leser mehr honoriert (oder zumindenst kausal nah dran), als 50 Seiten Geschwafel über Gott und die Welt.

* Natürlich ist mir auch manchmal nach anspruchsvollen Grammatik-Piroutten, ausschweifenden philosophischen Tiefgang, und komplizierten Kausalzusammenhängen, und auch mal populistischer Tratsch (Eher nicht in der Arbeitswoche…). Ich denke aber, dass nicht jeder Journalist jeden Tag einen Pulitzer-verdächtigen Kracher rausballern kann. Man sollte solche Artikel klarer kennzeichen (Damit solche die Zeit genug haben sich da reinstürzen können, und nicht viel nachdenken müssen um weiterzublättern)

Nochwas zu Online vs. Hardcopy:
– Ich halte von Online-Dossiers nix. Wenn ich ein Dossier kaufe, dann will ich davon eher eine Hardcopy haben (Eine kleine CD mit Doku-Video auch gerne). Dossiers sind ja auch zeitlos, oder?
– Tägliche Nachrichten (Tut mir Leid liebe Tageszeitungen) brauchen für mich auch nur 5 Seiten PDF morgens um 7:30 Uhr in meiner Mailbox sein. Und sollte das Zeug sollte auch nur mit Sachen zu tun haben, die ich beruflich mache. Wenn der Content so gut ist, dass ich mir die 5 Seiten sogar ausdrucken würde, dann ist das Abo sein Geld wert (Konjunktiv… ich drucke so gut wie nix aus…)

Detlef Guertler September 4, 2012 um 18:23 Uhr

Vor fünf Jahren sagte mir einer der Wirtschaftspresse-Chefredakteure: Print ist tot, das kriegen wir nicht mehr gedreht. Mir geht es nur noch darum, dass es erst zum Sterben kommt, wenn ich in Rente bin.
Das könnte für ihn zeitlich knapp werden.

Guenni7 September 4, 2012 um 07:32 Uhr

Das Hauptproblem der Presse ist das Sie gar nicht mehr ihre Arbeit macht.
90% der Inhalte sind einfach abgeschriebene DPA-Meldungen, manchmal werden diese dann noch aufbereitet, meisstens aber einfach 1:1 übernommen.
Investigativer Journalismus? Fehlanzeige!
Hintergründe und Erklärungen? Fehlanzeige!

Stattdessen dpa-Meldungen und Gast-Beiträge von irgendwelchen Promis mit absurden Thesen.

Warum also sollte man soetwas kaufen? Gibt’s doch zuhauf denselben Mist im Internet. Genauso schlecht, möchte ich betonen.
Gruß
Guenni

Wirtschaftswurm September 3, 2012 um 13:15 Uhr

Ich glaube, dass es DEN (auch von Dirk beschworenen) Durchschnittsleser gar nicht gibt. Und vielleicht ist das ja auch die Schwierigkeit der Blätter. Die potenziellen Leser haben sehr unterschiedliche Interessen. Den einen interessiert Branche x, den anderen Branche y. Dann gibt es Leute, die vielleicht die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge interessant finden, an Unternehmensnachrichten aber gar kein Interesse haben.

Mathias Täge September 3, 2012 um 10:29 Uhr

Ich vertraue da auf Innovationskraft.
Bin mal böse..
Narritiv Science Impact hat noch garnicht eingeschlagen, und wenn der erstmal auf im Deutschsprachigen Raum kommt, dann wird es Lustig. Da kommt Innovation/Umbruch in einer Zeit, wo die großen Verläger selber in einer tiefen Krise stecken, und das wird dann den kompletten Markt umflügen.
Spannend zu beobachten, wie dann die Häuser reagieren werden. Und welche noch am Markt bestehen werden. Online wie Offline, wird das mehr als Interessant.
Dazu noch der Boom im Smartphone/App-Markt, inkl des schwächelenden Printsegments, dass wird noch sehr interessant.
In 2-5 Jahren werden wir unsere Medienlandschaft wohl kaum wieder erkennen..

Can an Algorithm Write a Better News Story Than a Human Reporter?
http://www.wired.com/gadgetlab/2012/04/can-an-algorithm-write-a-better-news-story-than-a-human-reporter/

Timm September 3, 2012 um 10:01 Uhr

Naja, gut informierter Bülend Ürük ist offenbar relativ. Denn meine FTD hat heute genau den gleich Umfang wie zuvor. War also offensichtlich eine Ente… Jedenfalls was das Timing angeht…

Dirk Elsner September 3, 2012 um 10:05 Uhr

Habe noch kein Exemplar in den Händen gehalten. Wurden denn die Bücher eingedampft?

Eric B. September 3, 2012 um 09:59 Uhr

Das Hauptproblem unserer Wirtschaftspresse ist, dass sie nicht weiß, wo sie steht. Das Handelsblatt hat keine Ahnung von seinen Lesern und keinerlei Positionierung im Markt – sieht man von Sprüchen wie „Substanz entscheidet“ oder „Stimme der ökonomischen Vernunft“ ab. Ex-Chefredakteur Ziesemer war Anhänger der Neocons um Bush jr., sein Nachfolger Steingart empfiehlt nun offen Romney – dabei haben die Republikaner die USA und die gesamte Weltwirtschaft mit ihrer abenteuerlichen Politik in den Abgrund gezogen. Was hat das mit „ökonomischer Vernunft“ zu tun??? Wenn es um Europa geht, nimmt das HB zunehmend einen nationalliberalen Kurs ein, der – wenn er zu Ende gedacht wird – Deutschland ins Desaster führt. Bei der FTD ist es deutlich besser, aber da fehlt die Masse – in jeder Hinsicht. Was online betrifft, so kann ich mich Deiner Kritik nur anschließen…

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