Nifty Bonds

by Karl-Heinz Thielmann on 14. Mai 2013

In den 60er und Anfang der 70er Jahre wurde in den USA der Begriff der Nifty Fifty geprägt, zu deutsch der „Flotten Fünfzig“. Gemeint waren damit die Lieblingsaktien der institutionellen Investoren dieser Tage, die sich durch eine vorteilhafte Marktposition, stabile Ertragslage und gute Wachstumsperspektiven auszeichneten. Sie galten somit als besonders sicher und wurden sehr hoch bewertet. Ihr Kauf schien für fast jeden Preis gerechtfertigt.

So lagen 1972 die Kursgewinnverhältnisse von Merck und von Coca-Cola bei 45; Johnson & Johnson erreichte einen Wert von fast 60. McDonald’s und Walt Disney waren mit dem über 70fachen des Jahresgewinns bewertet. Die Ölkrise 1974 und der folgende Börseneinbruch brachte aber den Wendepunkt für die Wertentwicklung der Nifty Fiftys. Ihre Aktienkurse gingen überdurchschnittlich stark zurück, ihre Bewertung schrumpfte wieder auf normale Relationen.

Tatsächlich waren aber nicht nur die bereits Genannten, sondern auch viele der anderen Nifty Fifty-Unternehmen wie General Electric oder IBM operativ in den folgenden Jahrzehnten überdurchschnittlich erfolgreich. Ihre Kursentwicklung konnte aber erst nach längerer Durststrecke wieder die Investoren erfreuen. Die alten Rekorde bei der Bewertung wurden nicht mehr erreicht.

Es gab aber auch einige Misserfolge bei den Nifty Fiftys wie den Computerhersteller Digital Equipment oder die Fotokonzerne Polaroid und Eastman Kodak, die am Technologiewandel scheiterten. Wiederum andere wie die Warenhauskette Sears oder das Transportunternehmen Emery Air Freight wurden durch schlechtes Management zugrunde gerichtet. Unternehmen wie Dow Chemical konnten zwar wachsen, aber deutlich schwächer als der Gesamtmarkt.

Heutzutage haben wir wieder eine den Nifty Fifty ähnliche Konstellation, aber nicht mehr bei Aktien, sondern an den internationalen Rentenmärkten. Die Anleihen solider (und auch einiger weniger soliden) Staaten sind aufgrund ihrer angenommenen relativ großen Sicherheit extrem hoch bewertet.

Nimmt man den Kehrwert der aktuellen Renditen für 10jährige Anleihen, so kann man ein Rentenmarkt-Kursgewinnverhältnis (KGV) berechnen. Dieses beträgt derzeit für Bundesanleihen 79 sowie für US-Treasuries 55 und britische Gilts 56. Für die Schweiz ergibt sich sogar ein KGV von 172, bei Hongkong 110.

Kann das so weiter gehen? Ich glaube nicht. Ähnlich wie die Nifty Fiftys das Ende eines 30jährigen Bullenmarktes für Aktien nach dem Zweiten Weltkrieg signalisierten, so sind die gegenwärtigen Verhältnisse am Rentenmarkt ein Signal für einen endenden 30jährigen Bullenmarkt bei festverzinslichen Wertpapieren. Spielt die Bewertung bei der Anlageentscheidung nur noch eine untergeordnete Rolle und wird stattdessen vor allem auf das gesetzt, was auch in den vergangenen Jahren gut war, ist dies ein untrüglicher Indikator für eine anstehende Trendwende.

Insbesondere wenn „Sicherheit“ als Hauptargument für ein Investment genannt wird, sollte Vorsicht angebracht sein. Vor 40 Jahren misstraute man Anleihen, weil Inflation befürchtet wurde. Wachstumsunternehmen hingegen galten als sicher, weil sich niemand vorstellen konnte, dass es Grenzen für ihre Expansion gab. Dies mag heute absurd erscheinen. Man sollte aber nicht vergessen, dass ein Gefühl der Sicherheit immer auch aus der Vergesslichkeit des Menschen resultiert. Gefahren, die für einen längeren Zeitraum nicht mehr aufgetreten sind, werden irgendwann komplett vergessen. Nach einer Zeit jahrzehntelangen Wirtschaftsaufschwungs glaubte man, die Konjunktur mit den Mitteln keynesianischer Fiskal- und Geldpolitik kontrollieren zu können. Man hatte schlicht und einfach verlernt, dass es auch auch strukturelle Krisen geben kann. Als dann 1974 die Ölkrise kam, gab es ein böses Erwachen.

Gegenwärtig gelten Anleihen bestimmter Staaten als sicher, weil sich niemand vorstellen kann, dass sie Pleite gehen können. Natürlich ist es äußerst unwahrscheinlich, dass diese Länder rein technisch gesehen insolvent werden. Notfalls kann immer eine Notenbank eingreifen und Staatsanleihen aufkaufen. Großbritannien hat übrigens schon in großem Stil damit begonnen.

Zurzeit ignorieren die Anleihekäufer aber anscheinend, dass dies langfristig gesehen eine Inflationierung der Wirtschaft zur Folge haben kann. Das niedrige Ausfallrisiko von Staatsanleihen geht einher mit einer hohen Anfälligkeit gegenüber der Geldentwertung. Ob die Kaufkraft investierten Geldes durch einen staatlichen Schuldenschnitt oder durch Inflation sinkt, wird unterschiedlich wahrgenommen: Ein Schuldenschnitt vernichtet das Kapital schnell und brutal; bei Inflation löst sich der Geldwert langsam und kaum spürbar auf. Die Konsequenz für den Anleger ist aber die gleiche: Er hat am Ende weniger als vorher und damit das Gegenteil von dem erreicht, was normalerweise Ziel einer Kapitalanlage ist.

Zwar ist derzeit noch nicht abzusehen, welcher Katalysator eine Trendwende am Rentenmarkt einleitet und wann dies passiert. Meine persönliche Vermutung ist, dass dies noch einige Zeit dauern wird, da die expansive Geldpolitik zur Krisenbekämpfung als Nebenwirkung die Rentenmärkte stützt. Aber keine Krise dauert ewig. Unabhängig, ob wir in den kommenden Monaten ein Auseinanderbrechen der Eurozone oder eine Lösung der Schuldenkrise sehen werden, irgendwann müssen die Notenbanken den Geldhahn wieder zudrehen. Spätestens dann wird den niedrigen Zinsen für Staatsanleihen die Grundlage entzogen.

Achten Sie bei Ihren Kapitalanlagen nicht nur auf die Sicherheit, sondern auch auf die Bewertung. Nur wenn beide in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen, sind die Voraussetzungen für erfolgreiche Langfristinvestments gegeben.

Nachbemerkung: Dieser Beitrag ist eine Ergänzung des Textes „Die wunderbare Welt der Spekulationsblasen“ vom 10. Mai 2013. Am 6. August vergangen Jahres habe ich diesen Artikel schon einmal an anderer Stelle veröffentlicht. Das Erschreckende ist: Bis auf minimale Abweichungen für die Rentenmarkt-KGV‘s beschreibt er die heutige Situation genau so wie noch vor 9 Monaten. Deswegen blieb der Text unverändert. Nur einige Zahlen wurden geringfügig angepasst und die Grafik eingefügt.

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