Weiterbildung nach der Ausbildung: Über die Grenzen universitärer Wissensvermittlung

by on 6. November 2013

Als wir neulich mit ein paar ehemaligen Kommilitonen zusammen saßen, philosophierten wir u.a. darüber, wie man eigentlich das Uni-Wissen in der Praxis einsetzen kann. Unsere Bilanz war ernüchternd, denn in der Runde stellten wir fast einhellig fest, dass sich viel von dem, was wir gelernt hatten, in dieser Rohform für die Praxis kaum ausreichend ist.

Der Ausdruck “Wissen” stammt laut Wikipedia von althochdeutsch “wizzan” bzw. der indogermanischen Perfektform *woida, ich habe gesehen, somit auch ,ich weiß‘ ; von der indogermanischen Wurzel *weid- leiten sich auch lateinisch videre ,sehen‘ und Sanskrit veda ,Wissen‘ ab. Weiter schreibt die Onlineenzyklopädie:

“Die Definition als wahre und gerechtfertigte Meinung ermöglicht die Unterscheidung zwischen dem Begriff des Wissens und verwandten Begriffen wie Überzeugung, Glauben und allgemeiner Meinung. Sie entspricht zudem weitgehend dem alltäglichen Verständnis von Wissen als „Kenntnis von etwas haben“.

Auch anderen Studienfreunden ging es so ähnlich, wie den Forenteilnehmern auf Wiwi-Treff. Da schreibt etwa Lounge Gast in dem Thread  “Wie viel universitäres Wissen für Beruf ist notwendig?”:

“Ich hab mal nachgerechnet, ich hatte in meiner Unizeit genau 50 versch. Fächer, davon 4 im Controlling. Und jetzt im Job brauch ich gerade mal von einem dieser 50 Fächer 1%, so siehts aus. Dieses eine Prozent hätte ich auch locker an einem Tag lernen können, wenn ich dazu ein Kapitel in einem Buch samt Beispielen gelesen hätte.”

Es ist eine Binsenweisheit, dass im beruflichen Alltag weitere Kompetenzen notwendig sind, als die die Unis kaum vermitteln können. Wir haben in unserem Alumnikreis drei Themenblöcke ausgemacht, die letztlich die Uni gar nicht leisten kann:

  1. Unternehmensspezifisches Wissen: Dazu rechnen wir all das, was an organisatorischen und betriebskulturellem Wissen notwendig ist, um sich in einem speziellen Unternehmen zu Recht zu finden. Allein über dieses Thema ließe sich vermutlich ein ganzes Buch füllen.
  2. Branchenspezifisches Wissen: Dazu gehört all die Fakten, die notwendig sind, um die Besonderheiten eines bestimmten Wirtschaftszweigs zu verstehen.
  3. Berufsfeldspezifisches Wissen: Dazu gehört all das, was mit der konkreten betrieblichen Aufgabe zusammen hängt.

Man könnte meinen, dass insbesondere beim berufsfeldspezifischen Wissen noch am ehesten die Uni punkten kann, etwa wenn man Betriebswirtschaftslehre studiert hat. Aber einem Kommilitonen, der mit einem guten Abschluss in der Finanzbuchhaltung eines großen Unternehmens landete, wurde erst einmal ein Weiterbildungsprogramm verordnet. Er bekam von seiner Firma einen Kurs an der Hamburger Akademie für Fernstudien (HAF) in “Bilanzbuchhalter International”. Er jedenfalls war davon trotz des erheblichen zeitlichen Aufwands (er sollte das natürlich in seiner Freizeit absolvieren) begeistert und hat dort mehr gelernt (Inhalte habe ich hier gefunden als pdf)  als in seinem Hauptstudium, in dem er freilich um das Thema Finanz- und Rechnungswesen einen großen Bogen gemacht hatte.

Bei der ergänzenden Recherche für diesen Beitrag ist mir dann erneut bewusst geworden, was für ein Riesenmarkt das Thema Weiterbildung geworden ist. In einer Übersicht über “Fernlehrgänge zum Bilanzbuchhalter” werden allein 8 Ausbildungsstätten gelistet, wo man als Praktiker die Qual der Wal hat. Ob darin alle Anbieter enthalten sind, kann ich natürlich genau so wenig beurteilen, wie die Qualität (ist nicht mein Spezialgebiet).

Jedenfalls profitierte der frühere Studienkollege von der von seinem Arbeitgeber bezahlten Weiterbildung, zumal er “Theorie und Praxis” sehr eng verzahnen konnte. Leider geht es längst nicht allen Absolventen so gut. Die Hans Böckler Stiftung stellte in einer Studie fest, dass die berufliche Weiterbildung “einem Selektions- und Segmentationsmechanismus unterliegt”. Das mag ich hier zwar nicht vertiefen, wurde aber von unserer  Alumnirunde bestätigt. Längst nicht jedes Unternehmen investiert in gleichem Umfang in die Qualifikation der eigenen Mitarbeiter.

Aber es sollte keine Entschuldigung sein, wenn das Unternehmen die Weiterbildung nicht fördert. Schließlich steht es jedem offen, freiwillig einen Kurs an einer Fernakademie oder -uni zu belegen. So wie ich aus unserem Kreis hörte, ist dabei weniger der finanzielle Aufwand ein Hindernis, sondern eher der innere Schweinehund. Das eigentliche Lernen beginnt erst nach der Ausbildung. “Lebenslanges Lernen ist wie eine Muskelübung”, übertitelte die FAZ mal einen Beitrag. Hätten wir diese Überschrift vorher gekannt, hätten wir der Aussage sicher voll zugestimmt.

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