Wie realitätsfern können Ökonomen sein?

by Karl-Heinz Thielmann on 25. Februar 2014

Mir passiert es nur noch selten, dass ich beim Lesen eines von deutschen Ökonomen verfassten Zeitungsartikels fast vom Stuhl falle, obwohl man da nicht selten arg Verwunderliches lesen kann. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereiches Öffentliche Finanzen am ZEW Mannheim, hat dies letzten Freitag aber verursacht. In der Börsenzeitung vom 21.2.2014 hat er unter dem Titel Fehldiagnose „finanzielle Repression“ einen Artikel veröffentlicht, in dem er versucht zu begründen, warum die derzeit niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten das Ergebnis normaler Marktprozesse sind.

„Niedrige Renditen für deutsche Sparer sind nicht das Ergebnis politischer Einflussnahme, sondern allein Ausdruck der Marktlogik“, schreibt er. Wenn Anleger Zinsen unter der Inflationsrate akzeptieren, so tun sie dies freiwillig. Die Begründung ist : „Denn erstens ist der Weltkapitalmarktzins seit Jahren fallend…“ (der Zins fällt also, weil der Zins fällt) und zweitens gibt es kollektiv eine „krisenbedingte Flucht in sichere Häfen“ (die merkwürdigerweise auch über 5 Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise noch unvermindert anhält und mit der die Geldpolitik natürlich überhaupt nichts zu tun hat).

„Niemand zwingt einen deutschen Sparer, Bundesanleihen zu kaufen.“ stellt Heinemann fest. Dies ist zwar richtig, aber 1) investieren Sparer nicht ihr Geld in Anleihen, sondern legen es auf das Sparbuch, wo die Zinsen schon immer sehr niedrig waren; und 2) werden Stiftungen und Versicherungen aufgrund ihrer restriktiven Anlagevorschriften sehr wohl angehalten; einen Großteil ihrer Mittel in Bundesanleihen zu stecken.

Offenbar hat sich Herr Heinemann noch nie mit einem Renten-Fondsmanager bei einer Institution unterhalten, die bestimmten gesetzlichen Sicherheitsanforderungen genügen muss, obwohl diese nicht selten sind.

Dies ist erstaunlich, da ja das ZEW angeblich monatlich 350 sog. Kapitalmarktexperten befragt, um zu seinem bekannten Konjunkturerwartungsindex zu kommen, und daher ja eigentlich über hervoragende Kontakte in die Finanzbranche verfügen müßte. Aber die müssen ja nur ähnlich wie im Multiple Choice Verfahren ein paar Fragen auf vorgegebene Art beantworten. Nach weiterführenden Informationen haben sich die Spitzenforscher beim ZEW bisher anscheinend noch nicht erkundigt.

Vielleicht hat ja das ZEW aber auch spezifische Auswahlkriterien für ganz besondere Experten. Denn der ZEW-Index ist in den letzten Jahren komischerweise immer genau dann eingebrochen, wenn der DAX vorher abgesoffen ist. Das schafft nicht jeder Konjunkturindex.

Man mag ja über die Ursachen und Konsequenzen von finanzieller Repression geteilter Meinung sein. Dass wir sie an den Kapitalmärkten derzeit haben, steht aber unzweifelhaft fest.

Um dies nicht zu sehen, muss man schon einen ziemlichen Knick in der Optik haben. Oder man muss ein realitätsferner Ökonom in einem Elfenbeinturm mit fest zubetonierten Fenstern sein, was dann wieder ein besonderes Schlaglicht auf den bedauernswerten Zustand der Volkswirtschaftslehre in unserem Land wirft.

Beate Februar 27, 2014 um 16:09 Uhr

Ein Grund für die niedrigen Zinsen ist die Investitionsunlust der Unternehmen. Die Investitionsverweigerung beruht auf einem temporären Nachfragemangel, da die Verbraucher(sinkende Löhne) sich, trotz expansiver die Banken stützender Geldpolitik noch nicht das Bonitätsvertrauen der Banken wieder erschleichen konnten. usw.

Es gibt keinen Grund pessimistisch in die Zukunft zu sehen.

GfK.

Geld für Konsum wird durch steigende Vermögenspreise und dem Drehmotor – Refinanzierung von Krediten zum Erwerb von Vermögen – in genügender Höhe bald neu geschöpft werden können.

Kopfschüttler Februar 25, 2014 um 22:24 Uhr

Na dann kann man ja nur hoffen, dass Herr Heinemann nicht wirklich seinen Unfug glaubt. Kann ja nur an seinen Betätigungsfeld liegen, wie es seine Vita andeutet.

Jens Februar 25, 2014 um 18:07 Uhr

Hallo Herr Thielmann,
Herr Heinemann meint mit den „Marktkräften“ einfach nur das normale Spiel von Angebot und Nachfrage.Da die Gläubiger in der „Eurokrise“ weitestgehend ungeschoren blieben, treffen ein unverändertes Kreditangebot auf eine krisenbedingt gesunkene Kreditnachfrage. Ergebnis: Minizinsen. Natürlich ist dies das Ergebnis politischer Einflußnahme- aber anders als Sie denken.
Der eigentliche Skandal ist meiner Meinungnch die Weigerung der deutschen Öffentlichkeit zu erkennen, das die EZB dem deutschen Sparer den Hintern gerettet hat, indem sie die Banken der PIIGS-Staaten mit Liquidität vollpumpte. Nur so konnten Letztere ihre Gläubiger im Norden auszahlen.By the way :das umstrittene OMT wirkt in die selbe Richtung als Subventionierung der Gläubiger.
Und was passiert hier? Nachdem die Feuerwehr gelöscht hat beschwert man sich über den Wasserschaden…
Gruß, Jens

Karl-Heinz Thielmann Februar 25, 2014 um 19:39 Uhr

Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, dass die Wirkungen der finanziellen Repression in der Öffenlichkeit oft falsch gesehen werden. Das war aber hier nicht mein Thema.

In der Tat denke ich, dass wir es alles andere als mit normalen Marktkräften zu tun haben. Wenn der Staat Wertpapiere herausgibt; gleichzeitig regulatorisch diese als „am sichersten“ definiert und weiterhin bestimmten Kapitalsammelstellen vorschreibt, nur in diesen zu investieren (genau diesen Mechanismus sieht Herr Heinemann nicht), dann ist dies ein enormer Markteingriff, der die normalen Mechanismen von Angebot und Nachfrage ausser Kraft setzt.

telegucker Februar 25, 2014 um 15:57 Uhr

Da bleibt nur zu sagen: Ökonomie/Wirtschaftswissenschaften= das einzige Fach, in dem in jedem Jahr auf die selben Fragen andere Antworten richtig sind.

egghat (@egghat) Februar 25, 2014 um 11:59 Uhr

Das ist ein echter ROTFL Artikel …

Wahrscheinlich ist es besser, dass in den meisten makroökonomischen Modellen kein Finanzmarkt vorhanden ist. Denn wenn die Volkswirte den Finanzmarkt derart fehlverstehen wie Heinemann, sollte man die Finger besser davon lassen …

Jens Februar 26, 2014 um 13:47 Uhr

Niemand zwingt den deutschen Sparer, Rentenversicherungen abzuschließen.
Gruss, Jens

chriwi Februar 25, 2014 um 07:36 Uhr

Wer ist denn nun verantwortlich für die niedrigen Zinsen? Sicher müssen Renten- und Krankenversicherungen in sichere Anlagen investieren. Diese sind knapp so dass die Zinsen sinken. Des Weiteren sind die Wachstumsraten nicht gerade überagend. Da Zinsen aus Wachstum generiert werden ist es meiner Ansicht nur logisch das sie niedrig sein müssen. Das die Menschen in vermeintlich sichere Anlagen flüchten sieht man an den steigenden Immobilienpreisen. Es wird eher in einer zu teures Haus investiert, als das Geld zu sparen. Ich finde den Artikel etwas zu grob gefasst. Ein wenig mehr Detailkritik wäre angemesse.

Dividenden-Sammler Februar 25, 2014 um 02:13 Uhr

Die Versicherungen können auch nicht mehr so wie sie wollen in Aktien investieren.
Sie müssen wohl oder übel auf Anleihen ausweichen, auch wenn sie wissen, das sie dafür kaum bis kein Geld bekommen!

Ich habe größten Respekt vor schlauen Leuten.
Aber in diesem gezielten Fall würde ich den Leiter des Forschungsbereiches Öffentliche Finanzen eher als wenig kompetent einstufen.

Beste Grüße
D-S

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