Krieg und Frieden

by Karl-Heinz Thielmann on 11. April 2014

Durch den Anschluss der Krim an Russland sowie die kaum verhohlene Drohung, notfalls auch in weiteren Teilen der Ukraine zu intervenieren, wurde ein lange verdrängtes Thema wieder auf die Tagesordnung gesetzt: Krieg.

Dabei sind Kriege bzw. Kriegsdrohungen heutzutage an sich gar nicht selten: Weite Teile Sudans, Afghanistans und Syriens sind nach wie vor Kampfgebiete. Länder wie Nordkorea nützen die Drohung eines Raketenangriffs regelmäßig als Druckmittel aus. In Libyen ist erst vor Kurzem ein blutiger Bürgerkrieg zu Ende gegangen. Wenn allerdings eine Atommacht wie Russland seine Armee in Marsch setzt und Landesgrenzen neu zieht, bekommt die Kriegsgefahr eine neue Qualität.

In der öffentli­chen Diskussion ist Krieg vor allem ein moralisches Thema, über die wirt­schaftlichen Folgen wird kaum reflektiert. Öko­nomen haben ein großes Problem mit diesem Thema und äu­ßern sich nur sehr ungern dazu. Dies mag einerseits damit zusammenhän­gen, dass sich Kriege und ihre Konsequenzen unglaublich schlecht in ökonomische Modelle integrieren lassen. Andererseits wissen Ökonomen auch nicht so recht, wie sie Krieg mit ihrer Grund­annahme rationalen Verhaltens vereinbaren können. Zwar kann man Krieg bzw. Rüstungsausgaben als rationales Handeln definieren, wenn man sie als Mittel zur Sicherung oder den Er­werb von Eigen­tumsrechten an Land oder Wirtschaftsgütern sieht. Allerdings rüttelt man mit der Sicht­weise eines möglicherweise vernünftigen Krieges heutzutage an ein gesellschaftliches Tabu.

„Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ hat der preußische General Carl von Clau­sewitz einmal geschrieben und damit die Begründung für einen „rationalen“ Krieg geliefert. Dessen Logik ba­siert auf der Idee, dass man einem anderen Land etwas wegnehmen kann, wenn die eigenen Kosten hierfür gerin­ger sind als der Zugewinn. Eine solche Denkweise beruht jedoch – einmal ganz abgesehen von den humanitären Folgen – auf einer zweifachen Illusion.

Zum einen wird in der Gesamtbetrachtung derjenige, dem man etwas wegnimmt, i.d.R. so stark geschädigt, dass am Ende weniger für alle übrig bleibt. Dies ist das typische Problem des „Moral Hazard“, der Selbstbereicherung auf Kosten der Allgemeinheit. Die Idee vom rationalen Krieg spiegelt insofern den Grundwiderspruch zwischen in­dividueller und kollektiver Rationalität wieder.

Zum anderen sind die Kosten von Kriegen nicht annähernd kalkulierbar. Sie eskalieren, weil Gegner und die Fol­gen fast immer völlig unterschätzt werden. Mit dem amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65 wurde zudem der Krieg und damit seine Zerstörungskraft industrialisiert; seitdem gibt es Massenvernichtungswaffen. Nach dem ersten Einsatz der Atombombe 1945 wurde zudem klar, dass jede Auseinandersetzung, in die Atommächte in irgendeiner Form involviert sind, die Gefahr der totalen Vernichtung der menschlichen Zivilisation birgt. Die lange Friedensperiode in weiten Teilen der Welt seitdem ist nur darauf zurückzuführen, dass rationales Abwägen der Kosten und Nutzen eines Krieges bei den großen Mächten eine klare Antwort ergab.

Kriege oder Kriegsdrohungen zur Sicherung bereits bestehender Rechte mögen zu recht­fertigen sein, zumindest wenn diese Rechte nicht illegitim erworben wurden. Doch was ist ein bestehendes Recht? Russland rechtfertigt seine Aktionen in der Ukraine erstens mit dem Schutz russischer Minderheiten, zweitens mit der geostrategischen Bedeutung der Krim für die russische Schwarzmeerflotte, sowie drittens mit einer zu befürchtenden Schwächung der eigenen Machtposition durch eine verwestlichte Ukraine. Vielleicht hat die Regierung in Moskau ebenfalls Angst vor einem Überschwappen der Demokratiebewegung. Verteidigt sich Russland nur?

Verteidigung war auch in der Vergangenheit fast immer die Rechtfertigung für kriegerische Aktionen. Manchmal war dies offensichtlich vorgeschoben wie beim nazideutschen Überfall auf Polen 1939 („Seit 5.45 wird jetzt zurückgeschossen“). In den Ersten Weltkrieg hingegen stolperten die Großmächte hingegen mehr oder minder in den Krieg, weil sie glaubten, sich gegeneinander verteidigen zu müssen, wie der Historiker Christopher Clarke in seinem in letzten Jahr erschienenen Buch „Die Schlafwandler“ zeigte. So resultierte die Kriegserklärung Deutschlands aus der russischen Generalmobilmachung, die wiederum eine Reaktion auf österreichische Aufmarschpläne gegen Serbien war. Diese waren das Ergebnis eines Anschlags auf das Thronfolgerpaar in Sarajevo, in das führende serbische Politiker verwickelt schienen.

Einigen nationalistischen Feuerköpfen gelang es 1914, einen Teufelskreis von Bedrohungsgefühlen auszulösen. Schritt für Schritt eskalierte dann ein lokaler Konflikt immer weiter, bis ein Weltkrieg mit Millionen von Toten das Resultat war. Einige unangenehme Parallelen zur heutigen Situation in der Ukraine drängen sich auf. Insbesondere wenn man die Aktionen nationalistische Fanatiker betrachtet und sieht, welche Ängste sie damit auslösen und „Verteidigung“ provozieren, wirkt dies besorgniserregend.

Für einen ökonomisch denkenden Menschen völlig un­verständlich sind Kriegsgründe, die im irrationalen Bereich liegen und im blanken Hass gegen andere resultieren. Diese sind zumeist religiös oder nationalistisch motiviert und damit rational nicht fassbar. Unser Wirtschaftssystem hingegen basiert auf der Einsicht, dass vor allem der friedliche und möglichst unbehinderte Austausch von Waren und Dienstleistungen Wohlstand schafft. Genau dies stellen aber blind wütende Fanatiker infrage, die sich weder um das eigene Leben noch um ma­terielle Dinge scheren. Ihnen geht es nur um die Vernichtung des Gegners, koste es, was es wolle.

Krieg ist nicht nur die Quelle unendlichen menschlichen Leids, sondern er steckt auch hinter vielen grundle­genden wirtschaftlichen Problemen wie der Inflation. Schon die römischen Kaiser hatten eine Verschlechterung des Münzwer­tes als Mittel der Kriegsfinanzierung entdeckt. Das Budgetdefizit der USA ist in den vergangen 100 Jahren zwei­mal aus dem Gleichgewicht geraten, einmal wegen des Zweiten Weltkriegs, zuletzt wegen der Inter­vention im Irak 2003. Das erste Defizit wurde durch niedrige Zinsen verbunden mit einer leichten Inflationierung beseitigt, was seitdem gemeinhin als finanzielle Repression bezeichnet wird. Die Zeche zahlten die Sparer. Heutzutage läuft es wieder auf finan­zielle Repression heraus, wie stark die Inflatio­n werden wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Die Dummen werden so oder so wieder die Anleger in festverzinslichen Wertpapieren sein.

Das „Credit Suisse Glo­bal Investment Returns Yearbook“ der Forscher Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton veröffent­licht jährlich inflationsberei­nigte Performancevergleiche für verschiedene Länder und Anlageformen. Hierbei zeigt sich, dass Investoren mit Bargeld, Sparbüchern und festverzinslichen Wertpapieren im Kriegsfalle praktisch im­mer stark benachteiligt waren. Bei Kriegsverlierern wie Deutschland 1945 ging dies bis zum Totalverlust; bei Kriegsgewinnern wie den USA oder Großbritannien gab es längere Perioden mit langfristig negativen realen Zinsen. Deutliche reale Wertgewinne bei Anleihen konnten nur in großen Renten-Bullenmärkten (wie in den letzten Jahren) erzielt werden. Die besten langfristigen Renditen bei Renten konnten nur Länder verbuchen, die sich im Kriegsfall neutral verhielten wie die Schweiz (12,3fachung 1900-2013) oder Schweden (17,7fachung 1900-2013).

Für Ak­tionäre hing die langfristige reale Ren­dite eines Aktienmarktes in der Vergangenheit sehr stark davon ab, ob ein Land Kriegsschauplatz war oder nicht. So haben sich sich zwischen 1900 und 2013 die realen Werte der Aktien in den Hauptschauplätzen der Weltkriege Deutsch­land und Frankreich um das 38fache bzw. das 35fache erhöht. Kriegsgewinner Großbritannien war vor allem von dem Luftkrieg betroffen und erzielte im gleichen Zeitraum einen Zuwachs von 372%. Am meisten konnten die USA und Austra­lien zulegen, die an den Weltkrie­gen siegreich teilnahmen, Kämpfe aber von ihren Territorien fernhalten konnten. Dort stiegen die Werte der Aktien im gleichen Zeit­raum um das 1.248fache bzw. um das 3.332fache.

Die Aktienmärkte der neutralen europäischen Länder Schweden und Schweiz erzielten in dieser Periode eine reale Wertsteigerung um das 601fache bzw. das 137fache. Ganz böse hingegen erging es unterge­gangenen Monar­chien wie Österreich oder Russland. Im ehemaligen Habsburger Reich kollabierte der Wert der Aktien in den 20er Jahren derart, dass in der Gesamtperiode von 114 Jahren gerade mal eine Wert-Verdoppelung herauskam. In Russland führte die aus der Kriegsniederlage folgende Revolution 1917 zu einem Totalschaden bei allen Anlegern, egal, ob sie in Ren­ten, Aktien oder Immobilien investiert hatten.

Man könnte jetzt natürlich argumentieren, dass man als Anleger vor allem auf Aktien in Ländern setzen sollte, die in anderen Regionen der Erde erfolgreich Krieg führen. Abgesehen vom Zynismus dieses Arguments übersieht man aber, dass in einer globalisierten und integrierten Welt mit Atomwaffen und Terrorismus eine solche Vorgehensweise nicht mehr funktioniert.

Es gibt derzeit eine weitverbreitete Angst vor dem nächsten Finanzmarktcrash und diese ist berechtigt. Allerdings erscheinen die hieraus resultierenden Gefahren vernachlässigbar im Vergleich mit den Kosten, die ein Krieg mit sich bringen würde. Die nächste Finanzkrise wird nur das Wirtschaftswachstum um ein paar Prozent vermindern, ein zu­künf­tiger Krieg gefährdet die Wirtschaft sich. Zwar ist derzeit die Gefahr einer direkten bewaffneten Auseinandersetzung zwi­schen den Großmächten praktisch auszuschließen. Die Konflikte um die Ukraine, Nordkorea, Syrien, Palästina, Afghanistan, Irak oder Iran sind Brandherde, bei denen eine weitere Ausbreitung nicht ausgeschossen werden kann. Auch regional begrenzte Konflikte können viel Geld kosten, wie gerade die USA mehrfach erfahren mussten. Durch den Terro­rismus steht zudem die Drohung eines glo­balen Guerilla-Krieges im Raum, dessen Fol­gen nicht unterschätzt werden dürfen.

Möglich ist weiterhin, dass die Großmächte „Stellvertreterkriege“ ausfechten lassen, wie zu den Hochzeiten des Kalten Krieges beispielsweise in Vietnam. Sehr wahrscheinlich ist, dass die in den vergangenen Jahren erfolgte Abrüstung zumindest teilweise wieder rückgängig gemacht wird. Abgesehen von den Fällen, in denen militärische Forschung zivile Innovationen nach sich gezogen hat, ist jede Form von Rüstung rein ökonomisch gesehen eine unproduktive Verschwendung von Ressourcen. Diese kann sich gerade ein Land wie Russland eigentlich überhaupt nicht leisten. Steigende Budgetdefizite und wieder anziehende Inflationsraten scheinen weltweit vorprogrammiert. Dies sollte insbesondere die Käufer „sicherer“ Staatsanleihen beunruhigen.

Moderne Stellvertreterkriege werden übrigens nicht nur in der 3. Welt geführt, sondern verlagern sich zunehmend in den virtuellen Raum des Internets. Die öffentliche Aufregung über die Abhöraktionen der NSA in den letzten Monaten übersieht eine viel gefährlichere Entwicklung: Hackerangriffe, hinter denen Regierungsstellen von großen Schwellenländern vermutet werden, sind längst Alltag für IT-Experten. Über diese und auch über mögliche Gegenaktionen ist noch wenig bekannt, die hieraus resultierende Gefahr für die globale wirtschaftliche Entwicklung ist jedoch immens.

Frieden ist nicht selbstverständlich. Dass Investmenterfolg nicht nur mit der Auswahl der richtigen Anlagen, sondern auch mit einem friedlichen Umfeld zu tun hat, machen wir uns alle nur ungern bewusst. Länder wie Schweden, die Schweiz oder das Nachkriegs-Deutschland haben ihren wirtschaftlichen Erfolg nicht unwesentlich der Tatsache zu verdanken, dass sie sich aus bewaffneten Konflikten weitestgehend herausgehalten haben. International agierende Konzerne, die in Friedenszeiten glänzende Geschäfte machen und deren Gewinne die Börsen in den letzten Jahren nach oben getrieben haben, können in Krisenzeiten auf einmal als Sündenböcke für nationalistische Propaganda dienen. Ihre IT kann man lahmgelegen, man kann sie behindern oder sie sogar enteignen. Bei allem Ärger über Finanzkrisenverursacher wie z. B. gewisse Investment-Banker mit ihren exzessiven Boni etc. sollte klar sein, dass in der Kriegstreiberei eine viel schlimmere Gefahr für unser komplexes Wirtschaftssystem begründet liegt als in den breit diskutierten Problemen des Finanzmarktes.

Dieser Beitrag erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 24 vom 7. April 2014.

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