Mythos Mittelstand? Mittelstand ist ein Prinzip der Wertschöpfung

by Udo Stähler on 15. April 2014

Ein Gastbeitrag von Udo Stähler*

Es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis es wieder einmal einer nicht mehr aushalten kann, dass mit dem „Hype“ um den Mittelstand von Angela Merkel bis zu Sigmar Gabriel vor allem „Lokalfolklore und Selbstbeweihräucherung“ fröhliche Urständ feiern; wie jüngst mit diesen Worten Herr Schrinner im Handelsblatt nach dem Studium der Umsatzsteuerstatistik (!?). Wenn Mittelstand – wie hier – als Gruppe von Kleinunternehmen definiert wird, belegt die Umsatzsteuerstatistik natürlich so wenig die Tauglichkeit des Mittelstandes als „Rückgrat unserer Wirtschaft“ wie es der Shareholder Value für kapitalmarktfähige Unternehmen täte, wenn wir das Prinzip der Wertschöpfung als Maßstab heranzögen.

Wer und was ist denn nun „Mittelstand“, über den sich alle so freuen, ohne dass ihn einer wirklich beschreiben oder seinen Beitrag zur Wertschöpfung auf den Punkt bringen kann. Mittelständisch ist ebenso wenig eine Frage der Größe wie die Kapitalmarktfähigkeit von Familienunternehmen mittelständische Unternehmensführung ausschließt. Ludwig Erhard hat es erläutert, aber keiner wollte was draus machen, weil das dünne Eis, auf dem das eigene wirtschaftstheoretische Credo schliddert, möglicherweise eingebrochen wäre. Der Mittelstand könne materiell in seiner Bedeutung nicht voll ausgewogen werden, sondern er sei viel stärker ausgeprägt durch seine Gesinnung und eine Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen und politischen Prozess, sagte Ludwig Erhard 1955 auf einer Arbeitstagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft in Bad Godesberg.

Ich bin weit davon entfernt, Erhard à la Wagenknecht als wehrlosen Schützenhelfer für dialektische Nebelkerzen aus dem Hut zu zaubern oder ihn à la Tichy vor seinen Missinterpreten zu schützen; gestehe jedoch gerne ein, dass dieser menschliche Ordoliberale der Definition „Mittelstand“ näher war als jeder heutige Wissenschaftler. Diese versuchen jenseits von Schrinners Kleinunternehmer-Irrtum, sich der Erklärung des corpus delikti anzunähern mit den Merkmalen Einheit von Eigentum und Leitung sowie Umsatz und Beschäftigung; so z.B. in dem Gutachten des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Mittelstand im globalen Wettbewerb. Das IfM wagt sich dabei weit vor, weil es sich in seinem methodischen Ansatz explizit auf Ludwig Erhard bezieht. Was zumindest verhindert, dass die Umsatzsteuerstatistik jede Chance auf Erkenntnis sabotiert.

Doch auch diese Untersuchungen und Beschreibungsversuche nutzen nicht das Angebot Erhards, die Marktfunktionsbedingungen herauszuarbeiten, die erst möglich machen, dass Mittelstand eine Frage der Gesinnung und Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen Prozess sein kann. Die Maßnahmen zur Optimierung einer Produktion (oder Dienstleistung) entfernen sich von der „Gesinnung und Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen und politischen Prozess“, von der Erhard sprach, wenn die Ressourcenverteilung eine Funktion des Kapitalmarktes wird. Die Genialität des Erhard’schen Ansatzes erkennen wir, wenn wir die Funktionsbedingungen auf dem Gütermarkt im Konzert mit den Handlungsvoraussetzungen betrachten, die der Kapitalmarkt dem Gütermarkt gibt. Das mittelständische Unternehmen steht an einem Scheidepunkt, wenn Liquidität und Kapital von der Ressource zum Investment werden; der Kapitalmarkt wird vom Dienstleister zum Shareholder. Die Wissenschaftler des IfM kommen trotz ehrenwerter Bemühungen – dies nur nebenbei – auch nicht recht vom Fleck. Gerade weil sie eben doch (armer Ludwig Erhard) den „Mittelstand nur vom materiellen her begreifen“, erkennen sie in o.g. Gutachten bei den Internationalisierungshürden keine signifikanten Unterschiede zwischen Mittel- und Großunternehmen.

Die Handlungsbedingungen für die Wertschöpfung verändern sich, wenn Unternehmen den Kapitalmarkt bedienen müssen. Dort ist das oberste Ziel die Überweisung an einen Shareholder. Die Kritik aus dem Mittelstand an dieser Unternehmenssteuerung hat hier ihre Wurzeln. Die Wertschöpfung ist bei Unternehmen an der Leine des Kapitalmarktes ein Mittel zur Generierung des Shareholder Value. Wenn gar Investoren in Unternehmen einsteigen, an denen sie kein strategisches Interesse haben, sondern ausschließlich am kurzfristigen Cash-Flow für ihren Return on Investment, ob durch Unternehmensteilungen oder Ausschüttungen, interessiert sind, wird das Desinvestment zum Programm für Eigenkapitalverzinsung. Märklin ist nur ein Beispiel. Die Handlungsbedingungen des Kapitalmarktes haben das oberste Unternehmensziel verändert. Wenn Wertschöpfung – in industriell produzierenden Unternehmen – noch stattfindet, ist sie Mittel zur Produktion von Cash-Flow für den Kapitalmarkt.

Ich bekenne an dieser Stelle, seit meinem Studium und bestätigt durch Operationen in der Realwirtschaft, ausschließlich die industrielle Wertschöpfung im Auge zu haben, welche durch Dienstleistungsunternehmen lediglich erhöht wird. Dienstleister schöpfen Wertschöpfung ab, an deren Entstehung sie nur Anteil haben, wenn sie industrienahe Dienstleistungen anbieten.

Die Wertschöpfung des Mittelstandes, ob das Unternehmen nun klein oder groß, ob regional oder international, hat ihre legendäre Stabilität solange, wie das Ziel der Wertschöpfung nicht von letztlich die Wertschöpfung aushöhlenden Zielen des Kapitalmarktes beiseite gedrängt wird. Schäffler war ein großer eigentümergeführter Mittelständler und seine Stabilität geriet ins Wanken, weil die Unternehmensleitung nicht mehr die Wertschöpfung auf ihrem industriellen Kernmarkt, sondern den Shareholder Value zur Handlungsmaxime gemacht hat… und Hybris die Eigentümer berauschte.

Für den Manager der mittelständischen Wertschöpfung, ob Eigentümer oder Angestellter, ist der Cash-Flow ein Instrument zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit; und nicht zur Sicherung der Ausschüttung an den Investor. Die Unternehmenssteuerung hat daher mittel- und langfristige Instrumente und die Unternehmensleitung stellt sich der regionalen und der Verantwortung für nachhaltige Unternehmensaktivitäten. Sowohl als Banker im Firmenkundengeschäft als auch als Manager auf Zeit im Immobilienbereich kann ich bestätigen, dass wir dieses Wertschöpfungsprinzip nicht erkennen, wenn wir den „Mittelstand nur vom materiellen her begreifen“ (Ludwig Erhard).

Mittelständische Unternehmen „bewegen sich zwischen Werten, Tradition und Innovation“, wie die Präsidentin des IfM in „Der Mittelstand, Deutschlands Geheimwaffe“, festgestellt hat. Wir wissen alle, dass Unternehmensführung vom patriarchalischen Durchregieren des „Alten“ über Management by Commitment bis zur basisdemokratischen Ereignisbewältigung geht. Entscheidend ist aber, dass in mittelständischen Unternehmen die Führungsmethoden unmittelbar vom Kontakt zu Mitarbeitern und Markt leben. Mittelständische Unternehmen sind unmittelbarer den Markt- und Reaktionen der Stakeholder ausgesetzt. Mittelstand ist ein Prinzip der Wertschöpfung, das sich an den Marktfunktionsbedingungen des Gütermarktes und nicht am Kapitalmarkt orientiert.

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*) Udo Stähler ist Diplom Volkswirt und Interim Manager. Er war über 25 Jahre in leitenden Funktionen im Firmen- und gewerblichen Immobilienkundengeschäft von Bankkonzernen tätig.

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