Ist das Modell Deutschland ein Modell für die nachlassende Wertschöpfung in Europa? Teil 2

by Udo Stähler on 25. April 2014

Das Modell Deutschland, ein Kind der Europäischen Union, beruht auf den Eckpfeiler internationaler Ausrichtung, Innovationsstärke und Sozialpartnerschaft. Auf der anderen Seite erkenne ich fehlende Ernsthaftigkeit bei der Pflege von Wertschöpfung, Innovation und Sozialpartnerschaft, schrieb ich in Teil 1.

Die Fortentwicklung des Modell Deutschland, dem Kind der europäischen Integration, fordert von Politik und Unternehmen, sich eben dieser europäischen Dimension der Entstehung und auch der Lösung bewusst zu werden. An erster Stelle und brandaktuell zu nennen ist die zwingend europäisch zu stemmende Energiewende. Doch auch Finanzmarkt und Infrastruktur von Breitbandnetzen bis Verkehrswege sind national wirtschaftliche Abenteuer. Paradoxerweise ist das Projekt des ökonomischen Flügels des euroskeptischen Rechtspopulismus, an der Spitze der AfD, eine wirtschaftsfeindliche Strömung. Analog gilt dies für die Frage eines Mehr oder Weniger von Ordnungspolitik zur Erhaltung und Sicherung der Wertschöpfung auf dem Gütermarkt. Das Modell Deutschland wird seine herausragende Funktion für die Stabilität und den Fortschritt nur behalten, wenn es gelingt, die Dienstleistungen des Kapitalmarktes wieder zu einer Funktion der Wertschöpfung auf dem Gütermarkt zu machen. Nicht „Übertreibungen“ im Investment-Banking, beschleunigt durch Anreizsysteme der Banken, haben die Krise verursacht. Die Entwicklung des institutionalisierten Vermögens- und Kreditmarktes vom Finanzdienstleister zu einem Kapitalmarkt mit Renditeformeln, die jenseits der stofflichen Grundlagen die Kapitalverzinsung optimieren, haben die Märkte ins Ungleichgewicht gebracht.

Die auf der 2. Tendenzwendekonferenz gefeierten Erfolge der Agenda 2010, die wesentlich der Unterordnung des Sozialen unter die ökonomisch begründeten Reformmaßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geschuldet sind, hat unser Fortschrittsmodell bei den Menschen diskreditiert. Eine Säule des Modell Deutschland, die Sozialpartnerschaft, wurde „on hold“ gesetzt, wenn nicht gar untergraben. Die Krise dieses Fortschrittsmodells ist das gesellschaftliche Pendant zur ökonomischen Krise eines Modell Deutschland, das in der Folge der Finanzmarkt- und der Krise der Staatshaushalte keinen breiten wirtschaftlichen Wohlstand mehr schafft. Auch das gehört zur Analyse seiner Zukunftsfähigkeit und seiner Rolle in und für Europa.

Die kritischen Stimmen zur Zukunftsfähigkeit des Modell Deutschland reduzieren den Handlungsbedarf i.d.R. auf Agenda2010 2.0.; sie knüpfen nicht an den Erfolgsfaktoren des Modell Deutschland an. Gerade diese müssen jedoch wiederher- und sichergestellt werden. Was sagt es in dieser instabilen Situation, wenn Investoren, insbesondere Internationale, sich verstärkt in Deutschland engagieren wollen. Was erwarten sie und was erwartet die Unternehmen? Bei 124 Übernahmen in Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz in den Jahren von 1995 bis 2010 verbuchten die Eigentümer zwischen Kauf und späterem Verkauf durchschnittlich eine Wertsteigerung um das 4,15-fache. Der Blick auf die Erfolge in der Vergangenheit und die Stärke, mit der das Modell Deutschland aus der Finanzkrise hervorgegangen ist, macht dies verständlich. Und da es ja nicht die verwirrend optimistische Meldung in „Börse vor 8“ am 01.04.14 (!) zum Einkaufmanager sein kann, die Kaufentscheidungen trifft, erschließt sich mir dieses Engagement nicht so ohne Weiteres.

Warum haben die wachsende Investitionslücke i.H.v. jährlich 3% des BIP, die auch auf die erwartete schlechte Auftragslage hinweist und insbesondere die faktischen Des-Investitionen der öffentlichen Hand als wichtigem Markt sowie die schwächer werdende Innovationskraft keine Auswirkungen auf die Kaufüberlegungen dieser Investoren. Da bei Investitionszurückhaltung, bei erwarteten schwach ausgelasteten Kapazitäten und schwindender Innovationskraft jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, das Unternehmen neu aufstellen, wird das vermehrte Interesse von Investoren nur ein Gewinn für die Unternehmen sein, wenn diese Investoren ein strategisches oder ein langfristiges Interesse haben.

So war – nur ein Beispiel – die Deutsche Beteiligungs AG in den vergangenen Jahren mit ihrem Investitionsfokus auf wachstumsstarke, profitable und international ausgerichtete Unternehmen − also Muster-Unternehmen des Modell Deutschland − erfolgreich. Im Vergleich zum Vorjahr wurden bereits weniger Transaktionen und ein insgesamt niedrigeres Volumen als in den beiden Vorjahren registriert. Die Krux ist die oben beschriebene schwindende Innovationskraft. Da dieser deutsche Investor nicht nach angelsächsischem Muster Unternehmen zum Ausschlachten sucht, schaut er sich das Geschäftsmodell an.

Des Weiteren sind bei einem längerfristigen Investment die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein weiterer Faktor für die Kaufentscheidung. Jetzt haben wir eine weitere Krux im Modell Deutschland. Der BDI-Chef Grillo kritisiert die konzeptlose Wirtschaftspolitik: „Ich kann im Moment keine Konzeption, keine Projekte, keine Richtung erkennen, wie diese Koalition den Industriestandort Deutschland bis 2017 und auch darüber hinaus weiterentwickeln will“. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo ich mir wirklich Gedanken mache um das Modell Deutschland; und dazu passt, dass vermehrt kurzfristig orientierte opportunistische Investoren auf die Jagd gehen.

Angefangen haben wir mit Kauders Freude darüber, dass in Europa wieder deutsch gesprochen werde und angekommen sind wir an der Stelle, wo bei allen historischen Erfolgen Kauders Frohgemut eher vor einer Bauchlandung für die Wertschöpfung in Europa warnt. Bildlich gesprochen sind wir als Tiger gesprungen und werden als Bettvorleger landen. Wir wollten herausfinden, welche Handlungsempfehlungen sich aus der bisherigen und zu erwartenden Performance des Modell Deutschland für Europa ergeben. Zahlreiche Colloquien widmen sich diesem Thema, die WELT warnt mittlerweile Europa vor dem deutschen Weg. Ich möchte mich auf einen Punkt konzentrieren: es muss uns gelingen, die Investitionslücke zu schließen, um aus Deutschland einen Beitrag zur Wiederherstellung der Wertschöpfung in Europa zu leisten. Erste Ansatzpunkte sind zu erkennen, den Kapitalmarkt wieder zum Dienstleister der Realwirtschaft zu machen und die soziale Balance in der Architektur des Modell Deutschland wiederherzustellen. Mut machte mir jüngst das Auftreten von DGB und BDI zu dem Thema Zukunft braucht Investitionen.

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*) Udo Stähler ist Diplom Volkswirt und Interim Manager. Er war über 25 Jahre in leitenden Funktionen im Firmen- und gewerblichen Immobilienkundengeschäft von Bankkonzernen tätig.

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