Die Rechtspopulisten und die Wertschöpfung. Wer gewinnt nach der Europawahl?

by Udo Stähler on 30. Mai 2014

Im Vorfeld der Europawahl fühlten Börsenbeobachter eine Angst der Investoren vor einem starken Stimmengewinn der Euroskeptiker. Oder war‘s der Wetterbericht? Am ersten Handelstag nach der Wahl erreichte der Dax gleich mal ein Rekordhoch. Auch in Frankreich legten fast alle Werte zu.Der Kapitalmarkt hat -wie das BVerfG- dem Europaparlament keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Die EZB hatte mit ihrem Anleihekaufprogramm nur die Wähler beunruhigt. Was wird aus der EU? Bestimmen Abschottungsforderungen des Rechtspopulismus oder Maßnahmen zur Erhöhung der Wertschöpfung die Agenda Europas?

Zwei Wochen vor der Europawahl warnte die Wirtschaftswoche, dass die Europäische Union in höchster Gefahr sei. Nach der furchterregenden Überschrift stolperten die Autoren von Ukraine über OMT zu „Japanisierung“, ohne einen inhaltlichen oder empirisch unterfütterten Zusammenhang. Auch in Gesprächen mit Geschäftspartnern oder Kunden gehen manchmal gefühlte und belegbare Sorgen auseinander; wenn aus Unsicherheit dann Wissen wird, folgen zielgerichtete Aktivitäten. Die WiWo jedoch dokumentiert, wie aus Unbehagen, vielen besorgniserregenden Einzelbetrachtung und einem eigentlich durchschauen wir das alles nicht trotzige Ansicht wird, dass es so nicht weitergehen kann. Dieses Unbehagen führte in Frankreich – gepaart mit großer Enttäuschung über die Realpolitik der bürgerlichen und sozialistischen Regierungen– zu einem Erdrutsch, in Deutschland wird nach der Europawahl eine Diskussion über die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Ordoliberalismus ohne Liberale zu führen sein. Ordoliberalismus halte ich für ungeeignet, die marktwirtschaftlichen Grundlagen der Wertschöpfung zu erhalten.

Paradoxerweise ist die von euroskeptischen Wirtschaftswissenschaftlern geprägte AfD eine nachhaltig wirtschaftsfeindliche Strömung, da ihr Mantra von der staatlichen Zurückhaltung aus dem Wirtschaftsgeschehen systemische Fehler bei der Allokation der Ressourcen ignoriert. Ihr Kernpotenzial – die 10,7% bei der Kommunalwahl in Frankfurt/Oder weisen auf ganz andere „Potenziale“ hin – liegt in den bürgerlichen, gut situierten Mittelschichten, die Wohlstandseinbußen befürchten; wenn noch ein Stimmungsmix aus Wut, Zorn und Neid hinzukommt und stimmungsbildend operationalisiert wird, haben wir ihn: den Rechtspopulismus. Rechtspopulisten haben ihre Foren daher sowohl am Stammtisch und auf elitären Professoren-Dinners als auch auf gesellschaftspolitischen Großveranstaltungen und Bücherlesungen. Den geschickten Schachzug Bernd Luckes, die AfD auf dem Sarrazin-Forum zu präsentieren, hat dieser mit dem für ihn charakteristischen Charme zurückgewiesen, da „man dort noch Ordnung schaffen“ müsse.

 

Bereits 2012 erfahren wir, dass Thilo Sarrazin, ehe er „zum Berufspopulisten wurde, (…) ein sehr erfolgreicher Technokrat“ gewesen sei. Sein Buch Europa braucht den Euro nicht sammelt Zahlen und wirft mit Statistiken; nicht gegen die europäische Idee, andererseits: irgendwas bleibt immer hängen… Zur Verbesserung des Verständnisses von Sarrazin als Stentor des Rechtspopulismus empfehle ich seine Anekdote aus „Der neue Tugendterror“, der Wehklage eines gekränkten Narziss: dort erzählt er von einer Bahnschaffnerin, die sein Martyrium des prominenten Rechtspopulisten auf den Punkt bringt: „Was Sie alles leiden müssen, nur weil Sie sagen, was wir alle denken.“  Die populistischen Bücher sind die Crackpfeifen der öffentlichen Debatte über alles, was uns nicht schmeckt. Mit den Büchern wachsen bei den Lesern die dort durchaus erkannten Unsicherheiten, auch wenn die Bücher inzwischen in den Bestsellerlisten abstürzen. Nicht verschweigen will ich, dass Peer Steinbrück – ein wirkliches Opfer von Kränkungen – Herrn Sarrazin, „der das deutsche Volk pragmatisch (und) unbelastet von politischen Korrektheiten“ vor Schaden zu bewahren vorgebe, „durchaus“ eine „ökonomische Akkuratesse“ attestiert .

Die Quelle des Rechtspopulismus ist das allgemeine Unbehagen und Unwohlsein vieler Menschen angesichts vermuteter Bedrohungen des eigenen Wohlstandes sowie des Ausschlusses vom Fortschritt. Dieses Unbehagen setzt der genannte Artikel der Wirtschaftswoche publizistisch, Bernd Lucke politisch und Thilo Sarrazin buchhalterisch in Szene.

Wer den Wahlerfolg der Rechtspopulisten auf einen Aufstand der Euroskeptiker, die laut Bertelsmann-Stiftung in Europa isoliert und zersplittert seien, reduziert, schlägt die Chance aus, die in Unbehagen und Unsicherheit liegenden Wurzeln des Populismus zu erkennen und entsprechend zu handeln. So bediente der Stern bereits mit seinem Urteil „Deutschland braucht Sarrazin nicht“ lediglich den linkspopulistischen Mainstream. Auf der anderen Seite wiederum bedient Sarrazin alle, die es den Eurokraten einmal zeigen wollen; leider bis hin zur theoretischen Aufrüstung des gestiefelten Hinterlandes der NPD.

Viele Politiker betonen und Kommentatoren der Ergebnisse der Europawahl fordern, dass sie sich nun mit den Rechtspopulisten auseinandersetzen müssten. Wenn wir uns damit dann auch mit den Nöten der Menschen auseinandersetzen, die in den euroskeptischen und rechtspopulistischen Parteien eine Gewähr für Fortschritt und Wohlstand vermuten, dann können die Parteien erreichen, dass die Menschen ihre Sorgen ernst genommen sehen und das wohlstandsfeindliche Credo der Euroskeptiker erkennen.

 

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Udo Stähler ist Diplom Volkswirt und Interim Manager. Er war über 25 Jahre in leitenden Funktionen im Firmen- und gewerblichen Immobilienkundengeschäft von Bankkonzernen tätig.

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