Analyse der EZB-Entscheidung Juni 2014 und die Fehler der deutschen Eurokrisenanalyse

by Gastbeitrag on 20. Juni 2014

Gastbeitrag von Arnbjörn Eggerz*

Anfang Juni hat die EZB ihre Entscheidung verkündet. Die drei wichtigsten Maßnahmen sind

a) negative Zinsen für Einlagen, die von Banken bei der EZB gehalten werden
b) eine leichte Reduktion der Leitzinsen
c) die Ankündigung eines speziellen Kreditprogramms und weitere Maßnahmen.

Die deutsche Reaktion

Die Reaktion in Deutschland war wie abzusehen sehr kritisch. Obwohl in der Zwischenzeit doch einige Kommentatoren, die Gefahr einer Deflation als real ansehen, war der Aufschrei der Inflationsauguren – und nicht nur dieser – groß. In der Summe ist festzuhalten, dass die Analyse der aktuellen Zentralbankpolitik als anhaltendes Krisenmanagement in den Medien und darüber hinaus in Deutschland mangelhaft ist. „Subventionen für die maroden Südländer", Finanzierung derer Staatschulden, Massenenteignung und Angriff auf die deutschen Sparer sind nur vier Kommentare. Auch wenn in jedem etwas Wahrheit steckt – eine gute und systemische Analyse, die dem Kontext der volkswirtschaftlichen Lage entspricht ist das nicht. Dies ist schlimm, denn Deutschland käme eine entscheidende Rolle in der Krisenbewältigung zu.

Nun ist es nicht so, dass ich die inzwischen im Mainstream der Debatte angekommen Überzeugung, dass Notenbanken durch Geldmengenwachstum Inflation und Marktverwerfungen erzeugen, nicht teilen würde. Ich denke nur, die Realität ist etwas komplexer.

Die (deutschen) Schwächen in der Analyse der Krise und EZB

Die Komplexität ergibt sich neben der Übertragbarkeit von Annahmen und Ergebnissen von Modellen sowohl von keynesianischer als auch von Seiten der österreichischen Schule, aus dem Totalversagen der europäischen Politik sowohl Eurobonds als auch Ausstiege aus dem Euro zu negieren, die zu einer völlig neue Interpretation des EZB Mandats führte. Zum zweiten aus einer nach wie vor unklaren Analytik über die Ursachen und Einordnung sowie Fortdauer der Krise.

Im Kern werden in Deutschland vier Fehler in der Analyse der aktuellen Entwicklungen gemacht:

  1. mit der Einordnung Eurokrise, die in Wirklichkeit eine Staatsschulden und Bankenkrise ist, wird die Situation nicht richtig erfasst
  2. die fehlende Berücksichtigung der Denkweise des Finanzmarkts und dessen Informationssignale in der Analyse
  3. das Beharren, dass ein gemeinsamer Währungsraum ohne gemeinsame Schuldtitel technisch funktionieren kann sowie politisch ungewollte Insolvenzen im Finanz und Staatssektor. In der Konsequenz ergibt das eine fehlerhafte Analyse der EZB-Politik
  4. Inflationsfixierung – angesichts der in meinen Augen andauernden „Euro"krise sind Preisinflation und Deflation die falschen Indikatoren und auch nicht vorausschauend.

Das Deflationsszenario ist real

Die Deflationsgefahr ist nämlich real. Betrachtet man den ganzen Euroraum, ist sie eine logische Folge der Sparmaßnahmen in einem System fixer Wechselkurse, d.h. der Anpassungspfad für Ungleichgewichte geht über reale Preise, wenn eine Währung nicht abgewertet werden kann.
Aber selbst das gewichtige Argument der Preisentwicklung ist nur eine sekundäres.

Die wirkliche Sorge der EZB gilt einer (partielle) Assetdeflation. Diese rührt von der Refinanzierung für Staatschulden, steigender Abgabedruck und Zurückhaltung bei der Kreditvergabe her. Also alles Faktoren, die ebenfalls deflationäre Tendenzen aufweisen.

Dazu kommt, dass die europäischen Banken nach wie vor nicht rekapitalisiert wurden. Die Höhe der notwendigen Rekapitalisierung beläuft sich dabei auf ca. 400 – 800 Milliarden Euro (Schätzung – siehe Link für Annahmen). Dieses Kapital muss von irgendwo kommen, d.h. die Geldmenge kommt im Moment nicht ins System.

aber die Inflationsindikatoren überwiegen doch …!

Dennoch verweisen viele Analysen auf steigende Geldmengen durch die extrem niedrigen EZB-Zinsen und die vorgenommenen Maßnahmen hin. Damit sehen sie die Grundlage für eine starke Inflation, auch wenn es das Zahlenmaterial nicht bestätigt.

Dieses Argument wurde in den letzten Wochen häufiger in verschiedenen Ausprägungen genannt. Im Kern werden zwei Punkte als Argument aufgeführt. Der erste Punkt ist, dass a) die inoffizielle Inflation sowieso viel höher ist und b) die EZB die Inflationszahlen künstlich niedrig hält, um Munition für Zinssenkung zu bekommen, d.h. die Inflation bald stark anzieht. Als Beispiel wird hier der Mindestlohn genannt, der bald schon für mehr Inflation in Deutschland sorgen soll.

Zweitens wird gerne auf den steigenden Dax und den Immobilienboom in Deutschland verwiesen, um damit einen Beleg für eine Assetinflation und damit auch allgemein Inflation zu haben und es als Beweis heran zu ziehen, dass die Deflationsgefahr eben künstlich ist.

Eine alternative Sicht auf die Inflationsrisiken

Ich habe bereits an anderer Stelle argumentiert, dass die dt. Inflationsfixierung reflexartig ist. Ein Teil der Argumente spiegelt dies wieder, denn die moderne vernetzte Volkswirtschaft des 21. Jahrhunderts mit multilateralen Interessen der Akteure, muss mit einer neuen Sichtweise analysiert werden.

Deshalb möchte ich kurz im Einzelnen darauf eingehen. Lassen Sie mich vor allem zwei frische Ansätze zu den ansonsten immer gleichen (auch richtigen) Argumenten hinzufügen. Das erste Argument ist realpolitisch und wurde von Flassbeck mit dem Namen asymmetrische Inflationswahrnehmung versehen. Ich leihe mir diesen Namen aus und benutze ihn für folgendes Beispiel:

Wann führt Inflation zu Reaktionen und ist eine Hyperinflation?

Was würde wirklich passieren, wenn die offizielle Inflation, sagen wir auf 5% in Europa stiege? Die folgende Aussage ist sehr pauschal, da man das Szenario im Einzelnen für jedes EU-Land durchspielen müsste, aber grob gesprochen würden die Deutschen protestieren und die Südländer sich freuen. Hätte das aber eine reale Konsequenz, außer in Form von Meinungsäußerungen und empörten Artikeln und AFD-Rundmails? Würde z.B. Deutschland sofort aus dem Euro aussteigen? Ist das bereits wirklich eine Hyperinflation? Ich denke nicht. Denn Hyperinflation entsteht meist erst bei einem völligen Zusammenbruch des Vertrauens in die Regierung. Das (5%) muss volkswirtschaftlich nicht gut sein, ist aber eine politische Option in der Eurokrise zur Entschuldung. Wenn es bloß dazu käme wünschen sich folglich so manche Zentralbanker.

Das zweite Argument ist etwas diffiziler, dennoch eine Überlegung wert. Eine These, die bei Iceventure lange benutzt wird ist, dass wir vermutlich in der Nähe eines säkularen Umbruchs sind der ca. alle 70 Jahre stattfindet. Dies basiert auf der Methodik des kulturellen/historischen Kontextes, der interpretativ Situationen vergleicht.
Doch was rechtfertigt diese Aussage und macht sie nicht nur zur reinen Marktschreierei? Dazu gibt es zwei Argumente, die eng miteinander verwoben sind und beide direkt mit Inflation zu tun haben.

Globalisierung als Inflationsdämpfer

Zum einen leben wir in einer globalisierten Welt. Erinnern Sie sich noch an die Diskussion des Inflationsbonus? In Kürze hieß es, dass der Preisdruck aufstrebender Industrienationen eine Ära von niedriger Inflation und Zinsen ermöglicht hat. Auch wenn dies aus der öffentlichen Diskussion verschwunden ist, heißt es nicht, dass der Trend nicht noch anhält. Unternehmen importieren doch nach wie vor aus China und optimieren durch Sourcing ihre Wertschöpfungskette.

Inflation und technologische Umbrüche

Der zweite Teilstrang der Argumentation ist, dass – trotz dem berechtigten Einwand von z.B. Peter Thiel, das technologische Innovation weit hinter den Erwartungen zurück bleibt (ein interessantes Argument, das es im Hinblick auf Inflation noch weiter auszubauen gilt) – es dennoch eine technologische Innovation gab – das Internet. Doch was bedeutet das konkret? Deflation – denn diese Innovation senkt die Preise. Ein Beispiel dazu: Zalando, Amazon und viele andere – sie senken die Preise. Ebenso verändert die Informationsverfügbarkeit durch das Internet viele Geschäftsmodelle. Auch das wirkt eher deflationär. Auswirkungen auf informationsgetriebene Geschäftsmodelle wie die von Finanzinstituten möchte ich hier ebenfalls nennen, auch wenn dieser Punkt hier nicht vertieft werden kann.

Es ist also nicht so leicht zu argumentieren, dass mit der aktuellen Zentralbankpolitik automatisch eine Inflation wie 1930ern in Gang gerät. So scheint der Mechanismus Lohn-Preisspirale im Moment eher vernachlässigbar, eben wegen der genannten Punkte.
Auch möchte ich mit den aufgeführten Argumenten zu einem Blick über den Tellerrand einladen. Denn alle, die gerne den historischen Vergleich zu 1929 ziehen, sollten dabei die globalen Ereignisse rund um dieses Ereignis berücksichtigen. So gab es zeitnahe eine Deflation in den USA ebenso wie eine lange Phase der Arbeitslosigkeit durch Umbrüche im landwirtschaftlichen Sektor. Diese Beispiele zeigen, dass es neben den gängigen Erklärungen der Eurokrise noch eine Reihe von weiteren Möglichkeiten der Ursachen und Entwicklungen gibt und der globale Kontext eine Rolle spielt. Ein Favorit für Ursachen sind z.B. merkantilistische Wirtschaftsmodelle, eine besondere deutsche Spezialität.

Ist es also ein Widerspruch, wenn jetzt die Börsen steigen? Nein überhaupt nicht. Denn in einer komplexen Welt können auch mehrere Szenarien parallel ablaufen, bis sich ein Trend durchsetzt – es kann also mehrere parallele Gleichgewichte geben.
Dazu ein einfaches Beispiel: Angenommen Sie müssten 100 Mio. Euro verwalten. Die Aufgabe ist primär Kapitalerhalt. Die Szenarien, die sie befürchten müssen, sind entweder Deflation oder Inflation. In beiden Fällen sind große Konzerne zumindest ein valider Put, in der Hoffnung, dass die Finanzkraft der Konzerne in beiden Fällen etwas Vermögen für den Anleger zurück lässt.

Zusammengefasst wurde hoffentlich deutlich, warum ich die Inflationsgefahr in dieser Situation, die immer noch von zu viel (Staats-)Schulden und Deleveraging gekennzeichnet ist, im allgemeinen und im Hinblick auf die Krisenursachen und -folgen im speziellen, deutlich niedriger einschätze.

Die Analyse und Sichtweise der EZB auf die Daten und die Konsequenzen für ihre Politik

Ich denke, dass ich damit den Schlussfolgerungen der Analysten der EZB einigermaßen nahe gekommen bin, bzw. sie richtig identifiziert habe. Dafür spricht, dass Draghis Hintergrund auf ein besseres Verständnis von Marktdynamik (er war bei Dornbusch am MIT) und vom Banksystem (Zeit bei GS) hinweist.

Was sind also die Signale und Handlungsoptionen nach Jahren der Eurokrise für Zentralbanker, wenn Inflation (vorerst) nicht zu befürchten ist?

Erinnern Sie sich dafür kurz mit mir an den Vorwurf, den Gegner von billigem Geld und die österreichische Schule machen. Laut diesen ist eine Zentralbank ein politisches Machtinstrument, das die Illusion der Kontrolle über Märkte und Businesszyklus sicherstellt. Was ist das primäre Instrument der Wahl dafür – Staatsschulden, nicht unbedingt die Zinssätze. Lassen wir diese These einen Moment im Raum stehen und erweitern sie um den realpolitischen Fakt, dass der EZB plötzlich die politische Aufgabe zufiel zusätzlich den Euro, spezifischer die Zusammensetzung der Teilnehmerländer, zu retten. D.h. dass das Mandat interpretiert werden musste, um eine große Marktpanik zu verhindern. Warum gab es diese Panik – wegen der Höhe der Staatsschulden. Diese müssen also als unangreifbar gelten, da sie ja als risk-free asset in Theorie z.B. im WAAC und Praxis gebraucht werden.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass für viele Marktteilnehmer eine reine Nominalsteuerung ausreicht, d.h. das Einhalten quantitativer Kennziffern wie z.B. BIP zu Schulden und konstante Zahlungsströme genügen. Wenn man zu dieser Schlussfolgerung kommt, machen auch die angekündigten Maßnahmen er EZB weitaus mehr Sinn.

Was muss die EZB also leisten, um die Nominalwerte, also die „Suggestion" eines funktionierenden Systems, aufrecht zu erhalten? In der Theorie drei Aufgaben:
Die erste ist, die Zinsen und Anleihenkurse aller europäischen Länder niedrig zu halten und zu verhindern, dass durch diesen Kanal die Krise wieder aufflammt. Dies hilft nicht nur den Ländern und den Finanzministern, sondern auch direkt den Banken, da so Abschreibungen oder Eigenkapitalunterlegung vermieden werden kann.

Zum zweiten genug Zeit zu verschaffen, um den Banken die Möglichkeit zu geben entweder abzuschreiben oder das Kapitalpolster zu erhöhen, denn es braucht auch zukünftig Käufer für Staatsschulden.

Drittens den Märkten zu vermitteln, dass diese Aufgaben ohne markante Marktbewegungen zu bewältigen sind.
Und angesichts des Eindrucks durch Lehmann 2008, was in Falle einer Ausweitung der Eurokrise wirklich passieren könnte, würde ich als Zentralbanker (und nicht nur) „beten", dass mir die Beruhigung der Märkte gelingt. Deutsche Inflationssorgen wären dabei sehr sekundär.

Dies heißt nicht, dass diese Punkte gutzuheißen sind oder volkswirtschaftlich langfristig sinnvoll sind. Es soll nur deutlich werden, dass die politischen Lösungen und Forderungen – und damit meine ich nicht nur das alleinige Beharren auf Strukturreformen im Süden, die so gerne aus Deutschland gefordert werden, während wir das Gegenteil machen – für den Euroraum in sich nicht stimmig sind und keine Zukunftsvision darstellen.

Also versucht die EZB zu retten, was zu retten ist. Analysieren wir also die vorgestellten Ansätze aus der letzten Entscheidung.

Was lässt sich also aus den EZB-Maßnahmen ableiten?

Zum einen scheint die EZB zuversichtlich, dass sie die Spreads der Staatsanleihen unter Kontrolle hat. Anscheinend meint sie, dass die mittel und langfristigen Spreads, denn diese kann sie nur sehr schwer kontrollieren, durch die erste große Maßnahme zumindest mittelfristig konserviert sind.

Zum zweiten und das halte ich für wirklich innovativ, versucht die EZB die Geldversorgung zu layern. Das lässt die Handschrift von GS erkennen. Damit ist gemeint, dass Sie die Kreditmaßnahmen genauer auf spezifische Profile anpassen, um so doch länderspezifische Geldpolitik betreiben zu können.

Das ist politisch klug, da gegen diese Maßnahme zur Förderung von KMUs wohl wenig einzuwenden ist. Auch wirtschaftlich ist es ein interessanter Ansatz, wenn man sich die oben genannten Ziele verdeutlicht. Ich möchte das am Beispiel Italiens illustrieren. Die Kreditklemme ist dort eine Wirklichkeit. Zudem kann man argumentieren, dass viele Aufträge nicht ausschließlich wegen der höheren Wettbewerbsfähigkeit nach Deutschland gewandert sind, sondern da Kunden Angst um die Lieferkette bei einem möglichen Euroaustritt hatten. Wenn man nun in die EZB-Ankündigung hineininterpretiert, dass die Preisanpassungen ausreichend waren, um wieder wettbewerbsfähig zu sein, dann könnte dies genau die Maßnahme sein, die ausreicht um nominales Wachstum zu erzeugen.

Wie geht das von statten: Das durch die Ausweitung der Geldmenge in Italien, spezifisch über italienische Banken, induzierte Wachstum wirkt sich natürlich sofort positiv auf den Staatshaushalt, die relativen Schuldenkennziffern und damit die Spreads der Staatsanleihen aus. Die Banken können sich dabei doppelt sanieren. Vielleicht lässt sich so auch das Signal für andere setzen, dass Wachstums in Europa zurückkehrt. Wie oben geschrieben reicht hier nominales Wachstum aus. Sollte das auch dank der neuen BIP-Berechnung (inklusive Prostitution und Drogen – wo war der Sturm der Ökonomen?) funktionieren, wäre vorerst eine Meisterleistung der EZB vollbracht. [Update: 15.06.2014]: Es ergab sich die Gelegenheit, diese These mit dem Europastrategen von Pimco zu diskutieren. Er stimmte zu, meinte aber, die Maßnahme wäre auf Grund der Lage der Banken wenig erfolgreich. Ich bin vorerst anderer Meinung, da ich denke die EZB wird dies mit den ebenfalls angekündigten Kreditverbriefungen koppeln. Dazu weiter unten mehr.

Zum dritten hat sie mit negativen Zinsen für BANKEINLAGEN nicht das Ende des Kapitalismus eingeläutet, sondern möchte die Banken dazu bewegen zurück zum Kerngeschäft zu gehen, nämlich Geld zu verleihen und nicht nur bei der EZB zu parken. Sie zielt damit auf eine Belebung des Interbankenmarkts ab. Wirklich bedenklich ist, dass ein solcher Schritt notwendig ist. Das ist zum Beispiel eines der Signale des Finanzmarkts, die nicht berücksichtigt werden. Wenn sich 2014 die Banken immer noch nicht gegenseitig trauen, kann von Abhaken der Krise keine Rede sein. Die folgende Ausführung gibt dazu weiter Aufschluss.

Der anstehende Stresstest

Ein weiteres Argument, was vermutlich die EZB-Entscheidung mehr beeinflusst hat als Preisindikatoren, dürfte die Tatsache sein, dass die EZB nun die Bankenaufsicht in Europa übernimmt.

Dies hat zwei Konsequenzen: Zum einen fließen damit bei der EZB direkter Informationen zum Kapitalbedarf der Banken noch besser zusammen, d.h. die EZB dürfte einen klaren Einblick in die vermutetet desolate Lage vieler Banken haben. Zum zweiten ergibt sich eine machtpolitische Konsequenz: Kein Regulierer möchte, dass unter seiner Ägide eine Bank insolvent geht. Also wird die EZB den Stresstest nutzen, um hier vorzubeugen. Das wiederum ist eine Herkulesaufgabe darf der Stresstest nicht zu lasch aber auch nicht zu streng sein und z.B. wirklich den realen Kapitalbedarf (siehe oben) nenne, zumindest nicht auf einen Schlag. Auch hier ist das Ziel die Nominalsteuerung, d.h. Erfüllung von Ratios zu einem Stichtag gemäß der Bilanz.

Damit sind wir also direkt in der Realpolitik gelandet. Wenn die EZB also wirklich wirkungsvoll den Businesszyklus „manipulieren" und den Status-Quo der Ruhe an den Märkten beibehalten möchte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Banken zu stützen. Dabei ist jedes Mittel recht, auch der Negativzins, um Belebung des Interbankenmarktes zu stimulieren. Denn das stärkt indirekt die Bankbilanzen, wenn sich eine weitere kurzfristige Finanzierungsform wieder öffnet.

Das Wort, was bei der letzten Mitteilung aufhorchen ließ, war Kreditverbriefung. Ich könnte mir also vorstellen, dass man dieses Instrument etwas anders einsetzt als die meisten Kommentatoren schreiben.

Warum z.B. nicht die besten Assets der Banken kurzfristig übernehmen? Ich würde wetten, dass es grade eine interne Task Force gibt, die sich überlegt, wie man die diese Transaktionen nach allen legalen Regeln der Buchführung und Triple A Bewertung durchführen kann. Hier gilt es also genau hinzuschauen. Denn so ließe sich bewerkstelligen keine Bad Bank zu werden aber gleichzeitig die Kapitalbasis der Banken nominal/buchhalterisch zu stärken, um das Bestehen des Stresstests möglich zu machen. [Update 15.06.2014]: Ich führe diesen Punkt auch im Hinblick auf oben tiefer aus: Konkret könnte die EZB versuchen an drei Stellen der Bankbilanzen anzusetzen: a) hoch qualitativen Assets mit Beimischung, die z.B. so als ein Wertpapier an die EZB weiter gegeben werden könnten, um Eigenkapital und Cash Flow für den Stresstest freizusetzen b) Transfer von bereits abgeschriebenen Krediten in der Hoffnung einen höheren Marktpreis zu erzielen an den Markt – es darf nur keine weiteren "Impairments" auslösen. c) das Umgehen von schwachen Bankbilanzen, in dem z.B. eine lokale italienische Bank, den Kredit ausreicht, eine Origination Fee (also sofortige Einnahmen) bekommt, aber den Kredit nicht in die eigenen Bücher nimmt. Mit Punkt c) wäre auch das Layering der Geldmengenpolitik erfolgreich.

Die einzige Frage, die sich dabei stellt ist, wie die EZB es bewerkstelligt, dass die Eigenkapitalstruktur der Banken gestärkt wird ohne eine kleine Panik zu erzeugen? Ohne politische Intervention wären längst schon die Altaktionäre sowie mindesten die Halter Eigenkapitalähnlicher Instrumente zur Kasse gebeten worden und hätten einen Komplettverlust hinnehmen müssen. Das amerikanische TARP-Programm ist ein gutes Beispiel. Dies ist aber in Europa nicht geschehen, ein weiterer politischer Fehler in der Konstruktion der Rettungsprogramme. Auch das ist eine Aufschiebung der notwendigen Bereinigung, die wohl in erster Linie der Stützung von Staatsschulden diente.

Warum führe ich diesen Punkt hier gesondert an? Zum einen um auf die wirklichen Indikatoren des Fortschritts innerhalb der sogenannten Eurokrise hinzuweisen. Zum zweiten, um die Analyse um die Logik des Finanzmarkts zu erweitern, die vernetzter argumentiert, als vieler Kommentatoren.

Überschätzung der deutschen Stärke

Viele Kommentatoren, die in Deutschland jetzt allzu sehr die EZB kritisieren, übersehen leicht, dass das Risiko der Banken und Versicherungen in Europa asymmetrisch verteilt war/ist. Der Grund sind unter anderem moderne Finanzierungsmethoden und Absicherungsmechanismen.

D.h. die Lage der Staatsfinanzen lässt sich nicht 1:1 auf den Banksektor des Landes übertragen. Häufig waren es die deutschen Banken, also zu realisierende Verluste für deutsche Anleger und Sparer, die sich „verfinanziert" haben.
IKB, NordLB, BayernLB, HypoRealEstate, Depfa … klingelt da etwas? Wer in Europa hat die vermutlich größte Bad Bank Europas mit dem Kürzel FMS und seit Jahren nur noch eine Privatbank? Herr Straubhaar spricht erst heute von der Verstaatlichung des Kreditwesens. Erinnern Sie sich noch angesichts der Kritik der Sparkassen an das Stichwort „Overbanked".

Noch ein weiteres Beispiel: die Deutsche Bank hat grade eine Kapitalerhöhung von 8 Milliarden durchgeführt, nicht die erste und vermutlich nicht die letzte. Warum konnte sie diese nicht mit Geldern der Deutschland AG durchführen?
Auch das ist bei der Analyse der Krise zu berücksichtigen, wird so aber kaum geschrieben.

Alternativ betrachtet könnte man es auch so formulieren: Vielleicht sind die postulierten Negativzinsen nichts anderes als die langsamere Form der Verlustrealisierung für Anleger.

Sie sehen hoffentlich auch, wie eine verkürzte Analyse wie eingangs ausgeführt das Finden gesamtheitliche Lösungen verhindert.

Risiken der EZB-Strategie

Das heißt natürlich nicht, dass ich die Fehler des gegenwärtigen (Geld)-Systems im Allgemeinen und die Risiken der EZB-Strategie im Speziellen nicht sehe.
Ganz im Gegenteil. Es gibt eine Reihe von guten Argumenten, dass dieses Maßnahmenpaket in Wirklichkeit die Hilflosigkeit der EZB (und Politik) zeigt, den Markt zu beeinflussen. Damit der Artikel auch nicht zu lang wird, weise ich auf diesen sehr guten Artikel hin, der einige Risiken wie z.B. eine potentielle Verstärkung der Bankenkrise durch die Maßnahmen, da man damit schwache Institute leichter erkennt, auch aus der Finanzmarktperspektive darstellt.

Allerdings sind die in Deutschland gängige Analyse der EZB Strategie mit nationaler Brille und die daraus abgeleiteten politischen Haltungen nicht dazu geeignet, die Krise mit den notwendigen Einschnitten zu beenden. Im Gegenteil wie schon vor der Wahl befürchtet droht weiter Stillstand.

Fazit:

In Iceventures Analyse ist die Eurokrise, wie schon häufig geschrieben, nicht beendet.
Ob es der EZB gelingen wird die Märkte weiter zu beruhigen bleibt abzuwarten. Bis jetzt ist sie erfolgreich, erfolgreicher als die Kritiker meinen, während sie zeitgleich die nächsten Verwerfungen mit hervorruft. Die Kritiker der EZB in Deutschland machen es sich aber viel zu einfach. Gefragt sind Konzepte wie:#

  • Entschuldung von Staaten und nicht nur durch Sparen
  • Grundlegende Reformen der Förder-, Sozial- und Rentenpolitik
  • Die Reform des Euroraums durch gemeinsame Schulden oder eine geregelte Ausstiegsmöglichkeit, denn die ungeregelte besteht immer
  • Eine marktwirtschaftliche Lösung der Bankenkrise in der die Kapitalstruktur mit vollem Verlust der jetzigen Eigentümer erneuert wird.
  • Ein Marshallplan für Europa angepasst auf das 21. Jahrhundert

Das geht alles nicht ohne Opfer. Opfer, die heute primär die Politik dem Bürger nicht zutraut zu leisten. Ich befürchte, wir übersehen heute die Signale des säkularen Wechsels. Die Schatten sind an der Wand zu sehen.

Allen Kunden empfehle ich weiterhin ein wachsames Auge auf Finanzierung und Treasury zu legen und Wachstumsmaßnahmen entsprechend langfristig zu planen. Vielleicht sind in diesem Umfeld langfristige Wachstumsmaßnehmen durch Business Development, genau die richtige Lösung, um reale Assets zu schaffen. Im Falle des Interesses, sprechen Sie mich an.


* Arnbjörn Eggerz ist Geschäftsführer von Iceventure und betreibt dort einen Blog. Der Crosspost erfolgt mit Genehmigung von Herrn Eggerz.

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