Mythen, Menschen, Sensationen. Wir bauen sie auf; wir hauen sie weg.

by Udo Stähler on 26. Juni 2014

Diesmal Thomas Middelhoff (exArcandor). Die publizierende Öffentlichkeit hat ihn zum „Wunderkind“ und zur „Schande“ der deutschen Wirtschaft erklärt. Wir erlebten, wie er sich von Liz Mohn‘s scheuem Buchhändler zum Alphatier von Bertelsmann entwickelte. Seine Mogelpackung Global Player wurde ex post geöffnet. Nun kommentieren die, die seine Erfolge blind bejubelt hatten, ebenso blind sein Scheitern. Jede Zeit hat ihre Helden. Mich interessieren die Mechanismen der Heldenbildung. Ist Thomas Middelhoff vielleicht die Helene Fischer der Wirtschaftsbühne?

 

Wir erfahren jetzt von eben diesen Heldensängern, dass es Thomas Middelhoff‘s Größenwahn war, der ihm Ruhm, Geld und Freunde genommen hat. Sein Schicksal zeige, was passiert, wenn Charismatiker von der eigenen Großartigkeit geblendet werden. Leider habe ich keine Zeit –und offen gestanden, will ich es mir auch nicht antun–, die Namen der Jubler mit den Namen der heute Einsichtigen zu vergleichen, um vielleicht erkennen zu müssen, dass die gleichen Eigenschaften, die den Erfolg ausmachten, nun den Untergang verursachen.

Viel auf die Ehre von Thomas Middelhoff hält weiter Klaus Kocks, der vom AKW-Sprecher zum Advokaten der politischen und wirtschaftlichen Elite und von der Deutschen Public Relations Gesellschaft exkommuniziert wurde. Thomas Middelhoff hat im Gegensatz zu Bundespräsident a.D. Christian Wulff allerdings noch Gesprächsforen und Unterstützung aus seinem Netzwerk, um wieder Punkte zu machen in seinem letzten Kampf für die Ehre. Jetzt erst erzählen seine ehemaligen Mitstreiter, so der Sprecher bei Arcandor oder zuletzt seine Sekretärin, dass Thomas Middelhoff sie, das Unternehmen, die Aktionäre und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt hat.

Wie konnte Thomas Middelhoff vor dem Hintergrund seiner Managementqualitäten zwischen Generalist und Universaldilletant, zwischen glanzvollen öffentlichen Auftritten und Dampfplaudereien zum Wunderkind werden?

Es gibt zwei Antworten:

Die erste Antwort ist tautologisch. Middelhoff ist ein Erfolgsmodell. Bereits im Jahr 2000 ging Thomas Middelhof das Image eines Blenders voraus. Seine späteren Kapitalmarktabenteuer und Wachstumspläne wurden zuerst Lady Mohn unheimlich. Doch Middelhoff erhielt das Gefühl, zu etwas größerem berufen zu sein, als Bertelsmann aus der Provinz in die große weite Welt wollte. Erst 2008 wurde ihm der Titel Wunderkind streitig gemacht.

Die zweite Antwort beleuchtet die Wunderkind-Werdung. Als ich das Middelhoff-Erfolgsmodell mit dem Erfolgsmodell Helene Fischer verglichen habe, bin ich auf das Zuschauerverhalten als der entscheidenden Stellschraube gestoßen. Denn erst das Publikum macht einen Star. Dazu habe ich mir das Zuschauerverhalten als Ursache für das Starphänomen angeschaut, … und überraschende Parallelen festgestellt:

  • Die Heldenfigur im Showbusiness erfüllt den Wunsch nach Phänomenalem, Identifikation und Projektion; ob Idol oder kultureller Stereotyp: da leuchtet Orientierung.
  • Einen temporären Wettbewerbsvorteil generiert die Entertainment-Branche durch „öffentliche Kunstfiguren“; Stars bilden einen zentralen Mechanismus der Produktdifferenzierung.
  • Die Interaktion zwischen Publikum und Star ist ein Element des Produkt-Placements.
  • Öffentlichkeitsarbeit heißt vor allem: die Rezeption durch den kulturellen Kontext oder eine spezielle Subkultur / Fangemeinschaft und emotionale Beteiligung am Starimage.
  • Vorhandene Werte, Ideologien, Diskurse und kulturelle Codes werden durch den Star repräsentiert.

Der jeweilige Phänotyp des Managers, hier der „Karrierist“ Thomas Middelhoff, wird erst durch sein Publikum zum Star; alle Voraussetzungen zum Wunderkind waren erfüllt:

  • Das Phänomenale.
  • Das Herausragende.
  • Wir −mit dem Griffel− wollen Middelhoff.
  • Das Publikum nimmt Anteil am Erfolg.
  • Eigentlich ist er wir.

Und dann diese Enttäuschung.

Die gutgemeinten Tipps der Wirtschaftswoche, die Verhaltensmuster der Alphatiere zu durchschauen, um besser agieren zu können, sind lediglich für Teilnehmer der Show interessant. Für die Zuschauer, ob mit Fernbedienung oder Griffel, sind sie nicht zu gebrauchen. Die Zuschauer wollen Wunderkinder, wie ich beim Vergleich der Modelle Middelhoff und Helene Fischer zeigen konnte. Und wenn die Wunderkinder versagen, greifen sie eben zur Fernbedienung oder zum Griffel.

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Udo Stähler ist Diplom Volkswirt und Interim Manager. Er war über 25 Jahre in leitenden Funktionen im Firmen- und gewerblichen Immobilienkundengeschäft von Bankkonzernen tätig.

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