Nach dem WM-Finale: Von Vorhersagen im Sport und der Ökonomie (+ Pressestimmen zum deutschen Titel)

by Dirk Elsner on 14. Juli 2014

Die Fußball WM ist vorbei. Deutschland ist ist nach einem dramatischen, nervenaufreibenden Spiel Weltmeister (Berichte und Stimmen unten). Zunächst habe ich überlegt, ob ich für heute hier einen normalen Blogeintrag vorsehe. Aber wie immer das Spiel ausgeht, dafür wird sich niemand interessieren. Deutschland ist mit Ausnahme meiner Frau im Fußballfieber oder -kater.

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Viel Spaß hat es mir wieder gemacht, im Zusammenhang mit der WM, einen Blick auf die Vorhersagen zu werfen. Die haben vor allem gezeigt, wie schwierig der Umgang mit probabilistischen Prognosen ist. Vielleicht lernt Deine oder andere daraus auch etwas für Prognosen auf anderen Feldern. Allerdings muss ich diese Hoffnung gleich einschränken, denn im Gegensatz zu ökonomischen Prognosen ist der Ergebnisraum bei Sportereignissen beschränkt. Es war von Anfang an klar, dass eines von 32 gestarteten Teams Weltmeister wird. Daher sind hier Prognosen einfacher als für Ökonomie und Wirtschaftspraxis.

Vor der WM galt Brasilien als hoher Titelfavorit. Nun nach zwei blamablen Spielen wissen die “Experten” es plötzlich wieder ganz genau und fordern einen Neuanfang und eine Strukturreform des “am Boden liegenden” brasilianischen Fußballs. Vor der WM war zwar nach Einschätzung der “Märkte” die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Brasilien den Titel holt, mit über 23% am höchsten. Aus dieser Einschätzung folgte allerdings auch, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 77% Brasilien nicht den Cup holt. Innerhalb von fünf Tagen folgte dann der Totalabsturz der Erwartungen.

Die Titelchancen für Deutschland dagegen schätzten die “Experten”, die bereit waren darauf zu setzen, für die Zeit vor der WM bis gestern zum Schlusspfiff genau so ein:

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Nachdem Deutschland sich qualifiziert hatte, betrugen die Chance zunächst 20%, fielen dann auf 10% und stiegen dann kontinuierlich von Sieg zu Sieg. Der letzte steile Anstieg folgte dann nach dem Tor von Mario Götze.

Immerhin, vor der WM betrug nach meiner Berechnung aus verschiedenen Vorhersagedaten die Wahrscheinlichkeit fast 67%, dass entweder Brasilien, Argentinien, Deutschland oder Spanien den Titel holt. Und so ist nun auch gekommen. Drei dieser vier Teams haben sich unter den letzten 4 platziert. Weil beim Fußball noch mehr als bei anderen Sportarten mit Überraschungen zu rechnen ist, ist eine solcher Treffergenauigkeit schon fast ungewöhnlich.

Nate Silver schrieb in seinem Buch “Die Berechnung der Zukunft” zu Vorhersagen im Sport:

“Erfolgreichen Wettspielern und erfolgreichen Prognostikern jeder Art geht es bei ihren Zukunftserwartungen nicht um bombensichere Wetten, unanfechtbare Theorien oder unendlich genaue Messungen. Derartige Illusionen sind sich selbst überschätzenden Dummköpfen vorbehalten. Erfolgreiche Spieler stellen sich die Zukunft als Pünktchen der Wahrscheinlichkeit vor, die bei jeder neuen Information rauf und runter oszillieren wie ein Börsenticker. Wenn ihre Schätzungen der Wahrscheinlichkeiten weit genug von den angebotenen Odds abweichen, dann schließen sie eine Wette ab.”

Silver betrachtet in Anlehnung an Thomas Bayes Rationalität als eine probabilistische Angelegenheit. Laplace, einer der wichtigsten Vertreter des wissenschaftlichen Determinismus glaubte einst, dass wir das Universum perfekt vorhersehen könnten, wenn wir die Position jedes Teilchen darin kennen würden und seine Bewegungen schnell genug berechnen könnten. “Was verbindet Laplace mit einer auf Probabilismus basierenden Theorie?”, fragte Silver. Seine Antwort: “Die Erklärung findet sich in der Diskrepanz zwischen der Perfektion der Natur und der menschlichen Unfähigkeit, diese zu messen und zu verstehen. … Laplace betrachtete die Wahrscheinlichkeit als Zwischenstation zwischen Unwissenheit und Wissen. Er hielt es für offensichtlich, dass ein besseres Verständnis der Wahrscheinlichkeit für den wissenschaftlichen Fortschritt unerlässlich sei.”

Ich teile den Determinismus des Laplaceschen Dämons zwar nicht, sehe aber die probabilistischen Prognosen als hilfreich an. Vor allem würde ich mir wünschen, das sich auch für ökonomische Vorhersagen probabilistische Angaben endlich durchsetzen. Ökonomen, Analysten und andere “Experten” sollten sich angewöhnen, Aussagen über mögliche künftige Ereignisse mit Wahrscheinlichkeiten zu etikettieren. Die Aussage etwa, die EZB-Politik könne die Inflationsgefahren erhöhen, gewinnt erst an Wert, wenn dahinter eine Wahrscheinlichkeit.

Allerdings muss man im Vergleich zum Sport auch die Grenzen ökonomischer Vorhersagen sehen. Ökonomen überschätzen regelmäßig ihre Fähigkeit, Entwicklungen in der Wirtschaft richtig vorherzusagen. Silver schreibt dazu:

“Tatsächlich sind Wirtschaftsprognosen bestenfalls stumpfe Instrumente, mit denen sich wirtschaftliche Wendepunkte nur selten länger als wenige Monate im Voraus Vorhersagen lassen. Allzu oft haben solche Prognosen Rezessionen nicht vorhergesehen, die längst eingetreten waren. … Der Unterschied zwischen der Treffsicherheit und der Perzeption dieser Prognosen ist beträchtlich. Gewisse Wirtschaftsprognostiker würden diesen Umstand gerne für sich behalten. Wie die meisten Prognostiker (auch anderer Bereiche) betrachten sie die Unsicherheit als ihren Feind, der ihren Ruf schädigen könnte. Sie berechnen die Unsicherheit nicht korrekt und stellen Vermutungen an, die den Unsicherheitsfaktor ihrer Prognosemodelle minimieren sollen, was die Anwendbarkeit der Prognosen auf die realen Umstände alles andere als verbessert. So sind wir ungenügend vorbereitet, wenn plötzlich die Dämme brechen.

Da gleich das Endspiel beginnt, muss ich zum Schluss kommen. Meine Berechnung vor dem Endspiel gegen Argentinien Spiel lautete 57% Chance für einen Weltmeister Deutschland. Hauptsache es kommt nicht zu einem “Schwarzen Schwan” für uns, wie am vergangenen Dienstag für Brasilien (siehe dazu ebenfalls Nate Silver in dem Beitrag The Most Shocking Result in World Cup History aufgeschrieben.).

Wer sich übrigens strickt an den Vorhersagemärkten orientierte, hatte gute Chancen bei dieser WM bei Tippspielen weit oben zu landen. Das zeigt das Tippspiel von Egghat mit über 30 aktiven Teilnehmern. Ganz oben steht defoe76. Der hat ganz stur stets für jedes Spiel 2:1 auf den Favoriten getippt. Ich selbst habe am Anfang häufiger mal meinen Bauch entscheiden lassen und bin von der “Marktprognose” abgewichen. Das hat mir zwar zwischendurch hohe Punktwerte eingebracht (das wird deutlich an der Tabelle Siege), jedoch auch echte Tippdesaster. defoe76, so haben egghat und ich es kürzlich analysiert, war an ganz wenigen Spieltagen bester Tipper, lag aber immer im Schnitt gut. Letztlich hat er mit seiner Strategie alle Bauchtipper und “Experten” abhängt. Das Intelligente an dieser Marktstrategie ist, man spart die Zeit zum Nachdenken und braucht keine Analyse zu betreiben, sondern setzt einfach auf den Favoriten der Wettmärkte.

Weitere Texte zu Vorhersagen dieser WM

Berichte und Stimmen zum WM-Finale

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