Banking trifft Evolutionstheorie #1

by RalfKeuper on 18. Juli 2014

In Artikeln, die sich mit der Zukunft des Banking auseinandersetzen, begegnet einem immer wieder der Begriff "Evolution".

Wie nur wenige scheint er dazu geeignet, die zum Teil rasante Entwicklung der letzten Jahre im Banking, man denke nur an die Technologie, zu veranschaulichen. Eine Ansicht, die ich weitgehend teile.

Jedoch besteht bei dem Versuch, Begriffe einer anderen Disziplin auf die eigene zu übertragen, immer die Gefahr, "Äpfel mit Birnen zu vergleichen".

Unverändert durch Evolution

Trotzdem soll hier eine Annäherung erfolgen – allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass es sich hierbei um Analogien handelt. Wie Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander in Die Analogie. Das Herz den Denkens m.E. überzeugend darlegen, kann die Analogie jedoch der Schlüssel sein, um einen vertrauten Gegenstand in einem anderen Licht zu sehen und so zu neuen Einsichten bzw. kreativen Ideen zu kommen.

Als eine der besten Einführungen in das Thema Evolution gilt Das ist Evolution von Ernst Mayr. Darin betont er immer wieder den revolutionären Charakter der Evolutionstheorie von Charles Darwin, die laut Mayr in der Praxis immer wieder eindrucksvoll bestätigt wird.

Eines der wichtigsten Elemente in Darwins Evolutionstheorie ist die Population. Mayr schreibt dazu:

… die gesamte Evolution und insbesondere die Selektion finden in Populationen lebender Organismen statt. … Ein Darwinist muss in der Lage sein, jeden Fall einer scheinbar sprunghaften oder diskontinuierlichen Evolution auf den allmählichen Umbau von Populationen zurückzuführen.

In dem Zusammenhang ist häufig auch vom "Selektionsdruck" die Rede. In den Worten von Mayr:

Konkurrenz und andere Aspekte des Daseinskampfes sorgen für einen gewaltigen Selektionsdruck. … Arten, die normalerweise nebeneinander existieren, leben in einem Zustand des ausgewogenen Gleichgewichts, der durch die natürliche Selektion ständig neu abgestimmt wird.

Übertragen auf die Welt die Banking könnte man die klassischen Banken als Population bezeichnen.  In den letzten Jahren ist das Gleichgewicht im Banken- und Finanzsektor durch neue Arten, wie FinTech-Startups, und branchenfremde Anbieter, wie die großen Internetkonzerne, ins Wanken geraten. Daraus ergibt sich ein Selektions- bzw. Anpassungsdruck.

Kritisch wird es für eine Population immer dann, wenn tiefgreifende Veränderungen in der Umwelt ihre Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit überfordern:

Bei jeder tief greifenden Veränderung der Umweltbedingungen, beispielsweise bei einer Klimaverschlechterung oder wenn ein neuer natürlicher Feind oder Konkurrent auftaucht, sind die erforderlichen Gene für eine geeignete, unmittelbare Reaktion auf den neuen Selektionsdruck im Genbestand der Population unter Umständen nicht enthalten. Wie wichtig dieser Faktor ist, wird an der Häufigkeit von Aussterbeereignissen deutlich.

Einige Herausforderer bezeichnen die Banken gerne als Dinosaurier, die nicht mehr Lage seien, die passenden Antworten auf die Veränderungen in ihrer Umwelt zu finden und daher vom Aussterben bedroht sind.

Die Evolutionstheorie belässt es jedoch nicht bei dieser recht ernüchternden Feststellung. Lebenden Organismen stehen verschiedene Alternativen zur Verfügung, die das Überleben auch in einer unwirtlichen Umgebung ermöglichen. Diesem Prozess liegt jedoch kein absichtliches Handeln, kein Zweck zugrunde, wie Ernst Mayr betont. Anpassung ist nicht das Ziel, sondern das Nebenprodukt der Selektion.

Zu den Alternativen gehören:

  • Koevolution
  • Symbiose/Fusion

Und neuerdings:

Während bei der Koevolution beide Arten voneinander profitieren, ohne sich die "Beute" streitig zu machen, wie bei den Banken und ihren Zulieferern, kommt es bei der Symbiose, hier weiche ich von der Definition von Mayr ab, zu einer Fusion, wenn z.B. eine Bank ein FinTech-Startup übernimmt – oder umgekehrt. Bei der Kooperation geht es darum, dass Arten, auch wenn sie um dieselbe Beute konkurrieren, ihr Überleben nicht auf Kosten der anderen sichern, sondern durch gemeinsame Aktionen, durch gemeinsame "Jagd", wie bei der Bank als (offener) digitaler Plattform.

Abgesehen davon sind Unternehmen, Institutionen und Banken das Produkt der kulturellen Evolution. Hier spielen Symbole, Interaktionen, Theorien und Traditionen eine große Rolle. Aber auch hier lässt sich der Bogen zur Evolutionstheorie schlagen, wenn man das Modell der Welt 3 von Karl R. Popper zugrunde legt. Popper ging auf dieses Verhältnis u.a. in dem Kapitel Eine biologische Betrachtung der Welt 3 in seinem Buch Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf ein. Weitere Philosophen, die einen ähnlichen Ansatz wie Popper verfolgten, waren Thomas S. Kuhn in Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen und Ludwik Fleck in Denkstile und Tatsachen. Für Kuhn kann sich in den Wissenschaften ein neues Paradigma erst dann durchsetzten, wenn die alte Garde abgetreten ist. Forschung alleine kann das nicht bewirken. Fleck wiederum spricht von Denkkollektiven, deren Angehörige ebenfalls darauf bedacht sind, ihre Position zu erhalten, auch wenn die Tatsachen die eigenen Überzeugungen und Annahmen widerlegen.

Eine große Bedeutung kommt in dem Zusammenhang dem Rechtssystem eines Landes zu. Übertragen auf das Bankwesen wäre hier vor allem die Regulierung, aber auch das Wettbewerbs- und Kartellrecht zu nennen. Aufgabe des Rechtssystems wäre es, für die nötige Diversität, Artenvielfalt im Banking zu sorgen. Ein Thema, das noch an Bedeutung gewinnen wird.

Weitere Informationen:
Evolution ist mehr als Zufall und Anpassung


Der Beitrag ist ein genehmigter Crosspost von Ralf Keuper, den er auf seinem Blog Bankstil veröffentlicht hat.

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