Das geheimnisvolle Wesen der Spekulationsblasen – Teil 1

by Karl-Heinz Thielmann on 16. September 2014

Der Blasen-Alarm hört nicht mehr auf: Jeder Analyst, Finanzjournalist, oder Ökonom, der etwas auf sich hält, warnt vor einer Spekulationsblase. Ob Aktien, Immobilien, Kunst, Bitcoins, Rohstoffe oder Rentenpapiere, kaum ein Anlagesegment am Kapitalmarkt findet sich noch, bei dem nicht irgendein Experte die Gefahr der Blasenbildung identifiziert hat. Inzwischen stimmen auch immer mehr Politiker mit ein; so warnte erst unlängst Bundesfinanzminister Schäuble vor einer Spekulationsblase am Immobilienmarkt.

Es gibt keine starke Preissteigerung am Kapitalmarkt mehr, ohne dass diese sofort irgendwo aufgeregt als Spekulationsblase bezeichnet wird. Dies lässt sich auch in Zahlen zeigen: So hat die Financial Times unlängst ermittelt, dass seit 2013 allein in Artikeln der englischsprachigen Finanzpresse die Verwendung des Begriffes „speculative bubble“ im Vergleich zu den Vorjahren um ca. 60% gestiegen ist.

Doch drohen gerade jetzt in unserem Finanzsystem mehr Spekulationsblasen als sonst?

Sind diese Blasen wirklich klar erkennbar?

Und sind sie immer und überall so gefährlich, wie allgemein befürchtet wird?

Oder gibt es andere Gründe für den Boom an Veröffentlichungen über dieses Thema?

Gibt es überhaupt Spekulationsblasen?

Eugene Fama, Nobelpreisträger sowie Begründer und Verfechter der Effizienzmarkthypothese, spielt bei diesen vielfältigen Blasenwarnungen gerne den Spielverderber. Seiner Ansicht nach gibt es keine Spekulationsblasen, weil ihre Existenz voraussetzten würde, dass man Kursstürze prognostizieren kann. Für ihn ist der Begriff der Spekulationsblase eine nachträgliche Konstruktion, die zur Rechtfertigung von Kursstürzen infolge von starken Kursanstiegen verwendet wird. Im Moment des Kursanstiegs kann man laut Fama nicht wissen, ob dieser anhält oder wieder in sich zusammenbricht.

So sagte er in seiner Vorlesung aus Anlass der Nobel-Preisvergabe am 8. Dezember 2013:

“Menschen, die den Begriff Blase benutzen, sagen nie, was sie meinen. Sie scheinen eine Blase als einen starken Preisanstieg zu definieren, der einen vorhersagbaren Rückgang nach sich zieht. Aber das vorhandene Research gibt keine Belege dafür, dass Kurseinbrüche vorhersagbar sind. Daher basieren, zumindest nach dem aktuellen Stand der Forschung, Aussagen über Blasen und wie sie angegangen werden sollen, auf Glauben und nicht auf statistisch verlässlichen Beweisen.“

(“People who use the term ‘bubble’ never tell you what they mean. [They] seem to define a bubble as a strong price increase that implies a predictable strong decline, but the available research provides no reliable evidence that price declines are predictable. Thus, at least as the literature now stands, confidence statements about bubbles and what should be done about them are based on beliefs, not statistically reliable evidence.”)

Ich kann Fama in seiner radikalen Ablehnung des Begriffs Spekulationsblase nicht ganz folgen, denn man kann sie schon bestimmen. So lautet eine Standarddefinition (aus Bubbles, Financial Crises, and Systemic Risk von Markus K. Brunnermeier, Martin Oehmke), dass eine Blase „eine starke und lang andauernde Fehlbewertung einer finanziellen oder realen Kapitalanlage“ ist. Und zumindest nachträglich kann man diese schon gut identifizieren. Seit dem 17. Jahrhundert ist das Phänomen bekannt und wurde eingehend in der Finanzliteratur diskutiert. Charles P. Kindleberger hatte schon 1978 in seinem Buch „Maniacs, Panics and Crashes“ eingehend Spekulationsblasen, ihre Charakteristika und ihren typischen Ablaufmuster wissenschaftlich beschrieben. Ihm ist eine enorme Menge von wissenschaftlichen Artikeln gefolgt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Aber Fama zeigt den wunden Punkt in der allgemeinen Beschäftigung mit dem Phänomen recht deutlich auf: Praktisch alle aussagekräftige Erkenntnisse in der wissenschaftlichen Literatur beziehen sich im Nachhinein auf Spekulationsblasen. In der Regel kann man nicht ohne Weiteres eine Blase eindeutig erkennen, wenn man sich in dieser befindet.

Allein aufgrund eines starken Kursanstiegs (oder aufgrund hoher Bewertungen) auf eine Spekulationsblase zu schließen, ist ungenügend. Es gibt immer gute und rational erscheinende Gründe, warum sich Investoren zu einem bestimmten Zeitpunkt für hoch bewertete Anlagen entscheiden und die Kurse in die Höhe treiben. Hierzu müssen sie Annahmen über die Zukunft machen; ob diese aber zutreffend sein werden, lässt sich erst nachträglich bestimmen. Horden von sinnlos ihr Geld verzockenden Anlegern, denen „Gier frisst Hirn“ attestiert werden kann, sind ein oberflächliches Medienklischee, das mit der Wirklichkeit an den Kapitalmärkten nicht viel zu tun hat.

Was macht einen Kursanstieg zur Blase?

Ein gutes Beispiel für einen nicht ohne Weiteres zu identifizierende Blase war die sog. Internetspekulationsblase Ende der 90er Jahre, die 2000 platzte. Sie wurde getrieben von der Euphorie vieler Anleger, die erkannten, welche fundamentalen Änderungen das Internet für unsere Art zu wirtschaften mit sich bringt. Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt relativ schwer vorherzusagen, welche Firmen wirklich die Gewinner sein würden. So wurden praktisch alle Aktien, die irgendwie mit Internet oder Technologie zu tun hatten, mit einer deutlichen Prämie zum Markt gehandelt. Bei den meisten stellte sich dies als übertrieben heraus, starke Kursverluste waren zumeist die Folge.

Die Kurse der erfolgreichen Internetkonzerne Ebay und Amazon haben sich seit 2000 allerdings verdreifach bzw. vervierfacht. Der Wert von Apple hat sich im gleichen Zeitraum mehr als verzwanzigfacht. Diese Unternehmen haben ihre hohe Bewertung und die damit verbundenen Anlegererwartungen im Blasenjahr 2000 mehr als gerechtfertigt. Gab es für sie dann etwa keine Spekulationsblase? Erscheint das Jahr 2000 nur nachträglich so, weil es im Anschluss viel mehr Verlierer als Gewinner gab?

Das, was das Jahr 2000 meiner Ansicht nach zur fragwürdigen Spekulationsblase machte, waren nicht die vielen im Grunde serösen Unternehmen, bei denen sich erst im Nachhinein herausgestellt hat, dass sie nicht erfolgreich sind. Das fehlgeschlagene Investment in sie ist die Kehrseite des unter-nehmerischen Risikos, das man mit der Anlage in Wachstumsaktien eingeht. Im Rahmen der Euphorie hatten sich aber auch viele Firmen mit unseriösen Geschäftsmodellen und fragwürdigen Bilanzierungsmethoden an die Börse geschlichen, die auf Dauer nicht lebensfähig sein konnten. Mit Fantasiegeschichten wurde den Anlegern das Geld aus der Tasche gezogen, die mit den wahren Möglichkeiten des Internets nicht mehr viel zu tun hatten. Gerade Deutschland mit dem Neuen Markt entwickelte sich zu einem Magneten für Schwindelfirmen.

Echte Spekulationsblasen haben deshalb auch immer viel mit häufigem und systematischem Betrug zu tun, da sie unseröse Geschäftemacher in Scharen anziehen. Wenn z. B. risikobereite Investoren auf Firmen treffen, die eine Zukunftstechnologie propagieren, ist es manchmal schwer zu sagen, ob das angepriesene Geschäftsmodell realistisch oder fantastisch ist. Dies war 1720 während der „South Sea Bubble“ so, und im 19. Jahrhundert bei der Finanzierung der Eisenbahnlinien genau wie beim Internet vor wenigen Jahren. Auch der Finanzkrise 2008 gingen heimliche Aufweichungen der Qualitätsstandards der Banken bei der Kreditvergabe voraus, teilweise verbunden mit systematischen Fälschungen der Angaben bei den Kreditanträgen. Manipulierte Risikomodelle bei Ratingagenturen taten dann noch ein Übriges, um ein geschöntes Bild der Risikolage zu zeichnen.

Doch lässt sich zum Zeitpunkt der Blase für die große Masse der Anleger unterscheiden, ob ein Unternehmen in der Zukunft erfolgreich, seriös aber erfolglos, oder betrügerisch sein wird? Fama sagt Nein, und ich gebe ihm hier recht. Hierfür dürfte vor allem weitverbreiteter Betrug verantwortlich sein. Er wird fast immer nur im Nachhinein aufgedeckt, oftmals erst nach einigen Jahren.

Sprachhistorisch interessant ist, dass das Wort „Spekulationsblase“ in seinen Ursprüngen im 17. und 18. Jahrhundert gleichbedeutend mit „Betrug“ verwendet wurde. Erst in den vergangenen Jahrzehnten geriet dieser Aspekt in den Hintergrund, als sich die Auseinandersetzung mit dem Thema zunehmend verwissenschaftlichte. Möglicherweise liegt dies daran, dass systematischer Schwindel als gesamtwirtschaftliches Phänomen bisher schlecht mit der Vorstellungswelt von Wissenschaftlern zusammenpasste.

Ökonomische Spieltheorie und die Verhaltenspsychologie haben in den vergangenen Jahren zwar einige Fortschritte erzielt, um auf individueller Ebene die Ursachen bzw. Wirkungen von Betrug und Selbstbetrug zu erforschen. Dennoch ist es bisher nicht gelungen, hieraus für die gesamte Ökonomie betreffende Ereignisse – wie eine Spekulationsblase – eine aussagekräftige Theorie abzuleiten. Das Problem der fehlenden mikroökonomischen Fundierung makroökonomischer Phänomene betrifft nicht nur die Erforschung von Spekulationsblasen, sondern ist ein grundsätzliches Problem der Volkswirtschaftslehre. Insbesondere in diesem Fall hat der Versuch, sich dem Phänomen der Spekulationsblasen rational und wissenschaftlich anzunähern, dazu geführt, dass ein entscheidender Faktor aus dem Blickfeld geriet und so der Erkenntniswert ökonomischer Analysen vermindert wurde.

 

Der Beitrag wird in zwei Tagen fortgesetzt.

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