Die sechste Welle – Teil 1: Innovation und Wachstum

by Karl-Heinz Thielmann on 28. Oktober 2014

Gibt es Grenzen des Wirtschaftswachstums? Sind nicht irgendwann alle Ressourcen erschöpft; alle Produktionskapazitäten ausgelastet? Wie viele Menschen können auf dieser Erde überhaupt ernährt werden? Diese Fragen stellen sich nicht nur heutige Globalisierungskritiker. Bereits der britische Ökonom Thomas Robert Malthus (1766–1834) beschäftigte sich mit dieser Problematik und kam zu beunruhigenden Ergebnissen.

Auf der Suche nach Gründen für die sozialen Probleme im frühindustriellen England veröffentlichte er im Jahr 1798 den Aufsatz „The Principle of Population“. Hierin stellte Malthus die These auf, dass die Bevölkerungszahl exponentiell wachsen werde, die Lebensmittelproduktion aber nur linear erhöht werden könne. Das Angebot könnte man deshalb nicht entsprechend der steigenden Nachfrage ausdehnen. Nahrungsmittel würden immer knapper; ihre Preise immer weiter steigen und sie damit für breite Schichten der Bevölkerung unerschwinglich werden. Weitverbreiteter Hunger und Verelendung wären die Folge.

Für diesen Prozess des in die Verarmung führenden Wachstums haben sich in den späteren Jahren Begriffe wie die Malthusianische Katastrophe bzw. Bevölkerungsfalle geprägt. Malthus beeinflusste mit seinen Gedanken stark spätere sozialistische Ökonomen (wurde von Karl Marx allerdings abgelehnt) sowie in heutiger Zeit noch Wachstumsskeptiker wie den „Club of Rome“ bzw. die sogenannten „Postwachstumsökonomen“.

Von marktwirtschaftlich orientierten Ökonomen wurden Malthus Thesen immer schärfstens angegriffen, da sie ein Versagen der Selbstregulierungskräfte von Märkten implizierten. Zudem waren die logischen Konsequenzen von Malthus Ideen massive staatliche Eingriffe zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums, die jeglichem Freiheitsverständnis widersprachen. Dies sieht man z. B. an den Konsequenzen der chinesischen Ein-Kind-Politik, die man in gewisser Weise als praktische Umsetzung von Malthus Ideen in der Neuzeit ansehen kann.

Das Hauptproblem der Vorstellungen von Malthus und seiner geistigen Nachfolger besteht allerdings darin, dass sie einen Faktor massiv unterschätzt haben. Dieser hat in der Realität dazu geführt, dass genau das Gegenteil der pessimistischen Prognosen eingetreten ist. Produktivitätsgewinne aufgrund von technischem Fortschritt haben es ermöglicht, immer mehr Güter und Nahrungsmittel immer billiger zu produzieren. Massenwohlstand statt Elend ist das Resultat der Wirtschaftsentwicklung der vergangenen 250 Jahre.

Dynamisches Unternehmertum und technische Innovation: die Wachstumsformel

Wenn man die Rolle des technischen Fortschritts in der wirtschaftlichen Entwicklung verstehen will, stößt man unweigerlich auf die Namen zweier Ökonomen, die seine Rolle grundlegend analysiert und beschrieben haben: Nikolai Kondratjew und Joseph Schumpeter.

Nikolai Kondratjew veröffentlichte 1926 den bahnbrechenden Aufsatz „Die Langen Wellen der Konjunktur“. Auf der Basis empirischen Materials aus Deutschland, Frankreich, England und den USA stellte er fest, dass es zwei Arten von Wirtschaftszyklen gibt: mittelfristige durch allgemeine Angebots- und Nachfrageschwankungen sowie sehr lange Konjunkturwellen, die 40 bis 60 Jahre dauern können. Als Ursache für diese „langen Wellen“ wurden Paradigmenwechsel in der Wirtschaft durch technische Neuerungen identifiziert, die zu massiven Investitionen in neue Technologien führten.

Joseph Schumpeter entwickelte in den 30er Jahren in seinen Untersuchungen über Konjunkturzyklen die Ideen von Kondratjew weiter. Er bezeichnete die langen Konjunkturwellen erstmals als „Kondratjew-Zyklus“. Weiterhin prägte Schumpeter den Begriff der „Basisinnovationen“ für die grundlegenden technischen Innovationen, die Ausgangspunkt für diese „Langen Wellen“ sind und zu einer Umwälzung in der Produktion und Gesellschaft führen.

Für Schumpeter war für den Erfolg einer Basisinnovation nicht ihre Entdeckung ausschlaggebend, sondern der weitverbreitete Einsatz. Insofern war für ihn nicht unbedingt der Wissenschaftler oder Erfinder der Innovation die entscheidende Figur, sondern derjenige, welcher die Neuheit kommerziell verwertete und damit ihre Verbreitung vorantrieb: der dynamische Unternehmer.

Unternehmer verbreiten Innovationen, weil sie sich hiervon kommerzielle Erfolge versprechen. Andere Unternehmer imitieren die Pioniere, worauf diese mit weiteren Verbesserungen reagieren müssen, um ihre Stellung zu halten. Dies zieht wiederum Reaktionen der Wettbewerber nach sich. Aus dem Wechselspiel zwischen Innovation und Imitation beschleunigt sich der technische Fortschritt. Allerdings geht dies meist zulasten traditioneller Produkte, die dann ganz oder teilweise verdrängt werden. Innovativer Fortschritt ist deshalb auch immer ein Prozess „kreativer Zerstörung“.

Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung der Tablets in den vergangenen Jahren. Technisch schon lange möglich, waren diese Mini-Rechner mehrere Jahre eher unpopuläre Nischenprodukte geblieben. Erst als der dynamische Unternehmer Steve Jobs von Apple die Idee aufgriff und mit dem iPad ein sehr benutzerfreundliches Tablet präsentierte, verbreiteten sich diese rasend schnell. Wettbewerber wie Samsung kamen mit ähnlichen Produkten auf den Markt, was den ursprünglichen Innovator Apple zu weiteren Verbesserungen zwang. Tablets wurden damit ebenfalls immer mehr zum Ersatz für traditionelle Computer, deren Markt in der Folge massiv beeinträchtigt wurde.

Die wichtige Rolle des dynamischen Unternehmers (und seiner ebenfalls dynamischen Nachahmer) bei der Durchsetzung von Innovationen erklärt, warum das System freier Marktwirtschaft mit einem relativ ungehinderten Marktzugang so wichtig ist für Wirtschaftswachstum. Etablierte Unternehmen und Bürokraten haben immer ein Interesse daran, dass sich möglichst wenig ändert, da ihre Besitzstände durch den Prozess kreativer Zerstörung gefährdet werden.

Hat der zyklische Aufschwung nicht schon längst begonnen?

Wo befinden wir uns heutzutage im „Kondratjew-Zyklus“? Allgemeiner Grundkonsens in der Wissenschaft ist, dass wir uns uns in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einer neuen Aufschwungphase befunden haben. Der Fortschritt in der Informationstechnologie bildete eine Basisinnovation, die in der allgemeinen Verbreitung von Computern; vernetzter Produktion; sowie in dem Internet seinen Ausdruck gefunden hat. Dies war die Aufschwungphase der sogenannten „fünften Kondratjew-Welle“. Vorausgegangen waren folgende Perioden:

  1. Welle (ca. 1780–1840): Erste industrielle Revolution (Frühmechanisierung); Beginn der Industrialisierung durch die Basisinnovationen der Dampfmaschinen und der Textilindustrie.
  2. Welle (ca. 1840–1890): Zweite industrielle Revolution (Gründerzeit): Stahl wird bevorzugter Werksstoff; Eisenbahnen und Dampfschiffe potenzieren Transportmöglichkeiten.
  3. Welle (ca. 1890–1940): Blütezeit von Elektrotechnik und Chemie: Energieversorgung, Telefon, Radio etc. verbreiten sich.
  4. Welle (ca. 1940–1980): Erdölzeit: Petrochemische Produkte (insb. Plastik), Luftverkehr und Automobile werden Massenprodukte.

Unklar ist, wann die 5. Welle ihren Höhepunkt überschritten hat. Unterstellt man die von Kondratjew ursprünglich unterstellte Dauer von 40-60 Jahren, so befinden wir uns noch mittendrin. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizierte vor über 10 Jahren, dass 2004 der Anfang einer 5jährigen Hochphase mit globalen Wachstumsraten von ca. 5% wird, die dann Ende des Jahrzehnts in einen langsamen Abschwung einmündet. Wie wir inzwischen wissen, lag er damit falsch.

Die Wendezeit ist wahrscheinlich viel früher anzusetzen. Vermutlich war zum Zeitpunkt der Internetspekulationsblase im Jahr 2000 der Höhepunkt schon längst überschritten. Insofern hatte auch der Abschwung viel früher eingesetzt als z. B. vom IWF oder anderen Ökonomen ursprünglich erwartet.

Doch befinden wir uns weiter in einer Abschwungphase oder bereits wieder einer Aufschwungperiode? Das ursprüngliche von Kondratjew identifizierte zeitliche Ablaufmuster legt nahe, dass wir uns immer noch im Niedergang befinden. Wenn allerdings der Höhepunkt des vorangegangenen Zyklus schneller erreicht wurde, so könnte man vermuten, dass der Abstieg ebenfalls schneller erfolgte; sich also die Zyklusdauer insgesamt auf ca. 30-40 Jahre verkürzt hat. Nicht auszuschließen ist, dass sie sich in Zukunft sogar noch weiter verkürzt.

Der Beitrag wird in 2 Tagen fortgesetzt.

Peter Bretscher Oktober 28, 2014 um 09:06 Uhr

Es gibt da schon verschiedene interessante Interpretationen über die Zyklen – und speziell natürlich darüber, wie’s weiter geht.
Mir gefällt ganz gut die Perspektive, die sich aus einer „New Theory of Value“ ergibt.
Hier gibt’s ein Bild davon.
https://plus.google.com/107048744275438760860/posts/azNpMaMgbVQ
Ich selber bin schon der Ansicht, dass sich die ökonomische Theorie mit der Definition des Geldes als einzigen Massstab für „Wert“ in einem Erklärungsnotstand befindet. Im wirklichen Leben (Wirtschaft und Gesellschaft) gibt es durchaus auch Werte, die sich nicht in Geldeinheiten ausdrücken lassen. Dieser „Blinde Fleck“ der klassischen Theorie ist ein systemischer Fehler mit massiven Auswirkungen.
Gerade wenn es um die Bewertung und den Einsatz von immateriellen Gütern (Wissen, Können, Erfahrung…) geht. Er wird früher oder später korrigiert.

Und ja – der Fehler ist korrigierbar.
Dafür gibt’s INSEDE (Institute for Sustainable Economic Development) http://insede.org

Der ursprüngliche Text von Norman L. Reuben Jr. ist nur noch über archive.org einsehbar.

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