Der Preis der Politik

by Karl-Heinz Thielmann on 7. Januar 2015

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Vor einem Jahr hat niemand geahnt, dass die Ölpreisentwicklung das bestimmende wirtschaftliche Thema dieser Tage sein wird. Und selbst wenn; jeder, der für 2014 Jahresendestände von 57,30 U$ Brent bzw. 53,30 US$ WTI prognostiziert hätte, wäre für einen hoffnungslosen Spinner gehalten worden.

Der Ölpreisrückgang sorgte an den Märkten für viel Verwirrung und warf zahlreiche Fragen auf: Wie stark fällt er noch aus und wie lange hält er an? Ist der Netto-Effekt auf die Wirtschaft positiv oder negativ? Handelt es sich um eine Sonderbewegung oder wird nur der Preisverfall anderer Energierohstoffe nachvollzogen?

 

Besonders verwirrend ist, dass sich die fundamentalen Bestimmungsgründe des Ölmarktes in den vergangenen 6 Monaten praktisch nicht verändert haben. Produktionsbedingungen und Nachfrage sind im Wesentlichen so, wie sie auch vorher waren. Das Einzige, was anders ist, ist das Verhalten der OPEC. Denn diese hat im Gegensatz zu den Vorjahren auf Produktionsausweitungen von Nicht-OPEC-Staaten nicht mit eigenen Fördersenkungen reagiert. So hat sich in den letzten Monaten ein temporäres Überangebot ergeben, das weiter anhalten wird, solange nicht eines der großen Förderländer die Produktion kräftig drosselt.

Hinter dieser Politik steckt vor allem Saudi-Arabien, produktionsstärkste und politisch wichtigste OPEC-Nation. Dieses Land ist in Relation zu der Bevölkerungsanzahl von ca. 27,3 Mio. Einwohnern mit einem enormen Rohstoffreichtum gesegnet. Bei Erdöl ist Saudi Arabien mit einem Weltmarktanteil von ca. 20% der größte Produzent und besitzt nach Venezuela die zweitgrößten nachgewiesenen Reserven. Mit Förderkosten von vermutlich ca. 10 US$ je Barrel kann Saudi Arabien zu relativ günstigsten Bedingungen produzieren. 2013 resultierten aus Erdölverkäufen 80% des Regierungshaushalts, 45% des Bruttoinlandsprodukts sowie 90% der Exporteinnahmen.

Die Motivation für das Handeln Saudi Arabiens ist allerdings für viele Marktteilnehmer schleierhaft geblieben; was aber nicht verwunderlich ist, den dieses Land gehört zu den von der übrigen Welt am wenigsten verstandenen.

Dies hängt einerseits damit zusammen, dass sich Saudi-Arabien relativ intransparent gibt und bisher versuchte, sowohl innen- wie außenpolitische Probleme relativ diskret und unauffällig zu lösen. Andererseits unterscheidet sich das Land grundlegend politisch und kulturell von der nichtarabischen Welt. Es ist eine der letzten verbliebenen absolutistischen Monarchien auf der Welt; d. h., alle Macht geht von der regierenden Herrscherdynastie aus und es gibt keine demokratischen Mitbestimmungsrechte. Von außen ist keine signifikante Opposition erkennbar, weshalb das Land (möglicherweise zu unrecht) politisch als sehr stabil gilt. Der größte kulturelle Unterschied ergibt sich allerdings aus der besonderen Bedeutung der Religion: Das Land ist Herkunftsland des Islam und beheimatet mit Medina und Mekka die zwei wichtigsten heiligen Stätten. Die Religion wird relativ konservativ ausgelegt und bestimmt das Alltagsleben in einem viel stärkeren Ausmaß als in anderen arabischen Ländern. Mit der Scharia gilt das islamische Rechtssystem.

In den vergangenen Jahren haben die Probleme für Saudi Arabien zugenommen, worauf das Land in Abweichung von seinem bisherigen Politikstil zunehmend aggressiver reagiert:

  • Es gibt eine starke Verunsicherung bezüglich des Fortbestands des politischen Systems. König Abdullah ibn Abd al-Aziz ist inzwischen 90 Jahre alt und nicht mehr in der Lage, die Regierungsgeschäfte vollumfänglich zu führen. Sein potenzieller Nachfolger Kronprinz Salman ist angeblich gesundheitlich angeschlagen. An der Spitze der Nation gibt es deshalb derzeit ein Machtvakuum, in dem sich anscheinend einige Personen durch das Propagieren einer aggressiveren Politik in den Vordergrund drängen. Aber nicht nur dynastische Nachfolgeprobleme sorgen für Unsicherheit, auch das bisherige an einer konservativen Islamauslegung orientierte Gesellschaftsmodell zeigt zunehmend Friktionen. Einerseits wollen insbesondere Frauen inspiriert von westlichen Vorstellungen sich nicht mehr den restriktiven Regeln eines islamischen Staates unterordnen. Anderseits gibt es die radikalen Islamisten, die noch mehr Sittenstenge anstreben und die Monarchie durch einen islamischen Gottesstaat ersetzen wollen.
  • Neben dem Dauerkonflikt mit dem schiitischen Iran haben sich in den vergangenen Jahren starke Spannungen mit dem kleineren Nachbarn Katar aufgebaut. Dieses Land hat zum einen ökonomisch bisher mehr aus seinem Ölreichtum gemacht; so liegt das kaufkraftadjustierte Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ca. dreimal so hoch wie in Saudi Arabien. Die ehrgeizigen Regenten haben die Saudis insbesondere verärgert, weil sie bei der Bekämpfung des Islamismus immer wieder querschießen. Bisheriger Höhepunkt des Konflikts war, dass Saudi Arabien gemeinsam mit einigen Verbündeten im März 2014 die diplomatischen Beziehungen zu Katar wegen der Unterstützung der Muslimbrüder abbrach. Zwar wurde dies im November zunächst wieder rückgängig gemacht, eine erneute Eskalation ist jederzeit möglich.
  • Von der Förderdisziplin der OPEC-Länder haben bisherig vor allem die Nichtmitglieder profitiert, die ihre Produktion immer weiter auf Kosten des Kartells ausgeweitet haben und gleichzeitig die hohen Preise abschöpfen konnten. König dieser Trittbrettfahrer war Wladimir Putins Russland, das die Exporte seit 2000 auf mehr als 7 Mio. Barrel am Tag fast verdoppelt hat und inzwischen mit einem Weltmarktanteil von ca. 14% zweitgrößte Fördernation wurde. Auch die bei den Saudis verhassten Terroristen von IS konnten mit hohen Öleinnahmen ihren Vormarsch finanzieren.

Russische Erdölexporte 1992-2013

Quelle: U.S. Energy Information Administration (EIA)

  • Langfristig wird die Marktposition von Saudi Arabien durch Bemühungen der Abnehmerländer gefährdet, ihre Abhängigkeit von Ölimporten zu vermindern. Hierzu gehören einerseits neue Technologien zum Energiesparen oder für Erdöl-unabhängige Energieerzeugungs- und Antriebsmethoden. Andererseits wurden eigene Förderkapazitäten mit neuen Methoden wie Fracking oder in der Tiefsee aufgebaut. Die meisten dieser Vorhaben haben gemeinsam, dass sie sich langfristig nur bei Ölpreisen rechnen, die wieder über 60-80 US$ je Barrel liegen.

Als außenpolitische Waffe steht Saudi Arabien vor allem die Einflussnahme auf den Ölpreis zur Verfügung. Mit den sehr geringen Förderkosten kann das Land im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten auch ausgesprochene Niedrigpreisphasen einigermaßen gut durchstehen. Unter König Abdullah ist das Land mit seiner Macht eher vorsichtig umgegangen und hat vor allem auf Stabilität und Verlässlichkeit gesetzt. Diese Politik scheint jedoch vorbei zu sein. Mit dem jüngsten Preisrutsch sollen offenbar die politischen und wirtschaftlichen Konkurrenten geschwächt oder abgeschreckt werden.

Doch diese Vorgehensweise wird ebenfalls neue Probleme schaffen. Zum einen kann sie innere Konflikte anheizen. Sowohl der Wunsch nach mehr westlichen Freiheiten wie auch die Hinwendung zum Islamismus könnten durch unvermeidbare Wohlstandseinbußen der saudischen Bürger begünstigt werden. Andererseits ist denkbar, dass sich die negativ betroffenen Nationen wehren und zu Gegenmaßnahmen greifen. Weiterhin kann Saudi Arabien langfristig gesehen eigentlich kein Interesse daran haben, seine begrenzten Öl-Ressourcen auf dem Weltmarkt zu verschleudern.

Kurzfristig wirken die gesunkenen Öl-Preise wie ein Konjunkturprogramm für die lahmende Weltwirtschaft. Für die Krisenregionen Südeuropas ergeben sich entscheidende Entlastungen, wichtige Schwellenländer wie Indien oder China dürften ihre Wachstumsschwäche überwinden. Langfristig hingegen können sie sich aber fatal auswirken. Denn sie förden weiter den nach wie vor enormen Verbrauch von Erdöl, der im Grunde ein unverantwortlicher Raubbau an diesem bedeutenden Grundstoff ist. Denn unsere globale Wirtschaft ist nach wie vor stark vom Öl abhängig, sowohl als Treibstoff wie auch als Grundmaterial für die Kunststoffproduktion. Gleichzeitig heizen die Verbrennungsrückstände den Klimawandel an. Weiterhin ist Erdöl auch der einzige von den wichtigen Rohstoffen, dessen einigermaßen kostengünstig erschließbaren Reserven in absehbarer Zeit (d. h. die nächsten 50-100 Jahre) erschöpft sein werden. Insofern wäre es eigentlich dringend notwendig, die weltweite Abhängigkeit hiervon so schnell wie möglich zu reduzieren.

Problematisch ist ebenfalls, dass sich über die weitere Entwicklung keine Aussage treffen lässt, weder kurz- noch langfristig. Denn Saudi Arabien und die OPEC sind unberechenbar geworden. Kurt Bock von BASF hat vor Kurzem erklärt, dass seine Firma sowohl mit hohen wie niedrigen Ölpreisen gut leben kann, nur starke Schwankungen wären negativ. Genau dies ist aber zu befürchten: Ein vorwiegend politisch bestimmter Ölpreis, der mehr von Macht-Kalkülen (und Intrigen) aus dem Königspalast in Riad als von ökonomischen Faktoren abhängig ist, kann sich scheinbar willkürlich immer wieder deutlich ändern, was Investitionen im Energiebereich wesentlich unsicherer macht.

 

Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 33 vom 5. Januar 2015.

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