Kunst als Geldanlage: Der Wert der Kunst (Teil 2)

by Karl-Heinz Thielmann on 15. Januar 2015

Fortsetzung des Beitrags von Dienstag, dem 13. Januar zum Thema „Kunst als Geldanlage“

 

Kunst als sozialer Faktor

Passionierte Kunstkäufer sind Mitglieder eines elitären Kreises. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass moderne Kunst extrem schwer verständlich, wenn überhaupt erfahrbar ist. Künstler werden oft wie überhöhte Wesen inszeniert, metaphysische Lichtgestalten in unserer rationalen modernen Welt. Der Käufer eines Kunstwerkes erwirbt nicht nur das Objekt an sich, sondern mit ihm in gewisserweise einen privilegierten Zugang zu einem speziellen Personenkreis, bei der die Auseinandersetzung mit Kunst sowie außergewöhnlichen Künstlerleben im Vordergrund steht.

Zum anderen hat das privilegiert sein im Zusammenhang mit Kunst sehr viel damit zu tun, dass sich nur sehr wenige Menschen hochgeschätzte Kunst leisten können. Ein Schlüsselfaktor bei der Entwicklung des Kunstmarktes in den vergangenen Jahrzehnten war daher das überproportionale Einkommenswachstum bei den schon besonders Wohlhabenden. Gerade Neureiche sehen ihre Kunstsammlung als eine Art Einstiegsticket in den wirklich exklusiven Lifestyle der echten Superreichen.

Nicht wenige von ihnen sammeln aber auch Kunst, weil sie einen Teil ihres Wohlstandes wieder der Gemeinschaft zugänglich machen wollen. Ein populärer Weg hierzu ist, dies mithilfe der Stiftung eines privaten Kunst-Museums zu machen, indem entweder eigene Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht oder Ausstellungsräume geschaffen werden. Dies wird zudem i.d.R. weltweit steuerlich gefördert. Ein weiterer immer wichtiger werdender Faktor ist, dass die superreichen Kunstkäufer von heute oftmals noch relativ jung sind; sei es, weil sie ihren Reichtum ererbt haben, sei es, weil sie mit Internetfirmen selbst sehr schnell wohlhabend wurden. Dies macht sie weltoffener und experimentierfreudiger, sehr aufgeschlossen für moderne Kunst aus der ganzen Welt.

Speziell in China erklärt sich der Kunstboom derzeit stark durch das Sozialprestige, welches sich die neureichen Gewinner des langen Wirtschaftsaufschwungs der letzten Jahre vom Aufbau und Ausstellung einer Sammlung versprechen. Laut Angaben der Smithsonian Institution wurden in China zwischen 2008 und 2013 ca. 800 Mio. US$ für den Bau neuer Museen ausgegeben. Alleine 2011 wurden 400 Museen neu errichtet. Allerdings verirren sich nur selten Besucher in die neuen Kunsttempel, zu fremd ist der chinesischen Bevölkerung moderne und westlich ausgerichtete Kunst. Insofern bleibt abzuwarten, ob sich die Hoffnungen der Museumsstifter auf mehr Prestige wirklich erfüllen.

Kunst als Mittel der Risikostreuung

Eines der Hauptargumente, welches derzeit herangezogen wird, um vermögenden Privatleuten, Family Offices oder sogar institutionellen Anlegern Kunstinvestments schmackhaft zu machen, ist aus der Modern Porfolio Theory abgeleitet. Aufgrund der geringen Korrelation von Kunstindizes zu anderen Investments soll deren Beimischung das Gesamtrisiko einer Kapitalanlage senken. Dies ist jedoch höchst fragwürdig.

Denn ein breit gestreutes Kunstportfolio in Form eines handelbaren und repräsentativen Index lässt sich für Anleger praktisch gar nicht nachbilden1. Insofern sind auch alle Ertags- und Risikobetrachtungen, die auf solch einem Konzept beruhen, höchst irreführend. Zum einen werden Kunstwerke sehr selten mit hohen Transaktionskosten gehandelt und sind daher im Gegensatz zu Aktien oder Renten äußerst illiquide. Weiterhin sind sie sehr heterogen; damit unterscheidet sich auch ihre Wertentwicklung stark. Um das Risiko zu senken, müsste ein Kunstportfolio breit gestreut sein, also aus sehr vielen verschiedenen Werken unterschiedlicher Richtungen bestehen. Kunstsammlungen sind in der Realität aber zumeist auf bestimmte Stile oder spezielle Künstler fokussiert, was effektiv zu einer Risikokonzentration führt.

Des Weiteren sind Korelationen an Kapitalmärkten langfristig alles andere als stabil, was die Argumentation hiermit sehr problematisch macht. Darüber hinaus hat der Erfinder der Modern Portfolio Theory Harry Markowitz in einem Aufsatz vor einigen Monaten darauf hingewiesen, dass die heute gängige Praxis, nur aus niedrigen Korelationen auf Risikosenkung zu schließen, viel zu simpel ist. Tatsächlich ist in seinem Ansatz die Kovarianz – also die Kombination der Volatilitäten von zwei Anlagen sowie der Korrelation zwischen ihnen – entscheidend, um Diversifikationseffekte zu erzielen. Doch wie will man für eine Anlage wie Kunst, die nach Mei Moses im Durchschnitt alle 28 Jahre gehandelt wird und der Index auf Jahresbasis berechnet wird, sinnvollerweise eine Volatilität bestimmen? Versuche, dies zu machen, sind höchst problematisch. Denn die ermittelte Volatilität ist vor allem Resultat einer hohen Illiquidität der Anlage Kunst, die wiederum mit den hohen Transaktionskosten zusammenhängt. Tatsächlich dominiert bei Kunst das sehr hohe Liquiditätsrisiko, weshalb der Bezug auf die Volatilität bei der Risikobetrachtung höchst irreführend ist.

Die Argumentation, dass man mit Kunst das Risiko eines Wertpapierportfolios vermindern kann, ist noch viel fragwürdiger wie die angebliche Risikosenkung von Portfolios durch andere illiquide Anlageformen wie Hedgefonds, Private Equity oder Immobilien. Sie basiert nicht nur auf einer Fehlinterpretation der Modern Portfolio Theory, sondern vernachlässigt auch noch die Heterogenität von Kunstwerken und das große Liquiditätsrisiko, welche die Bedingungen für eine Risikosenkung relativ unrealistisch erscheinen lassen. In der Regel wird man mit der Beimischung von Kunstanlagen das Gesamtrisiko eines Investmentportfolios deutlich erhöhen.

Die Reputation des Kunstwerkes bzw. des Künstlers

Ein niederländisches Porträt aus dem 17. Jahrhundert, das 2010 durch eine Schenkung in den Besitz des britischen National Trust gekommen war, wurde vor einigen Monaten nach aufwendigen Analysen eindeutig als Werk von Rembrandt identifiziert. Dies erhöhte die geschätzte Bewertung schlagartig von einer sechsstelligen Summe auf 30 Millionen £. Tatsache ist aber, dass sich die künstlerische Ästhetik des Bildes nicht verändert hat. Alleine dass Wissen darum, dass es sich nicht um das Werk eines unbekannten Meisters, sondern um das Rembrandts handelt, hat den monetären Wert für die mit der Schätzung beauftragten Experten ungefähr verhundertfacht. Dies wiederum spricht dafür, dass die Bewertung weniger mit der Ästhetik als mit der Berühmtheit von Rembrandt zu tun hat, also vor allem aus einem „Reputationsbonus“ besteht.

Die Soziologen Jens Beckert und Jörg Rössel haben in ihrer 2004 in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie erschienen Untersuchung „Kunst und Preise“ die These aufgestellt, dass Reputation der wichtigste Faktor insbesondere bei der Erklärung von Preisen für zeitgenössische Kunst ist. Für sie entsteht der Wert eines Kunstwerks oder Künstlers in einem intersubjektiven Prozess der Bewertung und Reputationsverleihung durch Experten und Institutionen des Kunstmarktes sowie der Künstlerausbildung. Dies sind Galeristen, Kuratoren, Kritiker, Kunsthändler, Journalisten, Sammler und Kunsthochschulen, die gemeinsam an der Herstellung der künstlerischen Reputation eines Werks oder eines Künstlers beteiligt sind. Die Reputation eines Künstlers ist ein soziales Konstrukt, das sich aus einer Kette von Weiterempfehlungen ergibt. Die Ästhetik seiner Werke ist beim Zustandekommen der Reputation nur ein Faktor, und gar nicht einmal der entscheidende. Wichtig ist vor allem, dass er von den bekannten Experten positive Kritiken bekommt sowie in namhaften Galerien und Museen ausgestellt wird. Deren Reputation wird quasi auf den Künstler übertragen. Wenn der Künstler erfolgreich ist, überträgt er sein Renommee wieder zurück; insofern kann von einer Wechselwirkung der Reputation gesprochen werden.

Reputation ist laut Beckert und Rössel als Grundlage für die Bestimmung des ökonomischen Wertes besonders wichtig, gerade weil bei der zeitgenössischen Kunst der Qualitätsbegriff relativ unklar ist. Der Bezug auf die Reputation soll für den Anleger die Risiken für die zukünftige Preisentwicklung reduzieren. Insofern soll der Käufer von Werken renommierter Künstler eine gewisse Sicherheit vermittelt bekommen. Eine zentrale Rolle hierbei spielt der Galerist mit seiner Preisgestaltung, was im nächsten Abschnitt thematisiert wird.

Die Marktposition der Galeristen und Großsammler

Für die Erwartung von Wertgewinnen mit Kunst ist ganz entscheidend, dass einem Künstler langfristig gelingt, in der Kunstszene an Popularität zu gewinnen, also Reputation aufzubauen, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben. Der Erfolg wiederum hängt entscheidend vom Engagement und der Marktposition des Galeristen ab, der ihn vertritt. Als besonders reputationsschädigend gilt in der Kunstwelt, wenn die Preise von Kunstwerken sinken.

In einer bereits im Beitrag aus Blicklog vom 16.12.2014 (Kunst als Geldanlage: Ein sehr spezieller Markt) zitierten Analyse über den Kunstmarkt stellte der Soziologe Olav Kamphuis fest, dass insbesondere die Bereitschaft von Galeristen, auf jeden Fall eine Preissenkung für die durch sie verkaufte Kunst zu vermeiden, entscheidend für die Erwartung eines relativ gesicherten Investmentwertes ist. Den aufgrund der kulturellen Abhängigkeit des Wertes eines Kunstwertes besteht im Grunde eine radikale Unsicherheit bzgl. der zukünftigen Wertentwicklung.

Deswegen hat ein Kunstkäufer im Grunde nur eine verlässliche Indikation für die zukünftigen Preise: den Willen und die Fähigkeit des Galeristen, bei Gefahren für die Preisentwicklung zu intervenieren. Im Gegensatz zu der üblichen ökonomischen Sichtweise ergibt sich der Preis somit nicht als Ableitung aus dem Nutzen des Kunden (und damit des persönlichen Wertes), sondern umgekehrt: Alleine der Preis bestimmt den Wert.

Dass ein Künstler und seine Werk allein aufgrund der Nachfrage des Marktes ohne jede Manipulation populär werden und an Wert gewinnen können, ist zwar möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Künstler versuchen immer wieder, sich den Mechanismen des Galeriesystems zu entziehen. Meistens bleiben sie mangels professioneller Vermarktung unentdeckt und kommerziell erfolglos, selbst wenn sie sich ästhetisch kaum von teuren Künstlern unterscheiden. So wurde die Kunsthändlerin Marla Goldwasser 2013 in einem Artikel mit der Aussage zitiert, dass nur diejenigen Kunstwerke Investmentwert und Sozialprestige bieten, die durch Top-Galerien verkauft werden, selbst wenn sehr ähnliche von unbekannten Künstlern zu einem Bruchteil ihres Preises erhältlich sind.

Es gibt immer wieder Fälle, in denen sich einzelne Sammler Werke von aufstrebenden Künstlern oder Künstlergruppen zugelegt haben und damit später spektakuläre Wertgewinne erzielen konnten. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass speziell diese Sammler sich oft selbst ein tiefes Wissen über ihre Kunst angeeignet hatten bzw. durch Galeristen als gute Kunden besonders bedient wurden. Damit nutzten sie in gewisserweise „Insiderwissen“ aus, was in intransparenten und unregulierten Märkten durchaus ein legales Erfolgsrezept ist. Weiterhin darf man aber auch nicht vergessen, dass Glück eine große Rolle beim Erfolg eines Sammlers spielt, und die Ergebnisse selektiv wahrgenommen werden. Eine Kunstsammlung ist in gewisser Hinsicht nichts anderes als ein gestreutes Investmentportfolio, und wie in jedem Portfolio gibt es bei der Performance Ausreißer nach oben oder nach unten. Über die spektakulären Gewinne spricht man gerne, die Versager verdrängt man lieber.

Als Käufer eines Werkes aus einer etablierten Galerie befindet man sich scheinbar in einer Win-win-Situation. Entweder, der Künstler und seine Kunst setzten sich am Markt durch und erzielen damit unmanipulierte Wertsteigerungen. Oder, die Galerie interveniert und stabilisiert den Preis. Schönheitsfehler bei dieser Sichtweise ist allerdings, dass – wie bei allen Marktinterventionen – die Fähigkeit einer Galerie zur Preisstabilisierung von zwei Faktoren abhängt:

  1. Wie stark sie auf ihre Kunden einwirken kann, dass diese ihre Werke nicht auf dem freien Markt anbieten. Dies ist oft relativ einfach, solange es diesen Kunden wirtschaftlich gut geht. Insbesondere wenn sich diese verpflichtet haben, ein Kunstwerk nicht ohne Genehmigung der Galerie weiterzuverkaufen, ist die Kontrolle relativ einfach. Sterben Besitzer aber, fühlen sich die Erben oft nicht mehr an alte Absprachen gebunden. Gewinnversprechende Kunstwerke werden dann oft als Erstes verkauft. Gefährdet wird die Kontrolle der Galeristen auch, wenn es beim Käufer durch unternehmerische Missgeschicke, Scheidung oder Steuerverbindlichkeiten zu finanziellen Schieflagen kommt, die durch Vermögensverkäufe ausgeglichen werden müssen.
  2. Die finanziellen Ressourcen der Galerie: Um die Preise am Sekundärmarkt durch Stützungskäufe zu beeinflussen, sind oft enorme Summen erforderlich, insbesondere wenn Strohmänner vorgeschoben werden, um die eigenen Aktivitäten zu verschleiern. Es ist daher möglich, dass Galerien in eine Verschuldungsfalle getrieben werden, aus der sie nicht mehr herauskommen. Dies ist vor allem dann gefährlich, wenn es zu einer spekulativen Überhitzung des Kunstmarktes – sprich einer Blase – kommt.

Eine entscheidende Rolle, damit Markteingriffe auch bei sehr hohen Preisen funktionieren, spielen Großsammler, die einen Großteil ihres Vermögens in eine Kunstsammlung investiert haben und im Einklang mit den Interessen der Galeristen agieren. Einerseits fungieren sie als Trendsetter, d. h., durch ihre Käufe motivieren sie auch andere Sammler zu kaufen, was den Preis nach oben treibt. Zweites haben sie die Kapitalkraft, um bei Auktionen die hohen Preise von populären Werken zu stützen bzw. weiter in die Höhe zu treiben. Ein Beispiel hierfür ist der französische Milliardär François Pinault, der für die hohen Preise bei Werken von Jeff Koons verantwortlich gemacht wird.

Die Bedeutung der Preissetzung durch den Galeristen für die Wertschaffung erklärt ebenfalls, warum Preismanipulationen oftmals so bereitwillig toleriert werden. Denn sie dienen nicht dazu – wie an Wertpapiermärkten – den wahren Wert zu verschleiern. Bei einer mehr oder weniger virtuellen Bewertung wird der Wert durch die Manipulation erst geschaffen. Die wertschaffende Bedeutung des Preises ist dominanter als bei anderen hochpreisigen Waren, wie z. B. Luxusgütern. Bei diesen reflektiert der hohe Preis nicht nur die subjektive Bereitschaft des Konsumenten, für eine Luxusmarke eine Prämie zu bezahlen, sondern zumeist auch eine messbar überdurchschnittlichen Qualität.

Galeristen rechtfertigen Preismanipulationen damit, dass hierdurch Lebensunterhalt und kreative Weiterentwicklung von Künstlern langfristig gesichert werden. Zudem investieren Galerien viel in einen Künstler und seine Reputation, bauen ihn quasi als „Marke“ auf. Spätere Manipulationen werden als legitimes Mittel angesehen, um die eigene Investition in den Künstler zu sichern.

Dennoch stößt diese Praxis einer Wertbestimmung vielen Ästheten sauer auf, da sie zu einer völligen Entkoppelung von Bewertung und Ästhetik führt. So hat der renommierte britische Kunsthistoriker Bendor Grosvenor vor Kurzem in einem Essay für die Financial Times bemängelt, dass derzeit „zeitgenössische Kunst nach ihrem Preisschild und nicht nach ihrer Ästhetik bewertet wird“. Hierbei griff er insbesondere die Praxis scharf an, durch inflationierte Rückkäufe von Galeristen sowie überhöhte „Garantiepreise“ bei Auktionen Wertsteigerungen vorzutäuschen, die nicht von realen Marktkräften getrieben sind. Die Konsequenz für ihn ist: „… wir haben kollektiv die Fähigkeit verloren, Kunst für uns selbst und auf Basis ihrer Leistung zu bewerten. Stattdessen folgen wir Indikatoren wie Mode, Preis oder (…) Hype.“ So subjektiv und zeitgeistabhängig Ästhetik auch sein mag, wenn die monetäre Bewertung von Kunst völlig unabhängig von ihr erfolgt, erscheint sie vor allem nur eins: willkürlich.

 

Die bisherigen Beiträge zur Kunst als Geldanlage werden in einigen Tagen ergänzt um eine Betrachtung, welche Anlagestrategien am Kunstmarkt erfolgversprechend sind.

Der erste Text erschien in Blicklog vom 16.12.2014 mit dem Thema: Kunst als Geldanlage: Ein sehr spezieller Markt.

 

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