Neoklassik und “Homo Oeconomicus” (3): Ausgewählte Kritikpunkte

by Dirk Elsner on 23. Februar 2015

Nachdem ich in Teil 1 die Reihe eröffnet und in Teil 2 den “Homo Oeconomicus” vorgestellt habe, folgen hier heute einige ausgewählte Kritikpunkte, die mir besonders aufgefallen sind[1].

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Rost angesetzt, wie der “Homo Oeconomicus”

Die neoklassischen Ansätze stützen sich auf die Annahme, dass sich selbst überlassene Märkte prinzipiell zu einem Marktgleichgewicht tendieren. Verteilungsprobleme ließen sich damit grundsätzlich auch ohne Eingreifen staatlicher Regulierungsinstanzen lösen. Nur der Marktmechanismus selbst, so die Vertreter der Neoklassik, sei in der Lage, eine effiziente Güter- und Faktorallokation herbeizuführen. “Selbst wenn dies im Einzelfall zu Ergebnissen

führen sollte, die sozialpolitisch bedenklich erscheinen, müsse dies toleriert werden, da der Allokationsmechanismus der Märkte generell zu besseren Ergebnissen führe, als dies durch das Eingreifen staatlicher Instanzen erreicht werden könnte (vgl. Michael Aßländer, “Vom „klassischen Irrtum“ der Neoklassik).

Die Ökonomen malten zusammen mit den Philosophen der Aufklärung, “ein Bild vom Menschen als rational, eigennützig, materialistisch, utilitaristisch, getrieben von einem Bedürfnis nach Autonomie – alles Eigenschaften, die uns, jeder als

Insel für sich, zur Anhäufung von Wohlstand prädisponieren.”[2]

Gängige Kritikpunkte

Georg Quaas reiht in einer Präsentation gängige Kritikpunkte am neoklassischen Paradigma auf, die ich hier nicht alle vertiefen kann:[3]

  • blinde Flecken (die nicht weiter benannt werden)
  • fragwürdige erkenntnistheoretische Grundlage des neoklassischen Paradigmas
  • das Fehlen von qualitativen Methoden
  • die monopolistische Position von nur einer Theorie. Auf der anderen Seite betonen Dobusch und Kapeller die Flexibilität des Paradigmas und die Fähigkeit, andere Theorien zu integrieren („eine Theorie“?)
  • Ignoranz gegenüber den Faktoren Reichtum und Mach
  • Homo Oeconomicus ist keine realistische Annahme
  • Märkte sind nicht perfekt
  • Information ist unvollständig (Hayek)
  • Akteure handeln selten rational
  • Dynamik / Entwicklung wird zu wenig berücksichtigt
  • Angebot-Nachfrage zu schematisch
  • übertriebene Formalisierung und Mathematisierung
  • Praxisferne
  • Es gibt kein Gleichgewicht (Keynes)

Franz betont in seiner Darstellung der Nutzenmaximierung des “Homo Oeconomicus” ein wichtiges Element, dass insbesondere für seine Kritik unter evolutionsbiologischen Aspekten[4] wichtig ist:

“Der Homo Oeconomicus begegnet seinen Mitmenschen „neutral“; es bedeutet ihm zunächst nichts, ob es den Mitmenschen gut geht oder schlecht. Er blickt weder mit Neid, noch mit Schadenfreude auf sie, er erfreut sich aber auch nicht an ihrem Wohlergehen. Kirchgässner nennt dies eine „gegenseitig desinteressierte Vernünftigkeit“ (1991: 47). Kooperieren die Akteure jedoch miteinander, schwächt sich das Desinteresse verständlicherweise ab – aus Eigennutz. Vordergründig uneigennütziges Handeln, Altruismus, folgt demnach der Logik kooperativer Spiele. Zusammenfassend handelt der Homo Oeconomicus also in seiner Umwelt und zusammen mit ihrer, um seine Ziele zu erreichen.”[5]

Heiko Hoßfeld schreibt, dass der “Homo Oeconomics” rein eigennutzorientiert ist, indem er ausschließlich eigenbezogene (und gegebene) Präferenzen zu maximieren versucht, während von fremdbezogenen Präferenzen, wie z.B. einer internalisierten Moral, abstrahiert wird. Menschen seien danach nur in der Form an anderen Menschen interessiert sind, dass diese Ressourcen kontrollieren, die sie gerne hätten. Vertrauen hat daher für den „Homo Oeconomicus“ keinen Eigenwert.[6]

Karlheinz Ruckriegel schreibt in seiner Zusammenfassung der Tagung von Lindau zur Egoismus Annahme, dass bereits Adam Smith das Problem dieser Annahme sah:

„Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein.“, so Adam Smith in der 6. Auflage seiner „Theorie der ethischen Gefühle“, die in seinem Todesjahr 1790 erschienen ist (S. 1).”[7]

Weiter schreibt Ruckriegel

“Erkenntnisse aus der Neurobiologie bestätigen die Aussage von Smith. Sie zeigen, dass das natürliche Ziel des menschlichen Motivationssystems soziale Gemeinschaft und gelingende soziale Beziehungen mit anderen sind. Dies betrifft alle Arten des sozialen Zusammenwirkens. „Zu kooperieren, anderen zu helfen und Gerechtigkeit walten zu lassen ist eine global anzutreffende, biologisch verankerte menschliche Grundmotivation“, so der Neurobiologe Joachim Bauer.”

Schräder kritisiert den falschen Bezug auf Charles Darwin. So weist er darauf hin, dass Darwin Begrifflichkeiten aus der Ökonomie in die Bio­logie eingeführt und damit seine Vorstellung der Evolu­tion konstruiert hat. Daher könne aber die Ökonomik nicht ihre Theorie als Naturgesetz verste­hen, weil sie sich damit auf sich selbst berufen würde.[8]

Außerdem, so Schräder, verkürzt die Ökonomie Darwins Ideen, weil die von Darwin ebenfalls erkannten sozialen und kooperativen Elemente ver­nachlässigt werden. “Daraus folgt eine zu starke Betonung des Kampfes ums Dasein als Konkurrenz der Individuen einer Art. Bei Darwin heißt es: „Bei denjenigen Tieren, die durch das Leben in Gesellschaft gewannen, konnten die geselligsten am leichtesten vielen Gefahren entgehen, während die anderen, die sich wenig kameradschaftlich zeigten und einsam lebten, in großer Zahl umkamen. Diesen wichtigen Aspekt der Evolutionstheorie übergeht die Ökonomik. Homo oeconomicus wird zum egoistischen Kämp­fer, der in Konkurrenz zu allen anderen tritt.”[9]

Der bekannte Biologe Edward O. Wilson greift in seinem Buch Die soziale Eroberung der Erde die ökonomische Lehrmeinung nicht direkt an[10]. Er schreibt aber:

Die Ökonomen haben die menschliche Natur im Großen und Ganzen umfahren, während die Philosophen, die so kühn waren, sie erkunden zu wollen, sich unterwegs immer verrannt haben. Theologen neigen zur Kapitulation und weisen sie in unterschiedlichen Anteilen Gott und dem Teufel zu. Politische Ideologien von Anarchismus bis Faschismus definieren sie zu ihrem egoistischen Vorteil.

Dass es eine Natur des Menschen überhaupt gibt, leugneten die meisten Sozialwissenschaftler im vergangenen Jahrhundert ganz. Obwohl sich die Beweise mehrten, folgten sie dem Dogma, alles Sozialverhalten sei erlernt, die gesamte Kultur sei das Produkt der Geschichte, die von einer Generation an die nächste weitergereicht wird.”[11]

Die Arbeiten von Edward O. Wilson und anderen Biologen sollten Ökonomen ganz genau studieren, um die Annahmen ihrer Modelle zu überdenken. Wenn man Wilson verstanden hat, dann weiß man, dass das was Ökonomen als “rational” betrachten, weder eine naturwissenschaftliche Fundierung hat, noch ein Rechtfertigung hat, um als Norm zu dienen. Entsprechend fragwürdig sind darauf aufbauende Handlungs- und Politikempfehlungen. Das werde ich in einer eigenen Beitragsreihe vertiefen.

Weiterentwicklung des “Homo Oeconomicus”

 

Jan Schellenbach wies in einem Blogeintrag darauf hin, dass der “Homo oeconomicus” weiterentwickelt wurde:

“War homo oeconomicus früher tatsächlich der ständig rechnende, immer alles wissende Rationalclown, so taucht er inzwischen in den Modellen als jemand auf, der es rational finden kann, keine Informationskosten zu tragen und daher ignorant durchs Leben zu gehen. Oder auch als jemand, der sich lieber an verläßlichen Institutionen orientiert, als andauernd Kalkulationen durchzuführen, die ihm hohe kognitive Kosten verursachen. Homo oeconomicus ist also menschlicher geworden, realistischer, und die ökonomische Theorie ist damit, jedenfalls in immer mehr modernen Ansätzen, ein gutes Stück über die falsche Anthropologie hinaus, die Hans Albert damals zurecht kritisierte.”[12]

Kein Mensch handelt “rational”

Eigentlich ist es schwer, diesen Punkt aus Sicht der ökonomischen Theorie zu kritisieren, denn die Ökonomen haben ihre Verhaltensmodell so konstruiert, dass sie im Prinzip jedes Verhalten als rational und jeden Preis als effizient ansehen können. Das arbeitet Birger P. Priddat in der Einleitung seines gerade erst erschienen Buches “Economics of persuasion” heraus:

“Für die Ökonomen reicht es, wenn der Käufer zufrieden ist, d.h. einen hinreichenden Grund hatte, die Transaktion zu vollziehen. Da er sich entschieden hat, ist das, was er entscheiden hat, das Beste, was er in der Situation wollen konnte: optimal … Dann ist jede Entscheidung, bei der ich mich wohlfühle, aber möglicherweise Schrott kaufe, rational. Es reicht anscheinend, dass es Gründe, Motive, Kriterien gibt, die für einen Kauf entscheiden, ohne Rücksicht auf tatsächlich rationale Prüfverfahren, was das Beste sei.“[13]

Priddad hält dabei zu Recht fest, dass rational an den Begründungen allein die post-hoc-Legitimation der Entscheidungen. “Wenn hingegen aber jedes Verhalten post hoc rationalisiert werden kann, kann nur noch behauptet werde, das, was die Leute entschieden haben, sei der aktuell mögliche effiziente Markt. Dann aber sind die jeweils erreichten Effizienzen kontingent, weil abhängig von dem, was die Leute gerade begehren, ohne rational geprüft zu haben, was das Beste wäre.”[14]

Damit tragen die Erklärungen der Ökonomen nichts zur Erklärung der Wirklichkeit bei.

Im abschließenden Teil 4 werde ich mich damit befassen, warum der ökonomische Modellmensch kein Referenzmodell sein kann.


[1] Natürlich ist das unvollständig. Wer mehr Kritik möchte, der sollte die Literaturliste in Teil 4 abwarten. Da gibt es jede Menge weiteren Stoff.

[2] Vgl. Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, 2014, S. 404 f.

[3] Georg Quaas, Die neoklassische Schule – Eine Analyse aus der Sicht der Wissenschaftsauffassung Thomas S. Kuhns, Präsentation o. Jg. S. 13 f.

[4] Ich kann auf diesen Aspekt hier nicht eingehen, weil dies den vorliegenden Beitrag deutlich sprengen würde. Ich verweise hier auf das Verhalten der Menschen, wie es die Evolutionstheorie in der Multilevel-Selektion-Variante herausarbeitet. Vgl. dazu insbesondere Edward O. Wilson, “Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen” 2012.

[5] Stephan Franz, Grundlagen des ökonomischen Ansatzes: Das Erklärungskonzept des Homo Oeconomicus, Universität Paderborn, Working Paper 2004-02, S. 7.

[6] Heiko Hoßfeld, Die Erklärung von Vertrauen im ökonomischen

Modellbau – zwischen Realitätsnähe und Komplexität, Essener Beiträge zur Personalforschung Nr. 4 (2005), S. 5

[7] Karlheinz Ruckriegel,Abschied vom homo oeconomicus, Skript der 5. Lindauer Tagung der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften vom 20. – 23.8.2014, Fassung vom 1.10.2014, S. 31 f.

[8] Olaf Schräder, Wohin wollen wir gehen, München 2008, S. 11 ff.

[9] Olaf Schräder, Wohin wollen wir gehen, München 2008, S. 32.

[10] Er kritisiert aber die Ökonomie in dem Buch “Die Einheit des Wissens”. Dabei trifft er für einen Biologen schon 1998 erstaunlich gut die kritischen Kernpunkte, die auch seit der Finanzkrise von den Ökonomen selbst aufgegriffen werden. Vgl. dazu Edward O. Wilson, Die Einheit des Wissens, 1998, Taschenbuchausgabe 2000, S. 261 ff.

[11] Edward O. Wilson, “Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen”. Position 2965 ff.

[12] Jan Schellenbach, Ökonomische Theorie als politische Ideologie?, Wirtschaftliche Freiheit am 30.12.2009.

[13] Birger P. Priddat, Economics of persuasion, Marburg 2015, S. 15 ff.

[14] Birger P. Priddat, Economics of persuasion, Marburg 2015, S. 18.

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