Denn sie wissen nicht, was sie tun: Anlageexperten der Medien und der DAX 12.000

by Karl-Heinz Thielmann on 24. März 2015

In den vergangenen Jahrzehnten habe ich schon einigen haarsträubenden Schwachsinn über die Aktienanlage gelesen. Speziell die Periode um die Blase im Jahr 2000 war voll von den schönen Stilblüten.

Allerdings haben sich in vergangenen Zeiten die Aktienverkäufer noch schöne Wachstumsstorys ausgedacht. Die meisten davon stimmten dann nicht, aber letztlich muss man von jedem Aktienkäufer erwarten können, dass er sich der Risiken bewusst ist; und vor allem nicht leichtgläubig jede Wachstumsprognose als wahr ansieht. Nur bei geschlossenen Fonds werden finanziell Naive brutaler abgestraft als an der Börse.

Heute allerdings braucht man keine (erfundenen oder wahren) Storys mehr, um Aktien zu verkaufen. Beim DAX von 12.000 lautet der in den Medien von sog. Experten gerne verbreitete Ratschlag: Kaufen Sie Aktien (vorzugsweise in Form von Indexfonds), weil die Aktienindizes früher schon stark gestiegen sind (z. B. hier oder hier). Und wenn sie mal deutlich gefallen sind, dann sind sie hinterher irgendwann auch wieder stark gestiegen und haben die Verluste locker aufgeholt. Also kein Problem, wenn man mit dem Timing völlig daneben liegt. Denn langfristig wird alles gut!

Diese Sichtweise hat nur vier nicht ganz unwesentliche Probleme:

  • Sie ist grundsätzlich superdämlich, weil lediglich aus vergangener Performance Rückschlüsse auf die Zukunft gezogen werden. Dieses prozyklische Verhalten ist das sicherste Rezept für ein finanzielles Desaster, da dann immer die Geldanlagen am besten sein müssten, die vorher am stärksten im Kurs gestiegen sind.
  • Sie ist empirisch falsch. Denn tatsächlich gilt die Behauptung, dass sich Aktienmärkte nach ein paar Jahren immer wieder erholt haben, nur für den US-Markt. Zudem kann man sie nur aufrechterhalten, wenn man Inflation, Steuern und Transaktionskosten unberücksichtigt lässt. Ich habe im vergangenen Jahr mal versucht, adjustierte Zahlen zu berechnen, die dann leider die heute vielfach geäußerte Behauptung nicht stützen. (Für Interessierte hier der Link). Leider haben sich angebliche Experten wie Bankanalysten, Journalisten und Finanzwissenschaftler angewöhnt, Aktienrenditen schönzurechnen, wie z. B., beim Handelsblatt Renditerisiko-Radar. Damit disqualifizieren sie sich aber selbst. Denn für das Verhalten, an nominale und nicht an reale Wirtschaftszahlen zu glauben, hat die Ökonomie schon seit Längerem den Begriff Geldillusion geprägt. Insofern gibt es bei Fachleuten eigentlich keine Entschuldigung für diese Rechenkunststückchen.
  • Erfahrungsgemäß kommen ca. 80%-90% der Privatanleger mit dem Aktienmarkt nicht zurecht, wenn sie ihre Anlageentscheidung selbst treffen. Hieran ist weniger eine schlechte Anlageberatung schuld als psychologische Faktoren, die letztlich in einer leichtfertigen Unterschätzung von Risiken an der Börse münden. Andreas Hackethal von der Universität Frankfurt hat das einmal so ausgedrückt: „Anleger, die selbstständig an die Märkte gingen, haben teure Verhaltensmuster.“  Hierzu gehören eine mangelnde Streuung im Portfolio, übermäßiges und somit teures Handeln, Selbstüberschätzung (und damit einhergehend Beratungsresitenz), prozyklisches Verhalten durch die Jagd auf Trends sowie die Neigung, „Verlierer auszusitzen“ und Gewinner vorschnell zu verkaufen.
  • Indexfonds beheben beheben die Probleme von Privatanlegern am Aktienmarkt nicht. Speziell ETFs verstärken möglicherweise sogar die Schwierigkeiten. Tatsächlich wird nur der Mangel einer zu geringen Streuung angegangen, dies kann man auch mit konventionellen Fonds. Die Frage nach der Anlagestrategie sowie was man wann kauft oder verkauft, lösen auch Indexfonds nicht. Die geringen Kosten dieser Produkte werden in den Medien derzeit oft als entscheidender Vorteil hervorgehoben. Empirische Untersuchungen haben aber gezeigt, dass sich gerade die niedrigen Gebühren in der Praxis als Verführung für Privatanleger erwiesen haben, noch mehr überflüssige Transaktionen mit schlechtem Timing durchzuführen. ETFs sind also für den unerfahrenen Anleger eher noch gefährlicher wie andere Aktienfonds. Jack Bogle, der Vater der Indexfonds, hat deswegen auch vor Kurzem öffentlich ausdrücklich vor dem naiven Umgang mit ETFs gewarnt.

Für Aktienkäufe mag es gute Gründe geben …

Natürlich gibt es gute Gründe Aktien zu kaufen. Denn Aktien sind letztlich nichts anders als eine gehebelte Wette auf einen zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. Und im Moment gibt es viele Argumente, warum sich etwas verbessern sollte. Globalisierung, Produktivitätsgewinne durch technischen Fortschritt, niedrige Energie- und Rohstoffpreise, Euro-Abwertung, niedrige Zinsen; all dies sind Faktoren, welche aktuell die Börse treiben. Gerade US-Anleger kaufen derzeit in Europa Aktien, weil sie auf einen starken Aufschwung setzten.

Dies heißt aber nicht, dass der Aufschwung tatsächlich schnell kommt, wenn er überhaupt kommt. Auch heißt es nicht, dass der Aufschwung ewig anhält. Weiterhin heißt es nicht, dass dieser erwartete Aufschwung nicht schon längst durch eine hohe Bewertung in den aktuellen Kursen weitgehend enthalten ist. Ebenfalls heißt es nicht, dass Industrien gerettet werden, die sich im Niedergang befinden wie z. B. die deutschen Energieversorger.

Wer Aktien kauft, sollte sich klar sein, dass diese nicht steigen, weil sie schon immer gestiegen sind, sondern dass die dahinterstehenden Volkswirtschaften, Branchen und Unternehmen in der Zukunft hohe Gewinne erzielen müssen, um dies zu rechtfertigen. Dies werden einige schaffen, aber bei Weitem nicht  alle.

Mit Aktien hat man nur dann ein positives Anlageergebnis, wenn man auf die erfolgreichen setzt und diese auch lange behält. Das gilt insbesondere auch für Indexfonds. Ein Fonds auf schweizer Aktien hat mehr gebracht als einer für griechische Aktien; ein Fonds mit den wachstumsstarken deutschen MidCaps im MDAX mehr als einer mit DAX-Titeln, wo einige strukturschwache Schwergewichte bremsen. Dies mag sich alles in Zukunft ändern, ich würde aber nicht darauf wetten. Der Anleger muss sich auf jeden Fall entscheiden, so oder so. Wenn jetzt die angeblichen Aktienexperten so tun, als wäre das Entscheidungsproblem des Investors gelöst, wenn man irgendeinen Indexfonds völlig unabhängig vom Timing kauft, ist dies völliger Schwachsinn.

… man sollte aber nicht stark gestiegenen Kursen hinterherlaufen

Warren Buffett hat mal gesagt: „Wir versuchen, ängstlich zu sein, wenn andere gierig sind, und gierig, wenn andere ängstlich sind.“ (“We simply attempt to be fearful when others are greedy and to be greedy only when others are fearful.”) Der DAX stand am 16. Oktober 2014 im Tief bei 8.354,97; seitdem ist der Index bis letzten Freitag um mehr als 44% gestiegen. Damals waren fast alle „Experten“ in den Medien verängstigt und haben die Risiken der Aktie betont. Nach der schnellen Erholung scheinen sie vor allem zu befürchten, dass die Kurse davon laufen, man aber nicht dabei ist.

Dies ist ein typisches Zeichen von Gier.

Mich macht dies zumindest kurzfristig ängstlich. Skeptisch stimmt zudem, dass in den letzten Wochen Aktien von Firmen besonders stark stiegen, die hoch verschuldet sind oder aufgrund von einer ungünstigen Wettbewerbsposition auch bei einer Wirtschaftserholung ihre Probleme behalten. Eine Korrektur am Markt scheint deshalb überfällig, selbst wenn es noch ein paar Wochen dauern kann, bis sie kommt.

Eine alte Börsenweisheit – die natürlich nicht immer stimmt – lautet: „Sell in May and go away, but remember to come back in September.“ (Verkaufe im Mai und verabschiede dich, aber vergiss nicht im September wieder einzusteigen.) 2015 könnte so ein Jahr werden. Für Anleger, die aktuell im Aktienmarkt einsteigen wollen, besteht die begründete Aussicht, dass sie dies im Jahresverlauf auch zu deutlich günstigeren Kursen machen können.

Aktien zu haben ist keine Frage der „Aktienkultur“, sondern der Risikoabwägung

Wer keine Aktien hat und diese auch nicht will, weil er die Täuschungsmechanismen der Börse nicht durchschaut, sollte auch weiterhin darauf verzichten. Insbesondere sollte er sich nicht beleidigen lassen, weil er angeblich nichts von „Aktienkultur“ versteht. Hiervon verstehen die heutigen Propagandisten der Aktie in Deutschland offensichtlich am allerwenigsten. Wer zu Tiefstkursen zur Vorsicht mahnt und erst bei neuen Höchstständen die langfristigen Qualitäten der Aktie entdeckt, beweist nur seine Inkompetenz.

Man sollte sich auch nicht in die Aktie drängen lassen, weil angeblich ein „Anlagenotstand“ besteht. Notstand haben derzeit nur diejenigen, die von risikofreien und hohen Renditen träumen – also vom Friede-Freude-Eierkuchenland. Risiken geht man immer ein: bei Aktien vorwiegend makroökonomische und unternehmerische Risiken; bei Renten und anderen Zinsanlagen insbesondere Inflations- und Kreditrisiken. Deswegen sollte man  – egal bei welcher Kapitalanlage – nicht nur von möglichen Renditen träumen, sondern vor allem die Risiken identifizieren und abwägen. Warren Buffett hat einmal zur grundsätzlichen Vorsicht gemahnt: „Meine zwei Investmentregeln sind: Regel eins: Verliere nie Geld. Regel zwei: vergesse niemals Regel eins.” („My two rules of investing: Rule one – never lose money. Rule two – never forget rule one.“)

Entgangene Gewinne lassen sich nun einmal leichter verschmerzen als realisierte Verluste.

 

 

 

 

 

Axel Walldorf April 11, 2015 um 15:26 Uhr

Grundsätzlich gibt es einige Probleme, wenn Leute versuchen, Aktienentscheidungen selbst zu treffen. Dennoch bin ich der Meinung, dass es eine gute Entscheidung ist, dies zu tun, anstatt ihr Geld den Banken anzuvertrauen, die oft nur Ihren eigenen Vorteil im Auge haben.

Benjamin März 31, 2015 um 12:12 Uhr

Hallo Herr Elsner,

ich bin sicher, dass Sie den Kommer gelesen haben.

Welche Argumente sprechen gegen eine langfristige Anlage in ETFs mit regelmäßigen Sparraten, das Ganze kostenoptimiert und Global diversifiziert (Bsp. MSCI World ACWI)? Bei Bedarf noch mit Rohstoff ETFs und Immobilienfirmen-Aktien ETFs?

Gruß
Benjamin

joerg März 27, 2015 um 14:58 Uhr

Lieber
ich habe eine Frage zu dem Mit_ruhiger_Hand_3_03_14.pdf in dem Link:
„Ich habe im vergangenen Jahr mal versucht, adjustierte Zahlen zu berechnen, die dann leider die heute vielfach geäußerte Behauptung nicht stützen. (Für Interessierte hier der Link). Leider haben sich angebliche Experten wie Bankanalysten, Journalisten und Finanzwissenschaftler angewöhnt, Aktienrenditen“

Es geht um Tabelle „Nettorendite bei 2% Inflation“ auf Seite 4. Wenn ich es recht verstehe, rechnest du in der Tabelle bei einer Aktienfondsrendite von 8% minus 2% Inflation = 6% inflationsbereinigeter jaehrlicher Zuchwachs?
und dann einen jaehrlichen Steuerabzug von 25% = 3,9%. Wie kommst du auf 3,9%?
(Hast du 6% jaehrlicher Ertrag nach Inflation minus 2%(25% von 8%)= 4% plus ein bischen mehr wegen Soli gerechnet?)
Und weshalb rechnest du mit 25% Steuerabzug/Jahr? Angenommen, du hast ein ausschuettenden Aktienfonds, dann zahlst du doch nur auf die ca. 2% ausgeschuettete Dividende 25% Steuer (von mir aus noch mit Soli ein bisschen mehr) also auf ca. 0,5% von den 8% jaehrlicher Wertsteigerung? Also bliebe eine Inflations- und Steuer bereinigte Rendite von 8% Ertrag-2%Inflation-0,5%Steuer auf Dividendenausschuettung = 5,5%?
Wenn man aber einen thessaurierenden Swapper-Aktienfonds nimmt, muss erst beim Verkauf (zB im Rentenalter) versteuert werden und die Zinseszinsrendite muesste bei erheblichen 6% bleiben?
Oder hab‘ ich einen Denkfehler?
LG
Joerg

Karl-Heinz Thielmann März 27, 2015 um 17:17 Uhr

Hallo,

die Zahl von 3,9% (bzw. von 4,7% bei Besteuerung am Laufzeitende) kommt daduch zustande, dass Inflation auch das eingesetzte Kapital entwertet (bei 2% Inflation in 20 Jahren ca 1/3). Ohne Besteuerung gleicht der Zins diese Kapitalentwertung aus. Bei einer Besteuerung von nominal 25% wird effektiv mehr besteuert, da ja quasi nicht nur der reale Ertrag, sondern auch der Inflationsausgleich der Besteuerung unterliegt.

Es gibt durch die Inflation also eine reale Doppelbesteuerung, die insbesondere viel wegnimmt, wenn Kapitalerträge laufend besteuert werden. Die reale Kapitalertragssteuer ist also auf jeden Fall höher als 25% – auch ohne Soli. Meine Tabelle sollte zeigen, dass dieser Effekt auch schon bei 2% Inflation relativ signifikant ist. Auf jeden Fall ist es besser, die Besteuerung so lange wie möglich aufzuschieben, damit zumindest die Erträge komplett reeinvestiert werden können. Aber auch dann wäre die Nachsteuer-Rendite von nominal 8% nach 20 Jahren maximal nur bei 4,7% und nicht bei 6%.

egghat (@egghat) März 24, 2015 um 22:21 Uhr

Ein DAX in Dollar berechnet hat mit Export erst einmal gar nichts zu tun. Sondern nur damit, dass der DAX in Dollar gerechnet nur minimal im Plus liegt. US-Anleger sind mit dem Dow Jones VIEL besser gefahren als mit dem DAX. Das gilt auch für deutsche Anleger, die auf den Dow gesetzt haben. Wenn man nur auf den Dow in Punkten schaut, scheint er deutlich hinter dem DAX zu liegen, rechnet man aber die fast 25% Dollaranstieg dazu, waren Aktienkäufe im Dow deutlich profitabler als im DAX.

Beate März 24, 2015 um 18:02 Uhr

„wenn man berücksichtigt, dass von den letzten 30% des DAX-Anstiegs etwa 25 Prozentpunkte auf den euroverfall zurückgehen, fällt es mir schwer, an eine Blase zu glauben.“

Echt Klasse Sichtweise.

Der ‚zusätzliche‘ Export muß auf Kredit gegenfinanziert werden.

Ich stelle mir gerade die Situation vor, wenn Banken beginnen ihre Assets zu verkaufen.

Weil sie Risiken aus der Exportfinanzierung aus den Büchern streichen müssen.

Egghat März 24, 2015 um 08:47 Uhr

wenn man berücksichtigt, dass von den letzten 30% des DAX-Anstiegs etwa 25 Prozentpunkte auf den euroverfall zurückgehen, fällt es mir schwer, an eine Blase zu glauben.

http://egghat.tumblr.com/post/113861538301/dax-rekorde-duenne-luft-pfft-das-ist-alles-der

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