Gefahr für Finanzmarktstabilität? 5,8 Billionen Dollar Zinsrisiko für Staatsschulden (Teil 1)

by Dirk Elsner on 22. April 2015

Ich hatte hier am Montag bereits darüber geschrieben, dass ich mir die negativen Zinsen Sorgen bereiten, vor allem aber auch das Zinsrisiko in den Bankbilanzen. In meiner Kolumne für Capital schrieb ich dazu:

“Sehr spannend wäre es übrigens zu schauen, ob und wie weit Banken asymmetrisch mit der Bewertung von Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten im Zug der Niedrigverzinsung umgehen. Bei gleichbleibendem Zahlungsstrom erhöhen sich finanzmathematisch die Bewertungen mit der niedrigeren Verzinsung. Vergebene Kredite und Anleihen mit festen Zahlungen steigen also im Wert. Das müsste analog auch für Verbindlichkeiten gelten. Allerdings haben Banken hier ein Wahlrecht und können finanzielle Verbindlichkeiten weiter zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerten (unter Verzicht auf die Fair-Value-Option). Erhöhen Banken über eine höhere Vermögensbewertung und Beibehaltung der Bewertung der Verbindlichkeiten ihren Ertrag, wird sich das mit steigenden Zinsen natürlich wieder umdrehen. Die Gewinne aus den Bewertungsänderungen einzelner Banken könnten sich mit einer Zinssteigerung schnell wieder verflüchtigen. Anders ausgedrückt: Die Risiken in den Bankbilanzen nehmen derzeit deutlich zu.”

Ich will hier heute einmal anhand eines einfachen Beispiels* darstellen, was mit ich mit diesen Bewertungsänderungen meine und in einem Folgebeitrag morgen zeigen, welche Auswirkungen das haben kann, wenn man nur die Staatsschulden betrachtet.

Dazu habe ich mir eine einfache Anleihe gegriffen, die wie folgt ausgestattet sei:

  • Zinssatz 5% (lang ist es her), jährliche Zinszahlung
  • Restlaufzeit 5 Jahre
  • Rückzahlung zu 100%

Im ersten Schritt berechne ich den Barwert dieser Anleihe mit einem Abzinsungszins von 5%.

Daraus ergibt sich die folgende Tabelle:

Tabelle 1:  Barwertberechnung

Jahr 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Barwert
Zahlung 5 5 5 5 5 5 5 5 5 105  
Diskont.fakt. 1,050 1,103 1,158 1,216 1,276 1,340 1,407 1,477 1,551 1,629  
Barwert 4,76 4,54 4,32 4,11 3,92 3,73 3,55 3,38 3,22 64,46    100,00 €

Zur Erläuterung

In der Zeile Zahlung findet sich der jährlich gezahlte Betrag. Nach einem Jahr sind es die Zinsen in Höhe von 5 Euro, nach 2 Jahren ebenfalls 5 Euro usw. Am Ende nach dem 10. Jahr werden die Zinsen mit 5 Euro und die Anleihe mit 100 Euro zurückgezahlt, also 105 Euro.

Der Barwert bezeichnet den heutigen Wert künftiger Zahlungen. Der Begriff stammt aus der Finanzmathematik. Um den Barwert einer künftigen Zahlung zu berechnen, wird eine künftige Zahlung abgezinst mit einem Vergleichszins. Üblicherweise nimmt man dazu den Zins einer vergleichbaren Anlageform. Ich starte hier mit einem Abzinsungssatz von 5%.

Die Abzinsung funktioniert dann wie folgt:

  • Zahlung im Zeitraum t geteilt durch (1+ Abzinsungssatz) hoch t, erfolgt die Zahlung in einem Jahr, dann ist t = 1

Für die Zahlung im ersten Jahr lautet also die Berechnung

  • 5/(1+0,05)^1 = 5/1,05 = 4,76

Für die Zahlung im zweiten Jahr

  • 5/(1+0,05)^2 = 5/1,103 = 4,54

Für die Zahlung im 10. Jahr

  • (100+5)/(1+0,05)^10 = 105/ 1,629 = 64,46

Wenn man die einzelnen Barwerte addiert, erhält man exakt 100 Euro.

Nun kann man für die gleiche Anleihe das Spiel wiederholen mit verschiedenen Abzinsungssätzen. Diese repräsentieren z.B. den Marktzins. Je niedriger der Marktzins, desto niedriger ist auch der Abzinsungssatz unter sonst gleichen Bedingungen. Das habe ich in der folgenden Tabelle gemacht:

Tabelle 2: Barwert mit verändertem Abzinsungsfaktor
Abzinsung Barwert Δ abs. Δ in %
5,00% 100,00 €
4,00% 108,11 € 8,11 € 8,11%
3,00% 117,06 € 8,95 € 8,28%
2,00% 126,95 € 9,89 € 8,45%
1,00% 137,89 € 10,94 € 8,62%
0,50% 143,79 € 5,90 € 4,28%
0,10% 148,73 € 4,94 € 3,44%
0,00% 150,00 € 1,27 € 0,85%
-0,01% 150,13 € 0,13 € 0,09%
-0,50% 156,54 € 6,42 € 4,27%
-1,00% 163,44 € 13,44 € 8,96%
-2,00% 178,36 € 14,92 € 9,13%
-3,00% 194,95 € 16,59 € 9,30%
-4,00% 213,43 € 18,48 € 9,48%
-5,00% 234,04 € 20,61 € 9,65%

In der linken Spalte steht der Abzinsungssatz, dann folgt der Barwert, der wie oben berechnet ist. Excel bietet zur Erleichterung eine entsprechende Formel für den Barwert.

Hier sieht man nun gut, dass sich der Barwert mit der Reduzierung des Abszinsungszinsatzes immer weiter erhöht. Der Wert dieser Anleihe steigt also mit der Reduzierung der Marktzinsen. Ist der Marktzins also um 1% auf 4% gesunken, beträgt der Barwert dieser Anleihe bereits 108,11 Euro. Beträgt der Marktzins nur noch 1%, dann hat diese Anleihe bereits einen Wert von 137,89 Euro. Meine Anlage hat also eine Wertsteigerung erfahren, die allein den sinkenden Marktzinsen geschuldet ist. Die Berechnung tilt übrigens auch nicht, wenn man mit einem Marktzins von 0% oder negativen Marktzinsen abzinst.

Mit diesem Beispiel habe ich nun die Grundlage gelegt und zeige morgen, wie ich auf die 5,8 Billionen Dollar an weltweitem Zinsrisiko aus Staatsschulden komme.


* Finanzfachleute wissen, dass man solche Beispiele beliebig komplex gestalten kann. So kann man als  Diskontierungsfaktor eine sogenannte Zinsstrukturkurve verwenden und müsste auch noch Risikofaktoren einbauen. Ich mache es etwas einfacher und verwende eine flache Zinsstrukturkurve.

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