Digital ist nicht genug: Zum Kulturwandel der Versicherungen

by Gastbeitrag on 1. Juli 2015

Gastbeitrag von Florian Semle*

Laut einer Studie von AutoScout24 planen über 10 Millionen Menschen, demnächst eine Versicherung online abzuschließen. Offen ist, wie viele es wirklich tun oder doch zähneknirschend Termine beim Makler ihres Vertrauens, bzw. ihres Vertretersprengels vereinbaren. Die Branche reagiert mit Zeitverzögerung auf digitale Trends, die sonst schon längst zum Standard geworden sind. Dafür gibt es gute Gründe – und noch bessere, es zu ändern. Einige davon haben Ibo Evsan und ich auf einem Round Table des Spezial-Versicherers Hiscox mit Experten diskutiert.

Das Versicherungsreservat und das systemische Beharrungsvermögen

Stark regulierte Branchen sind wie Reservate: In ihrem geschützten Rahmen können Kulturen und Strukturen überleben, kaum eine Chance auf dem freien Markt hätten. Im Versicherungsreservat überdauern auch nach den diversen De-Regulierungen immer noch intransparente Erlösmodelle, oder Vertragsunterlagen im Stile „von Juristen für Juristen“. Diese für die digitale Generation teils schwer verständlichen Stilblüten der Geschäftskultur sind auch eine Folge der Regulierung, weil die Reservatsbewohner sich eine gewisse Kundenüberforderung lange Zeit einfach leisten konnten. Das ändert sich mit der Digitalisierung und den neuen digitalen Playern:

Ein Versicherungsprodukt basiert auf Daten und Algorithmen. Es ist also fast selbstverständlich, dass google irgendwann seine Big Data Intelligence für Produktentwicklung, Vermarktung und Verkauf auch von Versicherungsprodukten nutzen könnte. Auch Apple werden ähnliche Ambitionen nachgesagt und in Sachen smarte Datensammlung und -Interpretation steht der iPhone- und Watch-Hersteller dem Internet-Giganten in nichts nach. Mit den möglichen google-Versicherungen wird auch der Digitalisierungsdruck für die ehemaligen Reservatsbewohner wachsen, weil die Kundenstandards neu definiert werden. Die „Usability“ eines Versicherungsprodukts oder die Erwartungshaltung, dass der Kundenservice „responsive“ sein möge, gehen dabei weit über rein technische Verbesserungen hinaus. Die digitale Dynamik verändert auch die Innovationsgeschwindigkeit der Branche. Startups wie der smarte-Versicherer fairr.de, die Plattform Community Life oder die Instant Versicherungsapp Schutzklick nutzen die Schwerfälligkeit der Branche, um ihre eigene geschäftliche Nische zu entwickeln.

Auch Versicherer aus dem de-regulierteren Ausland haben einen „natürlichen“ Zeit- und Innovationsvorsprung, weil sie früher auf den Wandel des gesellschaftlichen Rahmens reagieren mussten. Der Lebensversicherer Canada Life „importierte“ beispielsweise bereits vor 15 Jahren eine innovative Garantieformel, die auf dem deutschen Markt lange Zeit ohne Wettbewerb war. Auch die erste Versicherung gegen Cyber-Risiken und Hacker-Angriffe wurde von einem Ideengeber mit Wurzeln außerhalb des deutschen Versicherungsreservats auf den hiesigen Markt gebracht.

Die Herausforderung der Platzhirsche durch diese Akteure ist nicht primär die Digitalisierung, sondern die damit verbundene Innovationsfähigkeit – also ein Corporate Kulturgut.

Kultur als Problem und Lösung: Der Faktor Mensch

Viele Versicherungsprodukte sind ihrer Natur nach komplex und beratungsintensiv. Sie brauchen reale Persönlichkeiten an der richtigen Stelle im Kundenmanagement. Das ist jedoch keine Rechtfertigung des bekannten Massenmaklerwesens. Der Makler früherer Tage war nicht selten ein Mittler zwischen einen intransparenten Angebot und einem ebenso intransparenten Kunden. Auf beiden Seiten habe sich die Parameter geändert. Transparenz (und schnelle, unvoreingenommene Vergleichbarkeit) ist ein Kulturgut für die digitale Generation. Viele versicherungsrelevante Daten lassen sich heute spielerisch per Track und Cookie erheben und überprüfen. Facebook allein generiert Daten von rund 28 Millionen Nutzern in Deutschland, bei vielen mehrmals täglich. Die technischen Möglichkeiten einer sehr weit reichenden Transparenz sind also auf beiden Seiten längst gegeben. Was fehlt ist der professionelle Umgang mit ihr.

Ein Profil auf Facebook, Twitter, Xing und vor allem authentische Kommunikations-Skills und Beratungsangebote sind die Türöffner ins digitale Kundenmanagement. Die altgewohnten Adressdatenbanken und Leadverkäufe klingen für die digitale Generation heute schon wie aus dem Mittelalter der Vermarktung. Dass ein Kulturwandel einer verschlossenen Branche für diese neue Offenheit bevor steht, wissen innovative Makler selbst, wie die intensiven Diskussionen in der Facebook-Gruppe Der Versicherungsmakler zeigen.

Eine innovative Kultur der Beratung begreift die neue Digitalität nicht als Konkurrenz sondern als Möglichkeit, Kunden je nach Lebensstil digital oder persönlich zu begleiten. Versicherung ist hier ein Service, nicht ein einmal abgeschlossener Vertrag. Das ändert auch das Paradigma der Beratung: Wenn der Kunde im Mittelpunkt steht, ist der „Abschluss“, nicht mehr das allein entscheidende Erfolgskriterium.

Insurance as a Service: Auf dem Weg zur Lebensstil Versicherung?

Das Konzept „Versicherung als Service“, das für alle digitalen Zielgruppen bei Software, Dienstleistungen oder Musikkonsum längst normal ist, könnte durch die Digitalisierung auch die Produktkonzeption gehörig durch einander wirbeln. Durch die Möglichkeit, Daten freiwillig in ein Versicherungssystem einzuspeisen, könnten völlig personalisierte Versicherungsprodukte entstehen, die alt hergebrachte Standards wie die Klassifizierung von Berufsrisiken mindestens relativieren. Ein veganer Dachdecker ohne Führerschein lebt trotz „Risikoberuf“ womöglich länger als ein Bürohengst mit Hang zur nächtlichen Pizza. Big Data machen den Lebensstil zum Zentrum der Produktentwicklung, weil Angebote genau auf den individuellen Lebensstil zugeschnitten werden können.

Auch die Investitionsseite der Versicherung dürfte mittelfristig zum Spielfeld neuer Ansätze werden, nicht nur, weil der Niedrigzins quält. Im Bankwesen sind ethische Investments ein Wachstumssegment, das auch für Versicherungen neue Marktchancen verspricht. Im Bereich der Versicherungen für nachhaltige Lebensstile tummeln sich Startups und mutigere Pioniere der Branche mit ersten ethischen Produkten und teils spannenden Ansätzen. Für Kunden, die mit einem Kauf mehr verbinden, als den Preis, sind die Produkte der transparente, der Concordia Öko oder von Greensurance echte Alternativen – und das sind potenziell rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung.

Die Anpassung an den digitalen Lebensstil mit allen Konsequenzen ist der wohl profundeste kulturelle Baustelle des Versicherungswesens. Auch hier gilt: Die Digitalisierung ist kein Ziel, sie ist ein Weg. Wer ihn gehen will, muss bereit sein, auch sich selbst zu verändern, wenn er mit dem Wandel Schritt halten will.

Alreiza Rot August 22, 2015 um 13:36 Uhr

Sehr schöner Artikel, es Zeit, dass sich die Branche gegenüber den Kunden öffnet, bis jetzt hat sich nichts viel daran getan. Denn die neue Generation wartet nicht lange. Daher ist es wichtig, dass man auch eine umfangreiche Beratung z.B. per Chat, in den SocialMedias anbietet. Wer mit der Zeit mithalten möchte, sollte sich Gedanken darüber machen und bereit sein in die Digitalisierung zu investieren.

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