Basel renoviert den Kreditrisikostandardansatz (KSA) – Alle Banken sind betroffen

by Dirk Elsner on 22. Juli 2015

Gastbeitrag von Mario H. Sladek, TriSolutions GmbH*

Der Kreditrisikostandardansatz ist eine der Methoden, die Banken verwenden können, um ihre Risiken und damit ihre regulatorischen Mindesteigenkapitalanforderungen – gemäß Säule I – zu bestimmen. Es handelt sich um ein einfaches, von der Bankenaufsicht vorgegebenes Modell. Neben dem Standardansatz stehen derzeit zwei weitere Ansätze zur Verfügung, die auf internen Ratings basieren, das heißt bei denen die Banken die Kreditausfallwahrscheinlichkeiten selber schätzen bzw. modellieren. Dies sind der Basis-Ansatz (Foundation Internal Ratings-Based Approach – F-IRBA) und ein fortgeschrittener (Advanced) Ansatz (A-IRBA).

Der Standardansatz ist das vor allem bei kleinen und mittelgroßen Banken verwendete Verfahren. Es muss aber auch bei großen Banken, die sich später für ein internes Ratingverfahren entscheiden, als Einstiegsmodell Anwendung finden. In der internen bzw. ökonomischen Steuerung – gemäß Säule II – verwenden vor allem Großbanken eigene modellbasierte Quantifizierungsverfahren. Seit Jahren herrscht ein Disput zwischen Aufsicht und den vor allem auf ökonomische Steuerung ausgerichteten Banken darüber, ob, wann und in welchem Umfang Risiken überschätzt bzw. unterschätzt werden und zu einer unverhältnismäßigen Kapitalanforderung führen. Die letzte Finanzkrise war für die Aufsicht Anlass genug die modellbasierte Quantifizierung von Kreditrisiken bei den Instituten zu untersuchen und die Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Die große Variabilität in den Ergebnissen veranlasste Basel schließlich dazu weitreichende Adjustierungen und Neukalibrierungen bei den Modellen und Standardverfahren auf den Weg zu bringen.

Basel veröffentlichte im Dezember 2014 ein Konsultationspapier zur Überarbeitung des Standardansatzes für Kreditrisiken (Consultation paper on revisions to the standardised approach for credit risk – BCBS 307). Die Konsultationsphase endete am 27. März 2015.

Rückblick

Mit Einführung von Basel I im Jahr 1988 bestimmte fortan ein Solvabilitätskoeffizent von 8% das Verhältnis von Risiko und regulatorischem Eigenkapital. Die quantifizierbare Unterlegungspflicht von Kreditrisiken wurde zum Standard. Niedergeschrieben wurden diese Anforderungen im § 10 KWG und in den diesbezüglichen Eigenkapitalgrundsätzen, dem Grundsatz 1. Für 100,– DM Kreditvolumen mussten je nach kreditnehmerbezogener Risikoklasse fortan bis zu 8,– DM Eigenkapital – davon 4,– DM Kernkapital – vorgehalten werden. Kredite an Siemens und Lieschen Müller wurden mit 100% Risikogewicht belegt, Banken waren mit pauschal 20% dabei und für OECD Staaten – darunter auch Griechenland – wurden mit einem Risikogewicht von 0% regulatorisch quasi risikofrei gestellt.

Etwa 10 Jahre und einige Erkenntnisse später (wir schrieben das Jahr 1995 bzw. 1998) wurden im Rahmen der 5. und 6. KWG Novelle einige Neuerungen im Quantifizierungsverfahren umgesetzt. Wertpapiere wurden in den Katalog der Kreditrisiken gem. § 19 KWG aufgenommen und Marktrisiken, zumindest für das Handelsbuch, unterlegungspflichtig. An den starren und wenig risikosensitiven Kreditrisikogewichtungsfaktoren sollte sich erst nach weiteren 10 Jahren mit der Einführung von Basel II im Jahre 2006 etwas ändern. Neben der Einführung von 15 verschiedenen Forderungsklassen und einer damit verbundenen selektiveren Bewertungsmöglichkeit der Kreditnehmereigenschaft wurde die vom Rating abgeleitete Ausfallwahrscheinlichkeit das zentrale Sensitivitätsmerkmal zur Beurteilung des Kreditnehmerausfallrisikos. Eine dominierende Rolle spielten dabei die von den Ratingagenturen vergebenen Bonitätsbeurteilungen. Nach diesen externen Beurteilungsmaßstäben wurde das Kreditportfolio in Bonitätsklassen eingeteilt. Je nach Rating und Forderungsklasse reichte das Risikogewicht von 0 bis 150%. Daneben konnten Banken das Ausfallrisiko für das ganze Kreditportfolio oder aber auch nur für seine Teile (Partial Use) selber schätzen.

Nicht einmal 2 Jahre später wurden die Konstruktionsfehler im Zuge der Banken- und Finanzkrise sichtbar. Die Aufsicht versuchte mit Hilfe von in immer kürzeren Abständen folgenden Regulierungsmaßnahmen Abhilfe zu schaffen. Es folgten Basel 2.5 und ab 2014 Basel III.

Die Konsequenzen sind uns allen bekannt. Wiederverbriefungen – eines der instrumentellen Hauptverstärker der Krise – wurden so stark reglementiert, dass die betroffenen Banken ihre Securitisation bzw. Credit Trading Desks ganz oder teilweise demontierten. Auch werden viele Banken froh sein, ihre strukturierten Kreditportfolien bzw. toxischen Bestände in NON-Core Einheiten ausgelagert und mit Hilfe verordneter Bilanzierungserleichterungen inzwischen weitgehend abgeschrieben zu haben.

Mit der auf die Finanzkrise folgenden Staatsschuldenkrise und ihren weitreichenden und komplexen Implikationen für Banken und Wirtschaft wurde ein weiterer Mangel deutlich: Die nach wie vor vorhandene Pauschalgewichtung und eine dominante Abhängigkeit von externen Ratings. Die politisch gewollte Nullgewichtung von sog. Zone A Staatsschulden dürfte vor dem Hintergrund der faktischen Pleite eines Euromitgliedsstaates und der offensichtlichen Konstruktionsfehler des Eurosystems darüber hinaus für weiteren Nachbesserungsbedarf sorgen.

Reform der Standardansätze und deren zunehmende Bedeutung bei der Quantifizierung

Die Aufsicht unternimmt erhebliche Anstrengungen, die Systematik der Risikoquantifizierung zu verbessern. Mit der bevorstehenden Einführung von sog. Floors (siehe BCBS 306) soll die Gestaltungsfreiheit der Banken ihr Kreditrisiko eigenkapitalschonend optimieren zu können begrenzt werden. Zudem erfahren die bei Risikocontrollern, Modellverkäufern und Beratungshäusern, vormals eher als antiquiert betrachteten Standardansätze, da ökonomisch oft widersprüchlich, eine Renaissance.

Der Bedeutungsanteil der neuen Standardansätze ist immens und vor allem große Banken dürften darüber nachdenken, ob die vielen – für modernste Quantifizierungsverfahren – ausgegebenen Millionen nicht ggf. umsonst waren. Eine berechtigte Fragestellung, da die Aufsicht klarstellt, dass die neuen Standardansätze nicht nur sensitiver, kennzahlenbasierter und damit geschäftsvorfallbezogener werden, sondern eine echte Alternative und damit Abkehr von der einst gefeierten Öffnungsklausel darstellen könnten.

Wird nun alles einfacher und bekommen die bislang von Banken beschäftigten Modellentwickler künftig weniger zu tun, wenn die Standardansätze zum (Risiko-) Maß aller Dinge werden? Nicht ganz, denn wie die Aufsicht betont, soll es vordergründig dem Missbrauch von Freiheitsgraden bei der Risikoquantifizierung an den Kragen gehen und die Variabilität der Ergebnisse eingeschränkt werden. Ob es zu einer gänzlichen Entkoppelung von regulatorischer und ökonomischer Steuerung kommen wird, werden wohl erst entsprechende Untersuchungen der Aufsicht zeigen. Das Primat der Säule I und der Standardansatz als Maßzahl werfen jedoch ihre Schatten voraus. Wenn quantitative Modelle in Zukunft weniger Bedeutungsanteil für die Quantifizierung des Risikokapitals bzw. im ICAAP haben werden, so müssen die Banken deren Rolle und Qualitätsmerkmale im Rahmen des Risikomanagementprozesses neu definieren. Die Überarbeitung und Neukalibrierung der Risikoquantifizierungsverfahren wird sich auch maßgeblich auf die Konzeption der Risikotragfähigkeitsmodelle auswirken.

Basel läutet die Abkehr von der Ratinggläubigkeit ein – KPIs gewinnen Oberhand

Basel hat eine Vielzahl von Schwächen im aktuellen Standardansatz identifiziert:

  • Ein zu starker Rückgriff auf externe Ratings als alleiniger Bestimmungsfaktor für die regulatorische Eigenkapitalunterlegungspflicht (z.B. haben Kreditnehmer ohne externes Rating ein Risikogewicht von 100% und Kreditnehmer mit schlechtem Rating von maximal 150%)
  • Eingeschränkte Risikosensitivität, da relevante Risikofaktoren bislang unberücksichtigt bleiben und eine zu unscharfe Abgrenzung zwischen den einzelnen Forderungsklassen (z.B. zwischen Forderungen an Retail-/Geschäftskunden und Unternehmen – Cliff Effekte) getroffen wird
  • Unzureichende Granularität der Forderungen bei der Risikogewichtung (z.B. hat Forderung gegenüber Unternehmen A in Höhe von 1 Mio. das gleiche Risikogewicht wie ein Großkredit)
  • Verwendung unsachgemäßer Risikoabschläge (Haircut-Schätzungen) zur Sicherheitenbewertung
  • Ergebnisse aus Standardverfahren sind kaum noch mit IRBA Vorschriften vergleichbar

Die Grundkonzeption des bisherigen Standardverfahrens, die risikoklassenbezogene Gewichtung, soll bestehen bleiben. Weiterhin bleibt es bei der Möglichkeit Risiken sinnvollerweise mit Sicherheiten bzw. bestimmten – allerdings überarbeiteten – Kreditminderungstechniken eigenkapitalschonend zu mitigieren.

Wirklich neu ist hingegen, dass spezifische aufsichtliche Risikotreiber und Cluster definiert werden sollen, die die Risikosensitivität besser als externe Ratings abbilden und damit eine echte Alternative zum IRBA darstellen sollen. Die Nutzung interner Modelle sollte im Standardverfahren ausgeschlossen sein. Damit soll eine angemessene Berücksichtigung der wirklichen Risikotreiber erfolgen und die Anreizstruktur für die Banken verbessert werden. Obgleich externe Ratings auch weiterhin eine gewisse Rolle spielen, wird deren Abhängigkeit größtenteils reduziert. Ziel ist es, den Standardansatz weitgehend an den IRBA anzugleichen.

Fazit

In Verbindung mit BCBS 306 soll vor allem die Bedeutung von regulatorischen Standardverfahren für die Risikoquantifizierung und mithin Kapitalausstattung gestärkt und die Freiheitsgrade bzw. Fehlsteuerungsanreize bei Verwendung interner Modelle signifikant zurückgefahren werden. Dies wird erhebliche Konsequenzen in den Risikosteuerungs- und Kapitalplanungsprozessen bei allen Banken nach sich ziehen. Zugleich werden sich Standardverfahren durch eine differenziertere Risikosensitivität der verwendeten Kennzahlen an die internen Verfahren angleichen und als Leitplanke fungieren.

Ob sich die Eigenkapitalanforderungen mit dem neuen KSA institutsindividuell erhöhen, bleibt abzuwarten und ist stark geschäftsmodell- bzw. kreditportfoliospezifisch. Die geplanten QIS werden es zu Tage fördern. Augenfällig sind jedoch die höheren Einstiegsrisikogewichtungen und deren Bandbreiten. Die Aufsicht betont, dass sogenannten Cliff Effekten durch höhere Granularitätsanforderungen begegnet wird. Wann der neue KSA zur Anwendung kommt ist zurzeit noch nicht klar. Die Arbeiten werden aber voraussichtlich Ende 2015 abgeschlossen.

Der Autor:

Mario H. Sladek arbeitet bei der Trisolutions GmbH, einer auf Risikomanagement und Gesamtbanksteuerung spezialisierten Unternehmensberatung. Die Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit liegen in der strategischen Gesamtbank- und Risikosteuerung (ICAAP) und bei der ganzheitlichen Umsetzung von regulatorischen Anforderungen (u.a. MaRisk, Basel III). Davor arbeitete Herr Sladek viele Jahre im Risiko- und Auditmanagement international tätiger Groß- und Investmentbanken im In- und Ausland.

Die TriSolutions ist eine Schwesterfirma des Arbeitgebers von Dirk Elsner, der das Blick Log betreibt.

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