VW, der Schwarze Schwan für das analoge Deutschland

by Dirk Elsner on 1. Oktober 2015

Genau genommen ist der Fall VW kein “Schwarzer Schwan”, wie ihn Nassim Nicholas Taleb definiert. Ein “Schwarzer Schwan” im Sinne Talebs liegt nur vor, wenn sich etwas völlig Unbekanntes mit großen Auswirkungen ereignet, für das es in der Vergangenheit keinerlei Anzeichen gegeben hat (siehe auch “Schwarzer Schwan’ wird zu einer faulen Ausrede für Versagen”; ausführlich hatte ich das bereits einmal anhand der Katastrophe in Fukushima erläutert, die definitiv auch kein Schwarzer Schwan war). Dass sich Unternehmen aber über fragwürdige und illegale Methoden Vorteile verschaffen wollen, ist nicht neu und kann sogar rational sein, wie Professor Christian Rieck in dem Beitrag “VW trickst nicht bei den Abgaswerten – sondern baut ein rationales Auto” schreibt.

image 

Der Fall VW ist andererseits ein Fall, mit dessen Wirkungen kaum jemand gerechnet hat. Es handelt sich dabei um kein Naturereignis, sondern um ein von Menschen gemachtes Phänomen, das seine Relevanz nur durch Abweichungen der Realität von rechtlichen Vorschriften erhält. Es handelt sich um eine bewusste Täuschung von Öffentlichkeit, Behörden und vor allem potenziellen Autokäufern. Dennoch sind wohl viele, vor allem Aufseher und Management von VW, überrascht von der Wucht des öffentlichen Tsunamis, der neben dem VW-Konzern auch weitere bisher hoch angesehen Autounternehmen nebst deren Zulieferer und Dienstleister wegzuspülen droht. Der Skandal hat eine gefährliche Eigendynamik erreicht und produziert Schäden die deutlich über das hinausgehen, was Volkswagen durch die Manipulationen an zu guten Zahlen erzeugt hat.

Ob und in welchem Umfang die Politik mit ihren laxen und lobbyinjizierten Regeln dazu beigetragen hat, sei hier einmal dahin gestellt. Es ist im Prinzip alles und fast von jedem bereits zu Dieselgate gesagt und geschrieben worden (siehe ausgewählte Berichte hier in diesem Storiefy). Zur Dynamik solcher Skandale gehört es, dass nun nahezu täglich neue Sachverhalte bekannt werden. Dazu wird viel gemutmaßt, welche Folgen dieser Skandal neben VW für die Autoindustrie und die weitere verarbeitende Wirtschaft haben kann. Wir erleben derzeit ein großes Informationsrauschen, das vor allem die öffentliche Neugierde bedient. Ich glaube, die echten Folgen lassen sich heute noch gar nicht abschätzen.

Sagen kann man aber vielleicht, dass der Fall VW auch ein Kind der neoklassischen Wirtschaft ist. Eine neoklassische Managementkultur, die allein das Zahlenwerk in den Mittelpunkt stellt und die sich offenbar nicht dafür interessiert, ob etwas überhaupt leistbar ist oder nicht. Wenn jemand eine vom Top-Management geforderte Vorgabe nicht erfüllen kann, dann werden halt die Köpfe ausgetauscht, egal ob Mitarbeiter oder Manager. Wenn nur die Controller regieren und Erfolge nach Ampeln gemessen werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn jemand die Schaltkreise manipuliert, damit rot und gelb nicht leuchten, wenn es darauf ankommt. Das Top-Management frohlockt dann über die grüne Welle und will oft gar nicht wissen, wie man dies hinbekommen hat. Wir kennen diesen Mythos von den wenigen Einzeltätern aus den Bankenskandalen der letzten Jahre. 

Apropos hinschauen. Dieselgate ist auch ein Waterloo für die längst ausgeuferte Compliance(Un-)Kultur in deutschen Unternehmen (hier zur Compliance-Seite von VW). Interne Vorschriften, insbesondere in großen Unternehmen regeln auf zig-Seiten Reisespesen und die Annahme von Vergünstigungen bis ins kleinste Detail. In manchen Unternehmen kümmern sich mehr Mitarbeiter um die Kontrolle solcher Dinge als um Innovationen und neue Geschäfte. Nun bekommt diese hochgelobte Unternehmenskultur in Deutschland gefährliche Risse, weil Normen kontrolliert werden aber nicht Werte.

Ich vermag heute nicht sagen, ob die deutsche Wirtschaft, wie das einige befürchten, wirklich durch den Fall VW einen schweren Dämpfer erhält, weil Volkswagen und Co. die Marke „Made in Germany“ schwer beschädigt haben. Die meisten Skandale anderer Unternehmen in der Vergangenheit sind schon kurze Zeit später vergessen und nach einer kleinen Delle ausgebügelt gewesen. Meist vergessen Öffentlichkeit und Kunden schnell.

Der Fall Volkswagen zeigt aber auch, dass man nie, absolut niemals einen Manager in den absoluten Himmel loben darf, wie dies bis noch vor einigen Wochen mit Martin Winterkorn geschehen ist. Winterkorn hat übrigens das einzig richtige gemacht, denn wenn ein Manager nicht die Verantwortung für Schäden und Misserfolge übernimmt, dann kann er auch nicht für die Erfolge verantwortlich sein.

Aktuelle Berichte zur VW-Krise

Previous post:

Next post: