Europa im Terrorzustand: Wirkung, Medienhype, Überreaktion nach den Attacken von Paris

by Dirk Elsner on 16. November 2015

Screenshot Twitter: #parisattacks

Ich bin hier nicht derjenige, der diese Ereignisse aufarbeiten oder erklären kann. Darum bemühen sich, wie üblich bei solchen Ereignissen, gefragt und vor allem ungefragt viele “Experten”. Wir erleben, wie üblich, eine Kernschmelze der Informationen. Da kann und will ich nichts hinzufügen. Mich erinnerte die aktuelle Diskussion aber an einige Lesestücke der letzten Monate.

Viele Menschen wurden bei dem Angriff verletzt und BU, also Berufsunfähigkeit, kann jeden treffen. Wenn diese Tragödie vielen Menschen passiert ist, ist es besser, sie zu unterstützen. Mit diesen Tipps finden Sie einen guten Vertrag.

Wirkung von Terror

Der Gewaltforscher Steven Pinker arbeitet in seinem unbedingt lesenswerten Buch “Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit” die Wirkung des Terrors heraus:

“Terrorismus ist eine Art asymmetrische Kriegsführung – eine Taktik der Schwachen gegen die Starken; er macht sich die Psychologie der Angst zunutze und richtet damit einen emotionalen Schaden an, der in keinem Verhältnis zu den Schäden an Menschenleben oder Eigentum steht. Kognitionspsychologen wie Tversky, Kahneman, Gigerenzer und Slovic konnten nachweisen, dass die Wahrnehmung eines Risikos von zwei mentalen Schreckgespenstern abhängt.

Das erste ist die Berechenbarkeit: Man geht besser einen Handel mit dem Teufel ein, den man kennt, als mit dem Beelzebub, den man nicht kennt. Menschen reagieren nervös auf neue, nicht wahrnehmbare Risiken, deren Wirkungen erst später einsetzen und die durch die Wissenschaft der jeweiligen Zeit nur unzureichend aufgeklärt sind.

Der zweite Faktor ist das Grauen: Menschen sorgen sich um Worst-Case-Szenarien, die unkontrollierbar, katastrophal, ungewollt und ungerecht sind (die Menschen, die dem Risiko ausgesetzt sind, sind nicht die gleichen, die davon profitieren). Solche Illusionen sind nach der Vermutung der Psychologen das Erbe uralter Gehirnschaltkreise, die sich in der Evolution entwickelt haben, um uns vor natürlichen Gefahren wie Raubtieren, Gift, Feinden und Unwettern zu schützen.”[1]

“Das Auf und Ab des Terrorismus ist also ein entscheidender Teil in der Geschichte der Gewalt, aber nicht wegen der Anzahl der Todesopfer, sondern wegen seiner Auswirkungen auf die Psychologie der Angst und damit auf die Gesellschaft.[2]

Terroristen “freuen” sich über die “Rendite” ihrer Terrorakte. So soll sich Osama bin Laden nach den Anschlägen vom 11. September gebrüstet haben.: »Amerika ist voller Angst von Norden bis nach Süden, von Westen bis nach Osten.« Die Durchführungskosten der Anschläge werden auf 500 000 Dollar geschätzt. Sie kosteten das Land unmittelbar danach eine halbe Billion an wirtschaftlichen Verlusten.[3] Darin dürften die weiteren Schäden für die Weltwirtschaft noch nicht eingerechnet sein.

Medienhype und Überreaktion auf den Terror

Wie nach dem 11. September, Fukushima wird auch in Deutschland viel und aufgeregt “informiert” und diskutiert. Sondersendungen, Talkshows, Tageszeitungen, Websites usw. spucken im Sekundentakt Schlagzeilen, Deutungsversuche und sich widersprechende Handlungsempfehlung aus.

Die Protagonisten aus Politik, Wissenschaft und anderen politischen Institution vermitteln übrigens stets nach solchen Ereignissen, dass sie die Ursachen und damit die Lösungen kennen. Sie demonstrieren gemeinsames, schnelle und  entschlossenes Handeln und wollen mit aller Kraft dafür sorgen, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen. Ich habe allerdings Zweifel daran, dass

  1. die wirklichen Ursachen des Terrors richtig diagnostiziert sind,
  2. die schnellen Lösungen wirklich geeignet sind, künftigen Terror zu verhindern und
  3. die Absichtserklärungen und Solidaritätsbekundungen nachhaltig halten.

Trotz dieser Zweifel weiß ich es allerdings nicht besser und beneide nicht die Politiker, die unter Handlungsdruck stehen.

Der Medienhype erhöht übrigens die Angst und Unsicherheit (das bedeutet freilich nicht, dass die Medien daran Schuld haben). Unsere Wahrnehmung wird durch die umfangreiche Berichterstattung, die wiederum durch die vielen öffentlichen Reaktionen solche Ereignisse getrieben wird, verzerrt. Wir halten Ereignisse für umso wahrscheinlicher, desto präsenter sie in unserem Bewusstsein sind. So schreibt Pinker, dass wir die Wahrscheinlichkeit schlagzeilenträchtiger Unfälle wie Flugzeugabstürze, Haiangriffe oder terroristischer Bombenanschläge überschätzen, “und diejenigen, die sich unbemerkt summieren, wie elektrische Schläge, Stürze und Ertrinken, werden für weniger wahrscheinlich gehalten.”[4]

Die öffentliche und private Hysterie incl. zahlreicher staatlicher Reaktionen überschlägt sich nach solchen Ereignissen. Das sehen wir nun erneut in Frankreich und Europa. So schwer dieser Gedanke gerade jetzt manchem jedoch fallen mag, wir unterliegen hier einer Fehleinschätzung der Risiken.

In seinem Buch “Das Risikoparadox: Warum wir uns vor dem Falschen fürchten” schreibt Risikoforscher Ortwin Renn in der Einleitung:

“Wenn wir marginale Risiken mit großem Aufwand an Zeit und Geld bekämpfen und die großen Risiken, die für uns alle eine besondere Bedrohung darstellen, aus den Augen verlieren, dann handeln wir verantwortungslos, sofern wir über diese relativen Bedrohungen Bescheid wissen. Und wir handeln fahrlässig, wenn wir das nicht wissen, aber hätten wissen können.”

Ich empfehle hier zur Ergänzung das Interview mit Ortwin Renn, das Christian Heinrich für die ZEIT geführt hat:Warum wir Gefahren falsch einschätzen.

Wie bei anderen uns emotional nahegehenden Ereignisse findet eine Übersensibilisierung statt. Wir überschätzen also in solchen Situationen aktuelle Gefahren (hier durch den Terror) und unterschätzen andere Risiken. Daniel Kahneman erklärt das so. dass wir dazu neigen, “die relative Bedeutung von Problemen danach zu beurteilen, wie leicht sie sich aus dem Gedächtnis abrufen lassen – und diese Abrufleichtigkeit wird weitgehend von dem Ausmaß der Medienberichterstattung bestimmt.” (Daniel Kahneman in:Schnelles Denken, langsames Denken,S. 20).

Steven Pinker stellt die wahrscheinlich nach solchen Ereignissen als steil betrachtete These auf, dass die Zahl der Todesopfer von Terroranschlägen geringer ist, als die Folgen von Reaktionen auf den Terror.[5]

Nach Berechnungen des Risikoforschers Gerd Gigerenzer (Gerd Gigerenzer,Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft, Pos. 311) kamen in der Folge der Anschläge des 11. September 2001 in den USA allein 1.600 Menschen zusätzlich ums Leben, weil sie das Risiko des Fliegens vermeiden wollten und mit dem Auto fuhren (siehe dazu auch Max-Planck-Gesellschaft“Mehr Verkehrstote nach dem 11. September”.

Pinker schreibt:

“Die Diskrepanz zwischen der vom Terrorismus verursachten Panik und den vom Terrorismus verursachten Todesopfern ist kein Zufall. Wie schon das Wort deutlich macht, geht es beim Terrorismus gerade um Panik. … Terroristen wollen eine Regierung erpressen, damit sie einer Forderung nachgibt, oder sie wollen das Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit ihrer Regierung, sie zu beschützen, untergraben, oder sie wollen eine massive Unterdrückung provozieren, die Menschen gegen ihre Regierung aufbringt und in gewalttätiges Chaos mündet, in dem die Terroristengruppe dann die Oberhand zu behalten hofft. … Und sie setzen auf Kommunikation, streben nach Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit, die sie mit dem Mittel der Angst erzeugen.[6]

Pinker befasst sich übrigens auch intensiv mit der Motivation von Terroristen. Aber das würde hier jetzt den Beitrag und meine Zeit sprengen.


Auswahl Berichte und Analysen

ZEIT: Paris: Was wir über die Anschläge wissen

Spon: Überblick Der Terror, die Opfer, die Reaktionen

FAZ:    Das geplante Massaker

ZEIT: Willkommenskultur ist der größte Feind des islamistischen Terrors

Handelsblatt: Die perfide Strategie des IS

ZEIT: Spezial – Terror in Frankreich

Spon: Terrormiliz IS – Endlich verständlich So funktioniert der „Islamische Staat“


[1] Steven Pinker, Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2011, Pos. 9308

[2] Steven Pinker, Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2011, Pos. 9340

[3] Steven Pinker, Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2011, Pos. 9324.

[4] Steven Pinker, Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2011, Pos. 5213.

[5] Steven Pinker, Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2011, Pos. 9282.

[6] Steven Pinker, Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2011, Pos. 9292.

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