Moderne Evolutionstheorie schlägt Ökonomie (04): Fehlinterpretation der Formel “Survival of the fittest”

by Dirk Elsner on 23. November 2015

Im dritten Teil dieser durch das Buch von Edward O. Wilson “Die soziale Eroberung der Erde” angeregten Beitragsreihe habe ich meinen Einstieg in die Evolutionstheorie skizziert. Ein Ziel von Wilson ist es, die beiden großen

Wissenschaftszweige, die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften, wieder zu vereinen.[1] Ob das gelingen kann, will ich im Laufe dieser Reihe herausfinden. Bevor ich aber im nächsten Beitrag zum Kern dieser Beitragsreihe komme, geht es in diesem Abschnitt um die “Survival of the fittest”.

Bisher erschienen in dieser Reihe “Moderne Evolutionstheorie schlägt Ökonomie

Beschäftigt man sich mit Evolutionstheorie, dann stößt man unweigerlich auf das Narrativ vom “Survival of the fittest”. Diese Formel hat viel Schaden angerichtet. In der Ökonomie wird Darwinismus häufig mit “rücksichtslosem Wettbewerb” und egoistischem Verhalten gleichgesetzt, was Biologen regelmäßig auf die Palme bringt[2].

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Ort des zweifelhaften Überlebens: Terminus

Tomas Sedlacék erkennt hinter der Idee, dass die Märkte alles am besten selbst regeln, also die Natur des Marktes von sich aus ein Gleichgewicht erzwingen wird, den alten Glauben der Stoiker an die Harmonie der Natur. Sedlacék fragt, warum in aller Welt die Dinge von sich aus ein Gleichgewicht herstellen sollten? “Die Idee der unsichtbaren Hand des Marktes steht also auch mit dem Konzept im Zusammenhang, dass der Markt die besten (anpassungsfähigsten) Teilnehmer auswählt und die schlechten aussortiert. Oder, anders ausgedrückt: mit der Idee des Sozialdarwinismus.”[3]

Hanno Beck schreibt in seinem Buch zur Einführung in die “Behavioral Economics” zu “Survival of the fittest”:

“In der perfekten Welt der Ökonomie werden nur rationale Agenten überleben – wer irrational handelt, wird von den rationalen Mitmenschen quasi aus dem Markt gedrängt: Ein Unternehmer, der nicht rational kalkuliert, wird von der richtig rechnenden Konkurrenz vom Markt verdrängt. Damit bleiben am Ende nur rationale Akteure am Markt. Es kann also zeitweise zu irrationalem Verhalten kommen, auf Dauer aber setzen sich jedoch rationale Akteure durch – Verhalten, das nicht der ökonomischen Theorie entspricht, wäre dann nur ein temporäres Problem.”

Darwins Denkkette

In der Evolutionstheorie wird Variation oft mit Anpassungen vermengt und als Antwort auf Änderungen der Umweltbedingungen dargestellt, bemängelt Axel Lange:

“Das ist falsch. So läuft die Denkkette Darwins nicht. Aus darwinscher Sicht sind Variationen stets zuerst da. Sie werden bei einer Änderung der Umweltbedingungen begünstigt oder eben mit den Individuen ausgelöscht. Begünstigt wird der Organismus, der im Hinblick auf Fitness besser ist. Fitness ist dabei die Fähigkeit eines Organismus, seine Gene weiter zu geben und mehr Nachkommen zu erzeugen als andere, weniger fitte Individuen der Art. Immer aber beginnt der Evolutionsprozess bei Darwin und seinen Schülern mit der Variation und nicht mit Veränderung der Umwelt … [4]

Wenn im darwinistischen Sinn von Anpassung gesprochen wird, ist immer Anpassung der Population gemeint und nicht die Anpassung von individuellen Organismen, denn in der Population setzen sich die Individuen mit den für eine Umweltänderung vorteilhafteren Genen im Generationenverlauf statistisch durch. Gemäß darwinistischer Theorie passen sich nicht Individuen an veränderte Umweltbedingungen an sondern Populationen.“[5]

Darwin hat in seiner Theorie nie versucht, irgendeine konkrete Eigenschaft zu bestimmen, die sich im Lauf der Evolution vergrößern würde und die irgendwelche Tendenzen oder Richtungen der Evolution bestimmen würde. Er versuchte nur, einen allgemeinen Mechanismus zu finden, der die Evolution erklären könnte.[6]

Darwin hat Wettbewerb als einen wichtigen Faktor in der Evolution identifiziert, aber es war nicht der einzige Faktor. Zusammenarbeit, Mitgefühl und Gerechtigkeit waren ebenso wichtige Merkmale in seiner Vision. In “Die Abstammung des Menschen” betont er, dass die Gemeinschaften mit der größten Anzahl kooperierender Mitglieder am besten gedeihen und die größte Zahl von Nachkommen erhalten.[7]

Fehlinterpretation der Formel “Survival of the fittest”

Storch, Welsch und Wink erklären, dass Charles Darwin als erster erkannt habe, “dass man die Entstehung neuer Arten nur unter Annahme der natürlichen Selektion durch Umweltfaktoren plausibel erklären kann.” Es geht dabei “nicht um das Überleben des Stärksten, sondern um den Fortpflanzungserfolg. Dabei spielen Kooperation und Altruismus ebenso eine Rolle wie eine körperliche Fitness.”[8]

Viele Menschen nehmen irrtümlich an, mit Darwins Konzept sei gemeint, dass in der Natur immer nur der Starke überlebt und der Schwache stirbt. Der Daseinswettbewerb (struggle of life), über den Darwin schrieb, “bezieht sich demnach vor allem auf den Fortpflanzungserfolg der einzelnen Individuen im Vergleich zueinander in ein- und derselben Population.”[9]

Darwin und andere Evolutionsbiologen wird die Formel “Survial of the fittest” oft als synonymer Ausdruck für natürliche Selektion fälschlicherweise in den Mund gelegt. Umgangssprachlich wird der Begriff des “Sozialdarwinismus” häufig als negative Kennzeichnung für Auffassungen verwendet, die den wirtschaftlichen und sozialen Konkurrenzkampf positiv bewerten und diesen möglichst von staatlichen Beschränkungen freihalten wollen. Damit kann auch große Ungleichheit gerechtfertigt werden. Mit Darwin hat das herzlich wenig zu tun. Die Formulierung “Survial of the fittest” rechnen viele Autoren zu den folgenreichsten, die je ein Forscher zu Papier gebracht hat. Sie geht allerdings nicht auf Charles Darwin zurück, sondern auf den Soziologen Herbert Spencer und damit wiederum auf ein Gesellschaftsmodell.[10]

Herbert Spencer gilt manchen als einer der Vordenker des “Manchester-Liberalismus”. Die menschliche Geschichte wird hier als Naturgeschichte interpretiert und der wie auch immer definierte “Erfolgreiche” wird als der “Tüchtigste” angesehen. Jeremy Rifkin fasst in seinem Buch “Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft” wesentliche Punkte der Spencer-Darwin-Debatte zusammen:

“Spencer griff Darwins Beschreibung der natürlichen Auslese zur Rechtfertigung seiner eigenen Theorie der ökonomischen Evolution auf. Er schrieb, »dieses Überleben der Passendsten, das ich hier in mechanischen Ausdrücken auszudrücken versucht habe, ist dasselbe, was Herr Darwin als ›natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein‹ genannt hat«. Auch wenn der Begriff »Überleben der Tüchtigsten« (bzw. »Passendsten« oder »am besten angepassten Individuen«) weithin Darwin zugeschrieben wird, eigentlich geprägt wurde er von Spencer nach der Lektüre von Darwins Werk. Unglücklicherweise arbeitete Darwin Spencers Sichtweise in die fünfte Auflage seiner Entstehung der Arten von 1869 ein.

Unter Spencers Händen nahm »Überleben der Tüchtigsten« die Bedeutung an, dass nur die tüchtigsten Organismen überlebten. Spencer setzte den Begriff im öffentlichen Diskurs durch und stellte sich ungeniert neben Darwin, obwohl seine Auffassung von Evolution eher in Richtung Lamarckismus ging.

Darwin gab sich später große Mühe, um sich von dem Begriff »Überleben der Tüchtigsten« zu distanzieren; er entschuldigte sich sogar, ihn jemals benutzt zu haben, aber es hatte keinen Sinn. Der Begriff hatte sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit eingeprägt und definierte Darwins Theorie für alle Generationen danach.

Für Spencer war der Wettbewerb zwischen Firmen auf dem Marktplatz Ausdruck der natürlichen evolutionären Entwicklung der Gesellschaft.

Seiner Ansicht nach sollte man dem Wettbewerb ohne staatliche Eingriffe freien Lauf lassen; nur so sei gewährleistet, dass nur die komplexesten vertikal integrierten Unternehmen überleben und florieren. Spencers Ansichten halfen, die geschäftlichen Interessen der Zeit zu legitimieren. Indem sie in der Natur eine rationale Erklärung dafür

fanden, dass Unternehmen immer größere, vertikal hochgradiger integrierte Strukturen unter einer zunehmend rationalisierten und zentralisierten Verwaltung anstrebten, wiegelten Spencer und die Ökonomen des freien Marktkapitalismus nach ihm erfolgreich jede ernsthafte öffentliche Opposition gegen die existierenden Arrangements ab.“[11]

 

Tatsächlich bedeutet natürliche Selektion nur, dass die Organismen, die für das Überleben in der jeweiligen Umwelt bevorzugte vererbbare Eigenschaften haben, ihre Gene mit größerem Erfolg in die Zukunft übertragen.”[12] Nach Darwin hält sich ein individuelles Merkmal nur dann über mehrere Generationen, wenn es für das Überleben des Individuums einen Vorteil bietet. Darwin redete von Arten, die in ihrer jeweiligen Umwelt am besten angepasst sind, das sind nicht unbedingt die stärksten.[13]

Weil aber die Abgrenzung nicht immer klar ist und mit der Formel vom “Überleben des Stärkeren” immer wieder Darwin missbraucht wird, hier noch einmal der Sachverhalt in der Formulierung von Siegfried Hagl:

“In der Biologie hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass evolutionäre Vorgänge vor allem die Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt fördern und nicht zwangsläufig mit Höherentwicklung verbunden sein müssen. Selbst eine objektive Einteilung der Lebensformen in höhere und niedrigere Gruppen gilt als fraglich. Die genetische Vielfalt – deren Bedeutung Sozialdarwinisten nicht verstanden haben– wird als wertvoll, ja überlebensnotwendig angesehen; für alle Lebewesen, den Menschen eingeschlossen. Altruistische und symbiotische Verhaltensweisen sind überlebensfördernd und überall zu finden – in der Natur ebenso, wie in der menschlichen Gesellschaft.”[14]

Literaturhinweise zu der Diskussion um Konzepts “Survival of the fittest”

Für mich steht die Diskussion um das Konzept “Survival of the fittest” nicht im Mittelpunkt dieser Reihe. Ich sehe weder Darwin noch Edward Wilson auf einer sozialdarwinistische Linie, wie sie Spencer und andere vertreten. Ich will die Betrachtung an dieser Stelle mit einigen weiteren Literaturhinweise beenden:

Dieser Teil konnte zusammen mit Teil 3 nur kurze Abriss sein und will natürlich nicht die einführende Literatur zur Evolutionsbiologie ersetzen, sondern diente mir nur ein als Überleitung für den nächsten Beitrag. In dem werde ich mich erstmals dem Kern dieser Beitragsreihe annähern: Gruppenselektion und Multilevel-Selektion.


[1] So Wilson auch in seinem aktuellen Buch: Edward O. Wilson, Der Sinn des menschlichen Lebens, 1. Aufl. 2015, Kindle Edition, Pos. 53.

[2] Siehe dazu David S. Wilson, Jeff Bezos got Darwinism all Wrong!, auf Evonomics, Oktober 2015

[3] Tomas Sedlacék “Ökonomie von Gut und Böse”, Pos. 5276.

[4] Axel Lange, Darwins Erbe im Umbau – Die Säulen der Erweiterten Synthese in der Evolutionstheorie, Würzburg 2012, S. 26.

[5] Axel Lange, Darwins Erbe im Umbau – Die Säulen der Erweiterten Synthese in der Evolutionstheorie, Würzburg 2012, S. 23.

[6] Jan Zrzavý et al, Evoluition – Ein Lese-Lehrbuch, 2., vollst. überarb. Aufl. 2013, S. 12.

[7] Eric Michael Johnson, The Most Perverse Story to Justify Inequality, Evonomics, 19.11.2015

[8] Volker Storch, Ulrich Welsch, Michael Wink, Evolutionsbiologie, 3., überarb. u. aktual. Aufl. 2013, Abschnitt 3.5.4.

[9] Christoph Marty, Missverständnisse um Darwin, in: Spektrum kompakt, Evolution, 15.8.2015. S. 7

[10] Vgl. Jürgen Neffe, Danke, Darwin!, in: Die Zeit v. 31.12.2008. Vgl. außerdem Jan Zrzavý et al, Evolution – Ein Lese-Lehrbuch, 2., vollst. überarb. Aufl. 2013, S. 12.

[11] Vgl. Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, 2014, S. 97 ff.

[12] Vgl. Jürgen Neffe, Danke, Darwin!, in: Die Zeit v. 31.12.2008.

[13] Vgl. Martin A. Nowak, Roger Highfield, Kooperative Intelligenz: Das Erfolgsgeheimnis der Evolution, Pos. 453.

[14] Siegfried Hagl, Darwin und die Evolution Teil 4, auf siegfriedhagl.com, Veröffentlicht in Gralswelt Sonderheft 21/2008

Peter Mersch November 26, 2015 um 14:16 Uhr

Für mich beschreibt auch dieser Artikel nicht klar genug, was Sozialdarwinismus ist und was sein eigentliches Problem ist. Ich befürchte sogar, dass allgemein bis heute darüber keinerlei Klarheit besteht. Meist wird das Wort lediglich als politischer Kampfbegriff verwendet. Ich halte es deshalb für sinnvoller, zunächst einmal die Unterschiede zwischen menschlichen sozialen Gemeinschaften und der wilden Natur (auf die sich Darwins Theorie bezieht) herauszuarbeiten.

So werden in der Natur (in den allermeisten Fällen) keine Verfügungsrechte an Ressourcen akzeptiert. Darunter fallen auch die Verfügungsrechte an den eigenen körperlichen Ressourcen. Das führt dazu, dass in der Natur der aktuelle Ressourcenbesitzer über keine ausgewählten Rechte an der Ressource verfügt. Sie kann ihm jederzeit streitig gemacht werden. Oft sagt man dazu vereinfachend, dass in der Natur das sog. „Recht des Stärkeren“ gilt. Leider ist das Wort „stärker“ irreführend. Der finale Gewinner könnte genauso der Schlauere sein. Wichtig ist allein, dass es keine akzeptierten Verfügungsrechte an Ressource gibt. Kurz: Der Löwe fragt das Zebra vorher nicht, ob er es fressen darf.

Ein Fehler des Sozialdarwinismus war, dass er das Recht des Stärkeren auf menschliche Gesellschaften übertrug. So sahen es beispielsweise einige seiner Vertreter als durchaus legitim an, mit einem Schiff auf einer bewohnten (Ressourcen-reichen) Insel zu landen und alle Bewohner zu berauben und zu versklaven. Dies sei Evolution auf der Grundlage des Rechts des Stärkeren, wie es in der Natur gelte.

Tatsächlich ist es auch in unserem heutigen Rechtsverständnis erlaubt, auf der Insel zu landen und mit der Urbevölkerung in einen Handel einzutreten. Handel beruht jedoch auf der Akzeptanz von Verfügungsrechten an Ressourcen, etwas, das es in der wilden Natur praktisch überhaupt nicht gibt. Selbst bei den Enten nicht. Wirft man einer Population Enten ein paar Brotkrumen zu, wird man feststellen, dass sich die Individuen um die Krumen streiten. Ein Tier, das ein besonders großes Stück erwischt, wird es im Allgemeinen möglichst schnell herunterwürgen müssen, sonst ist es es los. Das läuft in menschlichen Gesellschaften ganz anders.

Dies ist einer der Gründe, warum weder das Leben in menschlichen Gesellschaften noch das Treiben auf den Märkten in modernen Marktwirtschaften mit der klassischen Darwinschen Evolutionstheorie erfassbar sind. Damit zielt aber auch die erwähnte Kritik von Sedlacék an der freien Marktwirtschaft zunächst einmal daneben.

Ein anderer Grund für die Nichtübertragbarkeit der Darwinschen Evolutionstheorie bzw. der Natürlichen Selektion auf menschliche Sozialstaaten ist ihre individualistische Struktur. Der Grundgedanke ist in etwa der: Alle Individuen benötigen Ressourcen aus ihrer Umgebung, um (leben und) sich fortpflanzen zu können. Wer darin besser ist (d.h. besser an die Umwelt angepasst ist), hinterlässt im Durchschnitt mehr Nachkommen (bzw. eigene Gene). So stärken sich die Gene in der Population, die für eine gute Anpassung sprechen. Im Vordergrund steht also zunächst ein individueller „Kampf ums Dasein“ mit der Umwelt, d.h. ein Wettbewerb um Ressourcen. Dabei bleibt offen, wie dieser Kampf gefochten wird. Er muss nicht zwingend per brutaler Konkurrenz, Ellenbogen etc. geführt werden. Kooperation könnte in vielen Fällen Erfolg versprechender sein.

Ein Problem ist nun aber, dass sich dieses Darwinsche Ausgangsszenario nicht auf Sozialstaaten übertragen lässt, und zwar bereits aus systemischen Gründen. Es ist dabei egal, ob es sich um menschliche Sozialstaaten oder Honigbienenkolonien handelt, es funktioniert in beiden Fällen nicht. Präziser: In Sozialstaaten kommt es nicht länger zur Natürlichen Selektion, sondern zu einer sozialen Selektion. Wie viele Nachkommen die einzelnen Individuen hinterlassen, wird maßgeblich von der Organisation und den Regeln des Sozialstaates selbst, nicht aber vom Wettbewerb der Individuen um Fortpflanzung bestimmt. Man kann deshalb Darwins Theorie der Natürlichen Auslese nicht auf Sozialstaaten übertragen bzw. anwenden. Dies war einer der entscheidenden Denkfehler der Sozialdarwinisten.

Richard Dawkins formuliert dies in „Das egoistische Gen“ (Ausgabe 2007, S. 209f.) in recht klaren Worten wie folgt:

„Nun ist, was den modernen, zivilisierten Menschen betrifft, folgendes geschehen: Die Größe der Familie ist nicht mehr durch die begrenzten Mittel beschränkt, die die einzelnen Eltern aufbringen können. Wenn ein Mann und seine Frau mehr Kinder haben, als sie ernähren können, so greift einfach der Staat ein, das heißt der Rest der Bevölkerung, und hält die überzähligen Kinder am Leben und bei Gesundheit. Es gibt in der Tat nichts, was ein Ehepaar, welches keinerlei materielle Mittel besitzt, daran hindern könnte, so viele Kinder zu haben und aufzuziehen, wie die Frau physisch verkraften kann. Aber der Wohlfahrtsstaat ist eine sehr unnatürliche Sache. In der Natur haben Eltern, die mehr Kinder bekommen, als sie versorgen können, nicht viele Enkel, und ihre Gene werden nicht an zukünftige Generationen vererbt.“

Was Dawkins hier beschreibt ist einer der Gründe, warum es in praktisch allen modernen menschlichen Sozialstaaten zum sogenannten demografisch-ökonomischen Paradox kommt: In der wilden Natur haben diejenigen Individuen, die die meisten Ressourcen erwirtschaften im Durchschnitt die meisten Nachkommen (dies ist die sogenannte Natürliche Selektion), in menschlichen Sozialstaaten ist es dagegen umgekehrt. Ein ähnlicher negativer Zusammenhang besteht bei der Bildung (Westdeutschland: Frauen mit hoher Bildung = 1,31 Kinder, Frauen mit geringer Bildung = 2,06 Kinder).

Die Ursache des Paradoxons ist nicht natürlicher Art, sondern es ist eine Folge der Organisation und der Regeln des Sozialstaates. Kritiker des Sozialdarwinismus tun aber heutzutage gerne so, als seien solche Verhältnisse naturgegeben und jede Kritik daran im Grunde „Sozialdarwinismus“. Leider ist es genau umgekehrt: Solche Kritiker des Sozialdarwinismus argumentieren fundamental sozialdarwinistisch. Sie tun so, als sei das beobachtete Fortpflanzungsverhalten natürlich bzw. naturgegeben. Damit übertragen sie gewissermaßen das Prinzip der natürlichen Selektion auf menschliche Sozialstaaten, was jedoch unzulässig ist.

In Honigbienenkolonien sieht es übrigens nicht viel anders aus: Gäbe es dort keine Königinnen, sodass sich alle Arbeiterinnen individuell reproduzieren müssten, dann würden diejenigen Arbeiterinnen die meisten Nachkommen hinterlassen, die sich am wenigsten an den sozialen Aufgaben beteiligen (die Nahrung wird in den Kolonien gemeinsam beschafft, sie steht allen zur Verfügung, auch in diesem Sinne handelt es sich um einen Sozialstaat). Kurz: Auch hier würde sich sehr bald ein demografisch-ökonomisches Paradoxon etablieren. Honigbienensozialstaaten sind deshalb u. a. so organisiert, wie sie es aktuell sind, damit genau das nicht passiert.

Unabhängig davon hat die (auch von Ihnen vorgetragene) Kritik am Begriff „Survival of the Fittest“ allerdings eine grundsätzliche Berechtigung. Es sind ja letztendlich Informationen (Gene und ihre Beziehungen zueinander im Sinne der Evolutionsbiologie, Kompetenzen im Sinne der Systemischen Evolutionstheorie), die im Laufe der Evolution langfristig „überleben“ und sich entwickeln. Der Begriff „Survival of the Fittest“ (egal ob es sich um den Stärksten oder Schlauesten handelt) suggeriert jedoch, als ginge es in der Evolution vor allem um das Individuum und seinen Kampf ums Dasein bzw. um sein Überleben. So mag Evolution ganz zu Beginn einmal ausgesehen haben, spätestens mit dem Aufkommen des Sozialen wird man damit dem Wesen der Evolution jedoch nicht mehr gerecht.

P.S. An einigen Stellen heißt es im Text: „Survial of the fittest“.

Michael Berger November 23, 2015 um 18:07 Uhr

Please read Edward O. Wilson: „The Mental as Physical“ where he already states the basis of later so called „behavioral biology“. I learned during my study of psychology, philosophy and physiology in the 80ties of last century the fundamental coherency of those three disciplines. E. O. Wilson was one of the founders of the understanding of complex interactions and interdepencies of human thinking and behavior.

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