Erfolg der UN-Klimakonferenz in Paris: Warum ist es so schwer, systemischen Risiken zu reduzieren

by Dirk Elsner on 14. Dezember 2015

Als ich am Wochenende die Nachrichten (Zusammenstellung unten) vom UN-Klimagipfel in Paris (offiziell COP21, als 21. Konferenz der Teilnehmerstaaten der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel) sah und nachlas, war meine erste Reaktion Erleichterung. Die „Welt“ hat endlich einen neuen Klimavertrag geschlossen. Das ist zumindest die Botschaft, die bei uns ankommen soll. Ich kann den Wert dieses globalen Klimaschutzabkommen (hier das Dokument im Originaltext), das alle Länder in die Pflicht nehmen soll, nicht beurteilen.

clip_image002

Ohne Klimaschutz bald unter Wasser? North Cat Cay (Bahamas)

Das Handelsblatt fasst die wesentlichen Punkte so zusammen:

„Der Vertrag gibt das Ziel vor, die durch Treibhausgase verursachte Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzten. Die 196 Länder wollen sogar versuchen, bei 1,5 Grad zu landen. Langfristig sollen nicht mehr Treibhausgase wie CO2 ausgestoßen werden, als gleichzeitig zum Beispiel von Wäldern wieder aufgenommen werden können. Allerdings werden die nationalen Klimaziele weiterhin von den einzelnen Ländern festgelegt – bislang reichen die vorliegenden Pläne nicht aus, um den Klimawandel auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.“ (Mehr Details zu den Inhalten hier, hier und hier)

Die Teilnehmer, Medien und Politiker in aller Welt feiern sich selbst und die Konferenz. „Das Signal von Paris wird die Welt verändern“, bejubelt die Süddeutsche das Ergebnis, dass es erstmals nicht nur ein gemeinsames Ziel im Klimaschutz gibt, „es gibt auch Instrumente dafür. Wenn die Staaten ihr eigenes Abkommen ernst nehmen, dann werden sie fortan alle fünf Jahre überprüfen, ob sie im Klimaschutz vorangekommen sind oder nicht. Sind sie es nicht, müssen sie nachbessern. Das Ziel heißt jetzt: Schluss mit den Fossilen, und das so schnell wie möglich.“

Ob hier wirklich Geschichte geschrieben wurde, muss freilich erst die Geschichte zeigen. Wenn der Jubel des Mainstreams der internationalen Funktionselite (und sogar einiger NGOs, wie die TAZ berichtet) so einheitlich herüberkommt, konnte man in der Vergangenheit bei ähnlichen Vereinbarungen ziemlich sicher sein, dass die erhofften Ziele nicht erreicht werden.

Es wäre freilich schön, wenn es diesmal nicht so wäre, denn die Bedrohungen durch menschliche Interventionen in das Ökosystem Erde mit Folgen für den Klimawandel,die Ressourcenknappheit und Gefährdung der Artenvielfalt gehört zu den zentralen systemischen Risiken unseres Handeln. Sie „können einen völligen Funktionsverlust eines Systems oder mehrerer gekoppelter Systeme bewirken.“ (Ortwin Renn, Das Risikoparadox, Kindle Edition Pos 8737).

Ortwin Renn stellte in seinem Buch „Das Risikoparadox: Warum wir uns vor dem Falschen fürchten“ fest, dass wir solche Risiken unterbewerten und zu wenig beachten.

Was sind systemische Risiken

Systemische Risiken sind durch Globalität, Vernetzung, Nichtlinearität und systematische Unterschätzung gekennzeichnet. Das heißt:

  • systemische Risiken wirken tendenziell über nationale
    Grenzen hinweg,
  • sind mit anderen Funktionsbereichen eng gekoppelt,
  • die mit ihnen verbundenen Ursache-Wirkungsketten sind stochastisch und nichtlinear (d.h. sie unterliegen Zufallsschwankungen und können plötzliche Ausschläge in Richtung auf große Schadensausmaße annehmen) und
  • ihre Auslöser, gelegentlich auch die Risiken selbst, werden in der öffentlichen Diskussion meist unterschätzt.

Quelle: Ortwin Renn, Das Risikoparadox, Kindle Edition Pos 8738 f

 

Warum ist es so schwer, gegen die systemischen Risiken anzugehen?

Ortwin Renn analysiert auch, warum es so schwer ist, die systemischen Risiken, die wir ja auch aus der Finanz- und Eurokrise kennen, zu beschränken. Renn nennt neben den individuellen Wahrnehmungsmustern vier kollektive Verhaltensmuster, mit denen wir systemische Risiken wahrnehmen, bewerten und steuern. Die folgende Aufzählung stammt aus Ortwin Renn, Das Risikoparadox, Kindle Edition Pos 8773 ff. Ich finde sie sehr hilfreich, weil die Punkte trotz der Einigung von Paris deutlich machen, wie fragil die Umsetzung des Abkommens werden könnte.

1. Allmendefalle

„Öffentliche Güter, die von uns allen genutzt werden können, ohne dass wir selbst dazu einen Beitrag leisten müssen, werden entweder übernutzt oder erst gar nicht erstellt, weil jeder darauf hofft, dass der jeweils andere dafür zahlen wird. Im Endeffekt tut es dann keiner.“

2. Effizienzfalle

„Mit zunehmender Effizienzausrichtung steigt die Verwundbarkeit unserer Institutionen und Infrastrukturen, weil große zentrale Einrichtungen mit entsprechend hoher Vernetzungsdichte in der Regel kostengünstigere Leistungen anbieten können als viele dezentrale, autonome Einheiten. Diese Entwicklung erhöht unsere Verwundbarkeit, so dass im Krisenfall eine Kette von nicht vorhersehbaren Schäden zu erwarten ist.“ Er sieht die Finanzkrise als ein dafür passendes Beispiel.

3. Hybrisfalle

„Unsere modernen Gesellschaften neigen dazu, mehr Zuversicht in die Leistungsfähigkeit unseres Wissens, unserer Technik und unserer Organisationsformen zu besitzen, als wir dies realistisch erwarten dürfen. Dadurch werden wir blind gegenüber den Schattenseiten der Modernisierung und blenden die latenten systemischen Risiken aus.“

4. Autonomiefalle.

„In jedem Funktionsbereich in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gilt das Gebot der bereichsspezifischen Optimierung. Ob Industrie, Finanzen, Umweltschutz oder soziale Absicherung, das Ziel ist jeweils, für den eigenen Bereich und die eigene Klientel das meiste herauszuholen. Dabei verlieren die Beteiligten leicht aus den Augen, dass mit jeder einseitigen Optimierung Folgekosten in anderen Funktionsbereichen anfallen, die in der Regel nicht bedacht oder auch unterschätzt werden.“

Klimastiftung gegen das Allmendeproblem?

Renn macht Vorschläge, wie wir besser mit den systemischen Risiken umgehen können und fordert u.a. eine Kooperation von Politik, Wirtschaft, Wissensträgern und Zivilgesellschaft. Mich interessiert ja, wie Renn die Ergebnisse von Paris bewertet. Im Vorfeld äußerte er sich gegenüber der FAZ:

[G]roße Teile der Politik und viele Menschen ahnen immer noch nur vage, was in Paris bei der Aushandlung eines neuen globalen Klimavertrags auf dem Spiel steht. „Uns fehlen noch immer die Narrative“, sagte Renn. Gleich, ob man den Kampf gegen den Klimawandel als ökonomische Chance, als ökologisches Endzeitszenario, als Gerechtigkeitskampf zwischen Nord und Süd oder am Ende als Schlusspunkt des kapitalistischen Systems erzählt, es sei „immer noch enorm schwierig, die Dinge so begreiflich zu machen, dass radikale Klimaschutzmaßnahmen genügend attraktiv sind.“ Renns Lösungsvorschlag einer „Weltstiftung“, die den globalen Kohlendioxidhahn zudreht, fällt vor Paris freilich in eine heikle Kategorie: politisch derzeit unerfüllbar.

In seinem Buch schreibt Renn zu der Stiftungsidee

„Wenn man die globalen Allmenden wie das Klima, die Weltmeere, die Atmosphäre sinnvoll besteuern würde, hätte man genügend Finanzmittel, um eine wirklich einflussreiche Stiftung zu gründen. Diese Stiftung braucht rund 150 Milliarden Euro im Jahr, um die systemischen Risiken effektiv zu begrenzen.“ (Ortwin Renn, Das Risikoparadox, Kindle Edition, Pos. 8872)

Immerhin, eine Annäherung daran können wir in den Pariser Ergebnissen sehen, denn der Vertrag enthält finanzielle Zusagen der Industriestaaten an die Entwicklungsländer. Konkrete Zahlen werden zwar nicht genannt (bzw. sind aus dem Text wieder verschwunden). Bisher wurden aber laut FAZ als „Mindestbetrag 100 Milliarden Dollar Hilfen pro Jahr angepeilt. Die Zahl findet sich nun nur noch im Begleittext des Vertrags. Geblieben ist die Zusicherung der Industrieländer, die Hauptverantwortung für die „Mobilisierung“ der Klimafinanzierung zu übernehmen. Sie sollen regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, wie viel Geld sie zur Verfügung stellen werden.“

Wir selbst haben es in der Hand

Allein ein unterschriebenes Papier reduziert und verhindert nicht den Temperaturanstieg . Dies kann nur durch Verhaltensänderungen im Großen und Kleinen geschafft werden. Ich bin sehr gespannt, wie sich unsere Gesellschaften und vor allem wir selbst dafür einsetzen und und jeder persönlich einsetzt.

Previous post:

Next post: