Innovation ist ein gern benutzter Begriff in der Wirtschaftspraxis. Es geht dabei um Neuartiges und vor allem um neue Ideen und wie man sie in der Praxis umsetzt. Während unseres Urlaubs las ich u.a. das Buch von Steven Johnson in seinem Buch “Wo gute Ideen herkommen”. Sein Erscheinen liegt zwar schon ein paar Jahre zurück, inhaltlich ist es aber brandaktuell. Johnson ist amerikanische Wissenschaftsjournalist und hat in seinem Buch über Umgebungen geschrieben, in denen gute Ideen entstehen (nein, auch er gibt kein Patentrezept, wie Unternehmen automatisch zu besseren Innovationen kommen können).
Der Economist wählte laut FAZ das Buch 2010 zum Buch des Jahres. Eine Rezension hat z.B. hier Ralf Keuper verfasst. Mir fiel darin u.a. eine interessante These, nämlich, dass in größeren Netzwerken überproportional viele Ideen entstehen. Basis für die These ist eine Untersuchung des Physikers Geoffrey West, der eigentlich nur herausfinden wollte, ob ein biologisches Verhalten (Kleibers Gesetz), auch auf Städte anwendbar ist. Mario Herger beschreibt dies in dem Buch “Das Silicon Valley Mindset” so:
“Der Schweizer Max Kleiber entdeckte den Zusammenhang zwischen der Masse und dem Stoffwechsel von Tieren. Je größer ein Tier wird, desto höher ist dessen durchschnittliche Lebensdauer. Die Lebensdauer von Fliegen liegt zwischen Stunden und ein paar Tagen. Elefanten hingegen werden mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Auch ist die Geschwindigkeit, mit der Vogelherzen Blut pumpen, höher als die bei Giraffen. Interessanterweise scheint die Anzahl der Herzschläge über die Lebensdauer aller Spezies hinweg in etwa gleich zu sein. Die Herzen kleinerer Spezies schlagen eben schneller.”
West untersuchte Kleibers Gesetz an einem anderen Organismus: an Städten. Er fand heraus, dass Städte demselben Kleiberschen Gesetz wie Lebewesen folgen, allerdings mit einer Ausnahme: dem Innovationsverhalten. Johnson schreibt (Pos. 135 Kindle Edition):
“Alles, was mit Kreativität und Innovation zu tun hat, Patente und Forschungsetats etwa, schöpferische Berufe usw., folgte ebenfalls einem exakten mathematischen Verhältnis, aber mit einem fundamentalen Unterschied: Das Verhältnis der zum Bereich der Innovationen erhobenen Zahlen war nicht umgekehrt proportional, sondern überproportional. Eine zehnmal größere Stadt stellte sich nicht nur als zehnmal so innovativ heraus wie ihr kleinerer Nachbar, sie war siebzehnmal innovativer, eine Großstadt von der fünfzigfachen Größe gar 130-mal.
Kleibers Gesetz besagt, dass biologisches Leben immer langsamer abläuft, je größer der Organismus ist. Wests Modell zeigt einen entscheidenden Unterschied zwischen biologischem Leben und von Menschen erschaffenen Städten auf: je größer eine Stadt, desto kürzer die Zeitintervalle, in denen sie neue Ideen hervorbringt.”
Johnson nennt dieses Phänomen »superlineare Skalierung«. Nach Wests Statistik ist Durchschnittsbürger einer Fünfmillionenstadt fast dreimal so kreativ als der Durchschnittseinwohner einer Stadt mit 100.000 Menschen.
Durch Johnsons Buch zieht sich der roter Faden, “dass wir oft besser beraten sind, wenn wir Ideen zusammenführen, statt sie argwöhnisch vor fremden Blicken zu schützen. … Wenn man die Geschichte von Innovationen in Natur und Kultur jedoch unvoreingenommen betrachtet, stellt sich heraus, dass Umgebungen, in denen gute Ideen abgeschirmt werden, auf lange Sicht weniger innovativ sind als offene Umgebungen. Gute Ideen müssen nicht vollkommen ungeschützt sein, aber sie wollen sich verbinden, miteinander vermischen und neu kombinieren.” (Pos. 294).
In Netzwerken arbeiten Menschen also innovativer. Die Idee vom Einzelinnovator, der im stillen Kämmerlein nach nächtelangen Forschungen seinen Heureka-Effekt feiert, hält Johnson für eine romantische Fantasie. Zwar können auch so Ideen entstehen, ökonomisch ist das allerdings nicht effizient, wenn man die Erkenntnisse von West für richtig hält. Daraus folgt nämlich, dass man kreative und innovative Köpfe in einer wie auch immer gestalteten Umgebung zusammenbringen sollte. Johnson schließt das erste Kapitel so ab:
“Die Kunst, auf eine gute Idee zu kommen, besteht nicht darin, in hehrer Einsamkeit vor sich hin zu brüten und zu versuchen, sich etwas möglichst Bahnbrechendes einfallen zu lassen. Die Kunst besteht darin, mehr Bausteine auf dem Tisch liegen zu haben.” (Pos 613)
Mit den verschiedenen Bausteinen befasst er sich dann im weiteren Verlauf seines Buches.
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