Für die Bankenwelt bleibt die Digitalisierung eine Mammutaufgabe

by Gastbeitrag on 3. April 2017

Gastbeitrag von Thomas F. Dapp, Digital Office | Think Tank | KfW Bankengruppe

Die Herausforderungen für den Bankensektor, ausgelöst durch den digitalen Strukturwandel, werden auf absehbare Zeit nicht weniger. Im Gegenteil: Immer mehr branchenfremde und vor allem technologiegetriebene Wettbewerber drängen in den Markt; die Margen sind nach wie vor durch die anhaltende Niedrigzinsphase gering; viele Altlasten (nicht nur) aus der Finanzkrise müssen bewältigt werden; das Konsum- und Mediennutzungsverhalten der Konsumenten ändert sich in kürzeren Frequenzen und die regulatorischen Anforderungen werden mehr und strenger. Der Druck erhöht sich zusätzlich durch die hohe Dynamik und die sich beschleunigenden Fortschritte digitaler Technologien. Dadurch sind mittelfristig viele Ressourcen gebunden, die gerade jetzt dringend benötigt werden, um die Wettbewerbsposition sowie die Innovationskraft zu stärken. Vielen Banken droht, dass sie ihre Rolle als umfangreiche Finanzintermediäre in einigen Bereichen weiter verlieren könnten.

Die Mittlerfunktion von Banken auf dem Prüfstand

Traditionelle Banken sind in ihrer Funktion als volkswirtschaftliche Finanzintermediäre u.a. Informationsmittler. Ein wesentlicher Teil ihres Kerngeschäfts besteht in einer effizienten Allokation von Finanzmitteln. Banken realisieren Effizienzgewinne indem sie diverse Anlageklassen transformieren und das dafür notwendige Risikomanagement durchführen. Hierfür erheben sie einen Preis (z.B. in Form von Gebühren) und verhelfen somit Unternehmen (Investoren) oder Haushalten (Sparer/Kreditgeber) Finanzmittel effizienter zu beziehen bzw. anzulegen. Der volkswirtschaftliche Nutzen von Banken liegt folglich u.a. darin, dass sie die Finanzinformationen und ihre daraus erzielten (bislang eher exklusiven) Erkenntnisse für den Kunden in adäquate Finanzdienste und –produkte umwandeln.

Sinkende Effizienzgewinne und mehr Transparenz bei einfachen Finanzdiensten

Einige dieser Effizienzgewinne werden allerdings (weiter) sinken. Verantwortlich hierfür sind die zunehmende Durchdringung vernetzter Technologien sowie die sich beschleunigende Adaptionsgeschwindigkeit, wie die Menschen digitale Technologien in ihre Lebensbereiche integrieren. Dies hat auch zur Folge, dass sie in immer kürzeren Frequenzen ihr Konsum- und Mediennutzungs­verhalten permanent anpassen. Digitale Geldbörsen (Digital Wallet) zeigen z.B., dass gerade neue Akteure, insbesondere große Plattformanbieter, aber auch kleine Fintech-Startups mit vernetzten Technologien einzelne Dienste und Produkte schneller, effizienter und vor allem bequemer („Alles aus einer Hand“) für den Kunden bereitstellen können. Die Blockchain-Logik, sofern sie künftig in Massenmärkte zum Einsatz kommen sollte, könnte zudem vereinzelt entlang der Wertschöpfung traditioneller Banken für Disintermediation sorgen.

Generell bewirken einige digitale Technologien, dass Transaktionskosten sowohl für die Anbieter als auch für die Nachfrager weiter sinken mit der Folge, dass viele (internetaffine) Kunden grundlegende Informationen im Netz transparent recherchieren können. Dafür stehen ihnen zahlreiche finanzspezifische Informationen auf Foren, Vergleichsportalen sowie im direkten Austausch mit Experten auf sozialen Plattformen meist kostenfrei und nicht selten in Echtzeit zur Verfügung. Dies gilt sicherlich für standardisierte und nicht wissensintensive, also wenig beratungsintensive Bankprodukte bzw. -dienste. Vor allem trifft es aber auch Finanzdienste, die den Unternehmer und die Haushalte nur mit einem geringen Grad an Risiko konfrontieren. Die Folgen dieser Entwicklung sind bereits zu beobachten: Viele informierte Kunden fordern Kommunikationskanäle außerhalb der üblichen Öffnungszeiten; erfragen bei ihren Hausbanken vermehrt individualisierte Lösungen für ihre Finanzbedürfnisse und erwarten eine qualitativ höherwertige Beratung als bisher. Das Internet spielt letztlich bei der effizienten und schnellen Nutzung von Informationen im Finanzsektor eine dauerhaft bedeutende Rolle, weil es als Massenmedium immer mehr Menschen zur Verfügung stehen wird und relativ einfach zu bedienen ist.

Die Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager ändert sich grundlegend

Insgesamt führen diese Überlegungen (übrigens auch außerhalb der Bankenbranche) zu der interessanten Frage, inwieweit künftig digitale bzw. vernetzte Technologien (Blockchain, Data Analytics, Robo Advice, unüberwachte Algorithmen, etc.) vor dem Hintergrund sinkender Transaktionskosten durch branchenfremde Akteure angeboten werden können. Denn unter deren Verwendung ist es auch für Konsumenten oder Dritte möglich, die aus dem Internet recherchierten Informationen selbst auszuwerten, um entsprechende Finanzgeschäfte digital anzubieten (z.B. als Crowdfunding/-investing- oder Payment-Anbieter), sofern natürlich erforderliche regulatorische Vorschriften eingehalten werden. Dies hat zur Folge, dass sich durch die effizienzgewinnenden Möglichkeiten der Internettechnologien die Interaktion zwischen Bank und Kunde bzw. ganz allgemein zwischen Anbieter und Nachfrager grundlegend ändert.  Vielen neuen technologiegetriebenen Wettbewerbern (digitale Plattformen oder Fintech-Startups) gelingt somit ein leichterer und schnellerer Markteintritt. Dadurch verändert sich die Wettbewerbskonstellation in der sich traditionelle Banken bisher behaupten mussten, was langfristig auch zu einer Beschleunigung bestehender Konsolidierungsmaßnahmen im Finanzbereich führen wird.

Banken haben bei beratungsintensiven Diensten die Nase vorn

Derzeit ist das Angebot der neuen Akteure (gerade im Bereich Business-to-Business; B2B) noch überschaubar. Steigt zudem die Beratungsintensität bei einigen Finanzdiensten gerade für Firmen- oder institutionelle Kunden, erhöhen sich auch wieder die Wettbewerbsvorteile für die Etablierten, weil komplexe Finanzprodukte, wie z. B. eine internationale Handelsfinanzierung oder ein Gang an die Börse, bis auf weiteres nicht einfach standardisiert oder vollautomatisiert über das Internet angeboten werden können. Hier stehen komplexe Strukturen, individuelle Kundenbedürfnisse oder unterschiedliche Jurisdiktionen im Vordergrund, die sich nur durch maßgeschneiderte Beratungsmaßnahmen befriedigen lassen. Zudem müssen bei vielen Bankprodukten und -diensten (international unterschiedliche)regulatorische Bestimmungen eingehalten werden, was mit Kosten und Know-how verbunden ist und somit abschreckend auf viele neue (kleine) Akteure wirken kann. Daher konzentriert sich das Angebot neuer Akteure im Finanzsektor (vorerst) eher auf einfache Produkte und Dienste, die auch ohne Vollbank-Lizenz angeboten werden können. Banken genießen durch die regulativen Auflagen also nicht nur Kostennachteile, sondern durchaus auch Wettbewerbsvorteile in Form von Markteintrittshürden für branchenfremde Akteure. Allerdings verfügen einige der neuen Akteure bereits über eine Banklizenz oder zumindest über eine E-Geld-Lizenz (z.B. Google, Facebook), um ihr Angebot an Finanzdiensten auszuweiten.

Die Digitalisierung im Finanzsektor als Mammutaufgabe, aber auch als Glücksfall

Für traditionelle Banken wächst der Druck weiter. Die zum Einsatz kommenden und kommunizierten Strategien werden gemäß dem traditionellen, aber nicht mehr zeitgemäßen Siloprinzip vorangetrieben. Das greift zu kurz. Der große Wurf wird den Banken so nicht gelingen. Es wird künftig nicht mehr ausreichen nur einzelne Dienste und Produkte zu innovieren. Eine adäquate Digitalisierungsstrategie kann nur als ganzheitlicher Ansatz zum Erfolg führen, d.h. alle Geschäftsbereiche müssen involviert sein. Jetzt gilt es, dem Wettbewerb zeitnah mit eigenen, umfänglichen Digitalisierungsstrategien im Markt zu begegnen. Insbesondere auf das Angebot innovativer Finanzdienste aus dem Nicht-Bankensektor, allen voran den daten- und algorithmenbasierten Finanzdiensten, sollte mit bankeigenen, vernetzten Unternehmensleistungen reagiert werden. Nur so gelingen der Anschluss an die neuen Marktakteure sowie ein vertrauensvoller Umgang mit einem immer größer werdenden Anteil internetaffiner und plattformverwöhnter Kunden.

Neue Qualifikationsanforderungen an Management und Personal notwendig

Neben den Konsolidierungen im Bankensektor sorgt die Digitalisierung aber auch dafür, dass die Qualifikationsanforderungen an das Personal nicht unberührt bleiben. Es werden z.B. neue Berufe, Ausbildungsgänge und Lehrstühle an Hochschulen entstehen, weil viele Entwicklungen und Auswirkungen des Internets auf die Finanzindustrie noch weitgehend unerforscht sind. Neue, vor allem interdisziplinäre Berufszweige werden entstehen (z.B. Datenanalysespezialisten oder Algorithmiker). Bei steigender Nachfrage nach modernen Data-Analysen-Methoden (Big Data) oder kognitiven Systemen (Künstliche Intelligenz) haben Quereinsteiger aus den Bereichen Statistik, Mathematik, Informatik, Physik oder Robotik gute Chancen, einen lukrativen Job zu bekommen, weil sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten branchenunabhängig anbieten und einsetzen können. Die Logik hinter der Verwendung digitaler Technologien ist in vielen Branchen nahezu identisch. Um die modernen Technologien und Datenanalysemethoden effektiv einzusetzen, braucht es folglich nicht nur eine auf Kompatibilität und Interoperabilität ausgerichtete Unternehmensarchitektur, sondern auch geschultes (Datenanalyse-)Personal sowie adäquate bzw. neu ausgerichtete Management-Kompetenzen. Während sich die Perspektiven für gering Qualifizierte in einer digitalisierten Arbeitsumgebung eher verschlechtern, wird es auch für viele höher qualifizierte Mitarbeiter sowie für Entscheidungsträger herausfordernder. Der Wandel bedeutet für sie, dass sie sich zunehmend breiter und interdisziplinärer ausbilden lassen müssen, um den komplexen Sachverhalten gerecht zu werden sowie aus den vielen Informationsflüssen zügig die richtigen Entscheidungen abzuleiten.

Die Digitalisierung kann für die traditionellen Banken zum Glücksfall werden, wenn Sie einheitlich digitalisieren/innovieren und ihre historisch gewachsenen Silos überwinden. Sollten sie sich allerdings nicht mit gesamtheitlichen Digitalisierungsstrategien und eigenen intelligent vernetzten Produktangeboten im Markt positionieren können, werden die neu in den Markt eintretenden technologiegetriebenen Nicht-Banken ihren Informationsvorsprung weiter (erfolgreich) ausbauen und mittelfristig auch außerhalb des Retailbankings mehr leicht zu standardisierende sowie automatisierende Finanzdienste anbieten. Vielen etablierten Banken droht dann das Schicksal eines reinen Infrastrukturproviders mit schwindendem Kundenkontakt.

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