Die Weltwirtschaft stand nach der Lehman-Pleite viel dichter vor einer zweiten Großen
Depression als bisher angenommen. Das zeigt eine neue Studie. Bislang war der Vergleich
zu 1929 unter vielen Ökonomen ein Tabu. Die hier besprochene Studie lautet “From Great
Depression to Great Credit Crisis: Similarities, Differences and Lessons” und
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Im Kampf gegen die systemische Krise haben Zentralbanken und Regierungen
weitreichende Notmaßnahmen ergriffen. Die Zentralbanken weiteten zur Sicherung der
Liquidität ihre Bilanzen rapide aus und die Politik stellte umfangreiche Mittel für
Garantien und zur Rekapitalisierung der Banken bereit. Die Wirkung der ergriffenen
Stützungsmaßnahmen war zunächst verhalten, spätestens seit dem zweiten Quartal 2009
aber deutlich erkennbar. Gerade die Aktienkurse von Finanztiteln haben in den letzten
Monaten erhebliche Wertzuwächse erzielt.
Man sollte sich jedoch nicht täuschen lassen: Noch immer verbleiben erhebliche
Bilanzrisiken, sowohl in Form von Altlasten bei toxischen Wertpapieren als auch infolge
der Abschreibungen und Wertberichtigungen, die aufgrund der Verschlechterung der
Kreditqualität im Zuge der realwirtschaftlichen Krise zu erwarten sind.
Die verbleibenden Risiken sind das eine, die noch immer ungelöste Frage, wie Krisen
dieses Ausmaßes verhindert werden können, das andere Problem, dem sich die
Wirtschaftspolitik stellen muss. Eine der fundamentalen Ursachen der Krise war, dass die
implizite Garantie des Steuerzahlers, den Gläubigern der Banken im Fall der Fälle zur Seite
zu stehen, extrem verzerrte Anreize zur übermäßigen Ausweitung der Bilanzsummen und
Bilanzrisiken mit sich brachte. Durch die expliziten und impliziten Stützungsmaßnahmen
im Zuge des Krisenmanagements ist diese Garantie ausgeprägter denn je: Noch nie in der
Geschichte finanzieller Unternehmungen hatten „so wenige so vielen so viel Geld zu
verdanken“ (King, 2009).
Erforderlich ist nun ein Exit, der mindestens ebenso heikel ist wie der Rückzug aus den
expansiven geld- und finanzpolitischen Maßnahmen zur Stützung der Realwirtschaft. Die
große Herausforderung besteht nämlich nicht in der an sich schon schwierigen
Rückführung der expliziten Stützungsmaßnahmen, die ohnehin Jahre in Anspruch nehmen
wird. Die wirkliche Herausforderung besteht im
Rückzug aus der impliziten
Absicherung privater Risiken durch die Allgemeinheit. Die Parallelen zur Finanzpolitik
sind offensichtlich. Wie bei der Finanzpolitik muss zunächst mit Bedacht vorgegangen
werden, da die erforderlichen Maßnahmen mit höheren Eigenkapitalanforderungen und
deshalb mit einem geringeren Kreditvergabepotenzial einhergehen werden. Eine zu rasche
Verschärfung der Regulierung könnte deshalb den noch fragilen Aufschwung gefährden.
Wie bei der Finanzpolitik muss nach Festigung der Realwirtschaft umso resoluter
vorgegangen werden, da nicht nur eine Rückkehr zum Status quo ante, sondern die
Durchsetzung einer grundsätzlich reformierten Finanzmarktordnung das Ziel sein muss.
Wie bei der Finanzpolitik werden die Widerstände der Partikularinteressen erheblich und
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar besser organisiert sein. Auch vor
diesem Hintergrund sollten die hohen Wertzuwächse bei Finanztiteln zu denken geben.
Die Erwartung, dass die von der internationalen Gemeinschaft vorangetriebenen
Reformen, deren Stoßrichtung zu begrüßen ist, tatsächlich zu höheren Kapitalpuffern und
damit geringeren Ertragspotenzialen führen, ist augenscheinlich wenig ausgeprägt.