Die deutsche Reaktion auf die Beinahe-Kernschmelze des Systems war schnell und
entschlossen. Im Oktober 2008 verabschiedete der Bundestag in Rekordzeit das
Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG). Im Zusammenspiel mit den Notprogrammen
anderer Regierungen und der Ausweitung der Liquiditätsbereitstellung durch die
Zentralbanken gelang es, den Zusammenbruch weiterer großer Institute zu verhindern und
einem weitgehenden Erliegen der Kernfunktionen des Finanzsystems vorzubeugen.
Der mit dem FMStG ins Leben gerufene Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin),
der mit einem Verfügungsrahmen von 480 Mrd Euro ausgestattet wurde, hat bislang rund
128 Mrd Euro in Form von Garantien, 22 Mrd Euro in Form von Eigenkapitalhilfen und 6
Mrd Euro in Form von Risikoübernahmen gewährt.
Durch die Stützungsmaßnahmen gelang es, weitere Ansteckungseffekte zu verhindern
und so auch die Banken, Versicherungen und Finanzintermediäre abzusichern, die nicht
unter den Schutzschirm des Staates fielen. Dies ist vor dem Hintergrund einer in der
Geschichte beispiellosen Krise und des erheblichen Zeitdrucks, unter dem sich die
Akteure befanden, ein nicht zu vernachlässigender Erfolg. Allerdings haben die bei den
Rettungen zu Tage getretenen Probleme erhebliche Defizite im gesetzlichen und
institutionellen Rahmen für das Management von Finanzkrisen offengelegt. Besonders
offensichtlich waren die bestehenden Regelungslücken im Fall der Hypo Real Estate (HRE).
Mangels eines adäquaten Restrukturierungsregimes, das die Abwicklung von
Finanzinstituten bei gleichzeitiger Minimierung systemischer Ansteckungseffekte
ermöglicht hätte, wurde im April dieses Jahres als Ultima Ratio die sogenannte
Lex HRE
implementiert, mit der die vollkommene Verstaatlichung der Bank ermöglicht wurde.
Die Kosten, die dem Steuerzahler durch diese Mängel beim Krisenmanagement entstanden
sind, könnten beträchtlich sein. In Bruttogrößen, also ohne Berücksichtigung der von
staatlicher Seite im Gegenzug zu den Rettungsmaßnahmen zu buchenden Aktiva, ist der
Schuldenstand des Staates infolge der Rettungsmaßnahmen allein im Jahr 2008 um 53,5
Mrd Euro gestiegen. Dem stehen buchungstechnisch Aktiva mit einem Nominalwert in
Höhe von 50,2 Mrd Euro entgegen. Der tatsächliche Wert der entsprechenden Wertpapiere
dürfte niedriger sein. Eine definitive Aussage ist allerdings nicht möglich, da keine
Transparenz über das unfreiwillig erworbene Wertpapierportfolio besteht.
In einer Pressekonferenz am 5.10.2008 sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer
monotonen Stimme die vielleicht dramatischsten Sätze ihrer bisherigen Amtszeit: "Wir
sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die
Bundesregierung ein." Hier dazu ein Video-Bericht von n24.
Ergänzt wurde diese von Peer Steinbrück, der u.a. sagte: “Ich möchte gerne unterstreichen,
dass wir in der Tat in der gemeinsamen Verantwortung, die wir in der Bundesregierung
fühlen, dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht
befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren. Dies ist ein wichtiges Signal,
damit es zu einer Beruhigung kommt und nicht zu Reaktionen, die unverhältnismäßig
wären und die uns die derzeitige Krisenbewältigung beziehungsweise Krisenprävention
noch schwieriger machen würden.”
Wie dicht deutsche Banken vor dem Kollaps bzw. einem Run gestanden haben sollen,
sollen jetzt Informationen der Bundesbank offenbaren. Sie hat in ihrem letzten
Monatsbericht im hinteren Abschnitt des Aufsatzteil
(ab S. 56) ziemlich nüchtern über die
dramatischen Tage im September und Oktober berichtet. Hier die grafische Darstellung
des der Ein- und Auszahlungssalden im Vergleich zum Vorjahr:
Ob deutsche Institute damals tatsächlich vor einem Bankrun (
hier steht wie eine
Bankenkrise mit Bankrun verlaufen könnte)
standen, lässt sich nach meiner Auffassung
aus diesen Daten nicht ableiten. Dennoch, offensichtlich hatte ein Teil der Bürger
Befürchtungen, es können zu einem run kommen und deckte sich vorsorglich mit Bargeld
ein. Kritiker haben damals der Regierung vorgeworfen, die Garantie hätte die Furcht vor
einer Bankenpleite erst geschürt.
Das Medienecho auf diese Veröffentlichung war in diesen Tagen übrigens vergleichsweise
verhalten. Die Sucht nach düstern Schlagzeilen ist vielen Medien offenbar vergangen.
Immerhin, ein paar folkloristisch angehauchte Berichte gab es doch. So berichtete die
Welt darüber,
wie Deutschlands Sparer heimlich die Bankautomaten plünderten
und die
Süddeutsche wie seit dem
Ausbruch der Finanzkrise Bundesbürger Bargeld bunkerten
.
Die lesenswerteste Darstellung zu diesem Tagen war am 28. Juni in der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagzeitung unter dem Titel: “Wir waren sehr nah am Abgrund” zu lesen.
Der Artikel ist nur kostenpflichtig erhältlich über das Archiv der FAZ.
Ob dieses Szenario tatsächlich realistisch war, ist schwer nachzuprüfen. Zum Nennwert
muss man diese Aussage nicht nehmen. Psychologisch wirkte die Angstmache
jedenfalls, denn in Rekordzeit wurde die HRE gerettet und das
Finanzmarktstabilisierungsgesetz durch die parlamentarischen Instanzen geprügelt. In
jedem Fall sprechen die drohenden Worte der Bankvorstände dafür, Einzelinstitute
niemals mehr so bedeutend werden zu lassen, dass solche Drohungen gegen eine
Regierung ausgesprochen werden können.
HB: Wie der Bund bei Bankenhilfen Geld verdient (14.04.09):
Der Bund stützt die
Finanzinstitute mit Zigmilliarden. Doch nur ein geringer Teil des Geldes ist verloren. Im
Gegenteil, bislang sind die über den Bankenrettungsfonds vergebenen Garantien und
Kapitalspritzen ein lukratives Geschäft: Zinsen und Provisionen sorgen in diesem Jahr für
einen Gewinn.
Im August 2009 veröffentlichte die FTD einen Bericht über die Überlegungen im der
Regierungen zusammen mit Bankenvertretern unter der Überschrift:
Die deutsche Lehman-Lüge:
Der Fall der Lehman-Bank hat Kapital und Vertrauen
vernichtet. Sagen deutsche Politiker und Bankchefs. Das ist die Unwahrheit - und sie
wissen es. Die Pleite am 15. September 2008 war nicht der Auslöser der Entwicklung. Die
Finanzhäuser hierzulande gerieten schon Jahre zuvor in Schieflage.