Um die Frage aus Überschrift zu beantworten: Ja! die Finanzkrise könnte weitere Ruinen hinterlassen. Ein Worst Case dabei wäre, wenn die Krise auf die Staaten selbst und die Zentralbanken überspringt. Auszuschließen ist das nicht. Vorher steckt sie jedoch die Realwirtschaft an bzw. hat es bereits getan.
Regierung und Zentralbanken können nicht unbegrenzt Risiken übernehmen
Ich fange trotzdem mal mit dem schlimmsten Szenario an. Ein Merkmal einer fortgeschrittenen Finanzkrise liegt vor, wenn die Schlüsselinstitutionen des Finanzsystems ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Es könnte dann zu einer so genannten Bankenpanik kommen.
Von einer Bankenpanik oder bank run spricht man, wenn Einleger aufgrund einer befürchteten oder wirklich bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit ihrer Bank, ihre Guthaben abziehen. Banken sind besonders anfällig für runs, da ein Großteil der Liquidität auf ihren Konten auf Anfrage zurückzuzahlen ist, wohingegen ihre Vermögenspositionen vergleichsweise illiquide sind.
Dieser Fall ist bisher in Deutschland in dieser Finanzkrise nicht eingetreten, wohl aber im vergangenen Jahr in England. Ob Deutschland schon kurz vor dem ersten run stand, ist nicht klar. Die Bundesregierung jedenfalls hat zunächst mit öffentlichen Äußerungen und später mit ihrem Finanzmarktstabilisierungsgesetz für Vertrauen in die Bankeinlagen gesorgt.
Aber das Vertrauen in die Zentralbanken hängt u.a. maßgeblich von ihren Währungsreserven ab. Wenn Staat und Zentralbanken durch die Krise immer mehr Reserven verlieren, dann werden sie irgendwann nicht mehr als „lender of last resort“ auftreten können und selbst Probleme bekommen. Island könnte dafür ein Beispiel sein.
Über Ansteckungseffekte breitet sich die Krise eines Landes auf weitere Länder aus. Wenn eine Regierung nicht weiter als lender of last resort agieren kann, wird die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Regierung eines anderen Landes heimische Einlagen ebenfalls nicht mehr sichert, als höher eingeschätzt und es kann in in anderen Ländern zu einer „Zwillingskrise“ kommen.
Risiko des Moral Hazard bei Geschäftsbanken
Die Rettungspakete sorgen im Prinzip dafür, dass der Staat für die Verbindlichkeiten der Banken bürgt. Damit wird aber grundsätzlich der Anreiz bei den Banken geschaffen, sich absichtlich riskant zu Verhalten, weil sie im Zweifel vom Staat aufgefangen werden. Dadurch wird der Staat jedoch immer mehr Reserven verlieren und kann irgendwann nicht mehr als lender of last resort auftreten.
Die Regierung versucht diesem moralischen Risiko entgegenzusteuern, in dem sie sich umfangreiche Kontrollrechte sichert. Ob sie diese im notwendigen Umfang allerdings ausüben kann, ist zu bezweifeln, weil die Informationskosten hier prohibitiv hoch sind.
Virus der Finanzkrise ist hoch ansteckend
Was wir in der aktuellen Krise gut beobachten können sind so genannte Ansteckungsmechanismen. Sie sind bereits bei der Betrachtung der Finanzkrisen der 1990’er Jahre aufgefallen, die sie sich nicht auf ein einzelnes Land beschränkten, sondern sich schnell auf andere Länder ausbreiteten. Zu solchen Übertragungseffekten kommt es durch starke Verflechtungen zwischen den einzelnen Finanzmarktbereichen.
Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich jede Art von Finanzkrisen auf jeden beliebigen Bereich des Finanzsektors übertragen kann (siehe Literaturhinweis 1). So kann z.B. eine Bankenkrise eine Krise bei der Zentralbank, auf dem Devisenmarkt oder auch auf sonstigen Finanzmärkten auslösen. Damit ist also die gern zu Beruhigung verwendete Aussage, die Finanzkrise beträfe nur die Finanzmärkte, als falsch entlarvt. Aktuell können wir auch in der Praxis gut sehen, wie das Virus in immer weitere Kreise der Wirtschaft dringt.
Aktueller Brandherd Kreditkartenforderungen
Am Donnerstag habe ich hier in einem Beitrag bereits über weitere mögliche Brandherde geschrieben. In der öffentlichen Diskussion wird dies auch als zweite Welle bezeichnet. Beispielhaft werden dazu Ausfälle „fauler“ Kreditkartenforderungen genannt. Nach dem Muster der Immobilienkredite wurden auch hier Forderungen aus Kreditkarten und Verbraucherdarlehen in speziellen Wertpapieren gebündelt und in verschiedenen Tranchen weiterverkauft.
Ob Kreditkartenforderungen wirklich in einem hohen Umfang ausfallen und sich ein weiteres Desaster anbahnen könnte, ist derzeit überhaupt nicht klar. Aber in Finanzkrisen reicht bereits die Angst, dass sie ausfallen könnten, um bei den Papieren, in denen die Forderungen gebündelt sind, zu einem starken Wertverlust zu führen.
Angesteckte Realwirtschaft
Allgemein klar dürfte bereits jetzt sein, dass die Finanzkrise die Realwirtschaft angesteckt hat. Allenfalls über den Umfang der Krankheit kann noch spekuliert werden. Angesteckt wurde die Realwirtschaft über mindestens zwei Inkubationswege.
Der eine Weg ist der so genannte credit crunch, also die Zurückhaltung der Banken bei der Vergabe von Krediten an Unternehmen der Privatwirtschaft. Der credit crunch entfaltet unmittelbar seine Wirkung, wenn Unternehmen mangels Kredit Investitionen verschieben oder ganz ganz unterlassen. Daneben erhöhen die gefallenen Aktienkurse die Kosten für neues Eigenkapital, das auch für Investitionen notwendig ist.
Ein weiterer Infektionskanal ist die psychologische Wirkung, die wiederum über verschiedene Wege wirken kann. Hier seien zwei Anteckungskanäle knapp skizziert:
- Auf die Konsumnachfrage wirken so nachhaltige Kursstürze wie wir sie zurzeit erleben, indem sie das Vermögen der privaten Haushalte verringern und die Unsicherheit bei der Erwartungsbildung erhöhen, weil der Aktienmarkt als ein Indikator für die künftige wirtschaftliche Entwicklung gilt. Im Klartext: Aufgrund der Unsicherheiten und der tatsächlichen Vermögensreduzierung verringert sich das Ausgabeverhalten der privaten Haushalte bei gleichzeitig erhöhter Sparneigung.
- Auf Produktion und Investitionen wirkt die Finanzkrise, weil die Erwartungsbildung für die Rentabilität von Investitonen negativ beeinflusst wird durch die niedriger als bisher erwarteten Zahlungsüberschüsse und einem deutlich gestiegenen Risiko, das entsprechend zu diskontieren ist.
Fazit
Die Chancen auf Ruinen weiterer Wirtschaftssektoren, die der Finanzkrisenvirus ansteckt, sind hoch. Unklar ist dabei aber, wie hoch der Anteil direkter Wirkung ist und welcher Anteil eher psychologisch verursacht ist. Im Prinzip spielt diese Frage aber für die Wirtschaftspraxis keine Rolle. Sie muss ihr Augenmerk jetzt auf die Frage richten, wie sie wieder gesund werden kann.
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Literatur
- Finanzkrisen – Eine portfoliotheoretische Betrachtung von Herdenverhalten und Ansteckungseffekten als Ursachen von Finanzkrisen, von Christian Hott, Juni 2002
- Stefan Prigge, Zentralbank, Aktienkurssturz und Systemkrise, Hamburg 1997
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