3.1.4 Durchführung von Stresstests
Als Katalysator eines solchen entschiedenen Umgangs mit notleidenden  Instituten  können umfassende Stress-Tests dienen. In einem ersten  Schritt müssen hierbei die  erwarteten Verluste aus Altlasten in den  Bilanzen ermittelt und in einer simulierten  Gewinn- und Verlustrechnung  realisiert werden. In einem zweiten Schritt wird dann  überprüft, welche  Eigenkapitalbelastungen durch die Verschlechterung der Kreditqualität  im  Zuge der realwirtschaftlichen Krise zu erwarten sind. Entscheidende  Stellschrauben bei  der Ermittlung der Eigenkapitalausstattung sind somit  die Annahmen bezüglich der  Werthaltigkeit verbleibender toxischer  Vermögensbestände, der Nachhaltigkeit der  konjunkturellen Entwicklung  sowie der Auswirkungen einer realwirtschaftlichen  Abschwächung auf die  Kreditqualität. Letztere wird üblicherweise auf Basis des in der  Vergangenheit beobachteten Zusammenhangs zwischen  Konjunkturentwicklung, internen  und externen Ratings als Maß für die  Kreditausfallwahrscheinlichkeiten und Eigenkapital  ermittelt. Um der  Funktion des Eigenkapitals als Puffer Rechnung zu tragen, sind in allen  drei Bereichen möglichst konservative Annahmen zu treffen.
Als Mittel zur Quantifizierung des Eigenkapitalbedarfs gehören Stress- Tests schon seit  einigen Jahren zum Standard-Instrumentarium von  Banken und Aufsichtsbehörden. Auch  in der aktuellen Krise wurden sie  intensiv zur Ermittlung von Risiken eingesetzt. Die  bisherige  Herangehensweise weist jedoch zwei erhebliche Schwächen auf:
  • Stress-Tests wurden lediglich als  Kontrollinstrument eingesetzt.  Vor der  Durchführung der Überprüfung muss jedoch eine klare  Grenze vorgegeben werden,  etwa für die Kernkapitalquote.  Unterschreitet eine Bank diese Grenze, muss ein Zwang  zu einer  Gesundung ausgeübt werden, damit diese mit einer ausreichenden  Eigenkapitalbasis der Realwirtschaft wieder Kredite zur Verfügung  stellen kann. Ein  Institut, das im Stress-Test ein zu geringes  Eigenkapitalpolster aufweist, muss  angewiesen werden, in einer  kurzen Frist von privater Seite frisches Kapital  aufzunehmen oder die  Auslagerungs- und Rekapitalisierungsmodelle des SoFFin zu  nutzen.
  • Annahmen und Ergebnisse der Tests wurden  nicht transparent  gemacht.  Transparenz ist jedoch von entscheidender Bedeutung, da  nur eine Veröffentlichung  Erwartungssicherheit bezüglich der  Situation einzelner Institute mit sich bringt und  die Selbstbindung der  Behörden ermöglicht
Die wesentliche Funktion von Stress-Tests ist es, bestehende  Eigenkapitallücken zu  identifizieren und zu korrigieren. Die Korrektur von  Defiziten kann hierbei auf zweierlei  Weise erfolgen: Mittels einer  Rekapitalisierung durch private Akteure oder die öffentliche  Hand sowie  durch die Restrukturierung oder Abwicklung eines Instituts ohne  tragfähiges  Geschäftsmodell. Zur Ermittlung der Tragfähigkeit müssen  zusätzliche Aspekte  unabhängig von Stress-Tests in Erwägung gezogen  werden. Stellt sich hierbei heraus,  dass ein Kreditinstitut keine  ausreichende Zukunftsperspektive hat, muss auf eine  Restrukturierung  oder Abwicklung gedrungen werden. Auch dies zählt zu den  Aufräumarbeiten im Nachgang zur aktuellen Finanzkrise. Da in  Deutschland kein  adäquater Rahmen für solche Abwicklungsaktionen  vorliegt, muss dieser für den Fall der  Fälle zeitnah geschaffen werden  (Ziffern 217 ff.)
USA-Stresstest
Die konsequente Durchführung von Stress-Tests hat entscheidend dazu  beigetragen, das  Vertrauen in die US-amerikanischen Finanzinstitute zu  erhöhen. Die vier US- amerikanischen Aufsichtsbehörden hatten im  Frühjahr 2009 gemeinsam eine  außerordentliche Prüfung der 19  wichtigsten Institute, das Supervisory Capital  Assessment Program  (SCAP), angekündigt. Das SCAP sollte von strengeren Annahmen  ausgehen als normale Solvenztests. Außerordentlich war aber die  Ankündigung, dass die  Resultate für jedes Institut publik gemacht  würden. Dies wurde mit einem Zeitplan  verbunden, der festlegte, bis  wann Institute mit Defiziten diese zu beheben hätten. Im  Juni 2009  wurden schließlich die Resultate der Tests veröffentlicht. Zwei Institute  wurden  angewiesen, die festgestellten Kapitallücken zu schließen, was  diesen auch unmittelbar  über private Kapitalzufuhr gelang. Die US- amerikanischen Stress-Tests blieben nicht  unumstritten, insbesondere  die betroffenen Finanzunternehmen übten zum Teil laute  Kritik an den  Vorgaben und am Vorgehen. Im Nachhinein hat sich das SCAP jedoch als  klarer Erfolg im Vertrauensbildungsprozess erwiesen.
11.5.09
Ernste Zweifel an der Aussagekraft der Stresstest-Ergebnisse meldet das  Wall Street  Journal  an. „Nach zwei Wochen intensiven Verhandelns  rechnete die US- Notenbank  (Fed)  offenbar  den Kapitalbedarf deutlich  zurück. Außerdem legte sie bei der  Beurteilung  andere Maßstäbe  zugrunde als Analysten oder Investoren erwartet hatten“,  schreibt das  Blatt. Als die Fed die  Banken vor einem Monat mit ihren Testergebnissen  konfrontiert  habe, hätten viele wütend auf  die „übertrieben hoch  eingeschätzten  Kapitallücken“  reagiert. So habe die Fed der Bank of  America ursprünglich 50 Milliarden  Dollar  Kapitalbedarf attestiert, nun  seien es noch 33,9  Milliarden Dollar. Auch bei der  Citigroup  habe die  Fed erheblich nachgegeben, statt 35  stünden nur 5,5 Milliarden  Dollar  auf dem  Papier. Und Wells Fargo habe sich über 13,7 statt  17,3 Milliarden  Dollar  freuen dürfen.  Insider gingen davon aus, dass die Regierung die  positive Entwicklung  mancher  Unternehmen im ersten Quartal oder die  positive Wirkung anstehender  Geschäfte  berücksichtigte. „Dieses Vor  und Zurück ist symptomatisch für die Art, wie  die  Behörden   Bankenprüfungen angehen: Sie präsentieren die Ergebnisse immer zuerst  den  Banken  selbst und geben ihnen Zeit, zu reagieren. Logisch, dass  dieser Prozess  zur  Änderung  der ursprünglichen Ergebnisse führt.“
„Die Banken haben die Stresstests verwässert“, schimpft Barry Ritholtz,  CEO der  amerikanischen Rating-Plattform Fusion IQ, in seinem Blog. „Die  Tests waren nicht sehr  stressig und basierten auf Maßstäben, die  generös gefasst waren. Verrückt,  ausgerechnet  mit  den Finanzinstituten  großzügig umzugehen, die auf rücksichtslose  Weise das ganze  Chaos  auf den Finanzmärkten angerichtet haben.“ Da stelle sich die  Frage, ob  es sich  hier nicht um  Betrug oder Manipulation handele: „So ging der  Stresstest z. B. vom so  genannten Kernkapital  aus. Es ist zu vermuten,  dass das auch  auf Anregung der Banken  geschah – statt das um  immaterielle Vermögenswerte  reduzierte Stammkapital zugrunde  zu  legen. Hätte man dieses  als Maßstab angesetzt,  wären wohl weitere 68  Milliarden  Dollar an Kapitalbedarf  hinzugekommen.“ Die  Stresstests  würden sich als einzig großer  Witz offenbaren, „und dem  Steuerzahler  bleibt nur noch ein bitteres Lächeln.“
Anzeichen für den laschen Umgang der Regierung mit den Stresstests hat  es nach  Meinung  der Huffington Post bereits bei der Präsentation der  Ergebnisse gegeben: „Fed-  Chef Ben  Bernanke erklärte, dass rund 150  Prüfer die Banken unter die Lupe  genommen  hätten. Das  macht bei 19  Finanzinstituten rund sieben pro Bank. Wenn eine  Handelsbank  eine weit  weniger bedeutsame Routineprüfung ansetzt, sind Dutzende von  Prüfern  anwesend.“ Die  Stresstests seien nur eine Modellübung gewesen für die  Anwendung der  aus den Banken kommenden Einschätzungen und  Prognosen. „Warum  hat die Fed sich  dazu hinreißen  lassen? Sie hofft  offenbar, die Banken für ein paar  weitere Monate über  Wasser zu halten  und  das Privatkapital wieder an den Tisch locken  zu können, oder dass  die Erholung in anderen  Bereichen der Wirtschaft die Banken mit  sich  zieht.“ Doch die  Wahrscheinlichkeit, dass die  geschwächten Banken  weiter die  Wirtschaft mit sich  hinunterziehen, sei viel größer. Dies legten  aktuelle Indikatoren aus  Wirtschaft und  Arbeitsmarkt nahe. „Wir müssen  damit  rechnen, dass sich US-Präsident  Barack Obama  im Herbst erneut  vom Congress Geld  erbitten muss.“ Ursache für diese  „perverse Allianz  der Regierung mit der Wall Street“ sei wohl  eins: Das Wall-Street-  orientierte  Wirtschaftsteam, das Obama angeheuert habe.
Die Financial Times beleuchtet einen anderen Randaspekt der Stresstests:  Die Gefahr  neuer  Bankenfusionen. „Banken wie JP Morgan, die den Test  mit Bravour bestanden  haben, werden  sich die Chance, Konkurrenten  zum guten Preis zu übernehmen, nicht  entgehen lassen. Doch  ist jetzt  wirklich die Zeit, derartige Risiken einzugehen?“ Der  Erfolg von  Bankenfusionen der  jüngsten Zeit wecke nicht gerade Vertrauen: Die  Bank of  Amerika sei durch die Übernahme  von Merrill Lynch  destabilisiert worden, in  Großbritannien seien die Anteilseigener noch  heute  über den Untergang der Lloyds-  Bilanzen wütend, als diese mit  HBOS zusammenging.  „Weitere Fusionen werden  weitere  Großbanken zur  Folge haben, die schwierig zu managen  sind und Risiko konzentrieren.“  Und wie solle in der aktuellen Lage eine noch kleinere Anzahl von  Finanzinstituten mit  den steigenden Hypotheken- und Kreditkartenlasten  fertig werden?  „Am Ende springt  dann wieder die Regierung ein, wenn  eine Bank zu groß ist, um zu  scheitern, und das  setzt den Teufelskreis  aus Boom und Pleite erneut in Gang.“
9.5.09
TP: Der Stresstest für die US-Banken (5.3.09):  Prüft der Stresstest in den  USA wirklich,  ob  die Banken auch in einer tiefen und langen Rezession  überlebensfähig wären?
7.5.09
Europa
Ein Beispiel für Schwächen bei der Durchführung von Stress-Tests sind die  im Sommer  2009 auf EU-Ebene durch das Committee of European Banking  Supervisors (CEBS)  durchgeführten Tests, deren Resultate nur aggregiert, das  heißt nicht institutsbezogen,  veröffentlicht wurden. Zudem wurden lediglich  22 europäische Banken in die Stichprobe  einbezogen. Besser wäre es  gewesen, alle systemisch relevanten Institute zu überprüfen  und von  vornherein klarzustellen, welche Konsequenzen eine Unterkapitalisierung  nach  sich ziehen würde. Solche Stress-Tests hatte der Sachverständigenrat  zusammen mit  Mitgliedern des Conseil d’analyse économique gefordert  (Presseerklärung vom 1. Juni  2009). Ein weiteres Beispiel stellen die in den  Vereinigten Staaten durchgeführten Stress- Tests dar, die − im Gegensatz zu  den europäischen − die beiden Prinzipien verfolgten und  damit deutlich  bessere Ergebnisse erzielten.