Warum werden Merckle und Klatten in der persönlichen Krise verspottet?

by Dirk Elsner on 8. Dezember 2008

Ein Artikel in der vergangenen Woche hat mich nachdenklich gemacht. Adolph Merckle ist in aller Munde und wird mit Spott und Häme überschüttet, weil er sich über eine seiner Firmen mit VW-Aktien verspekuliert haben soll.

Warum aber ist das halbe Land schadenfroh über die Fehlgeschäfte des als fromm und solide bezeichneten Unternehmers? Warum freuen sich so viele, dass dieser Milliardär, der eine große Unternehmensgruppe mit hohem Einsatz und Risiko aufgebaut hat, daneben gelangt hat und nun um sein Lebenswerk bangt?

Ein anderes Beispiel für Schadenfreude ist der Fall Susanne Klatten, die als Milliardenerbin Opfer von Betrug und Erpressung durch einen Gigolo wurde. Auch hier war der Spott zwischen den Zeilen deutlich zu spüren.

Der Spott, der hier verbreitet wird, kann auch als Schadenfreude angesehen werden. Im letzten Jahr konnten man dazu in der Zeit lesen: „Es ist die Lust an fremdem Unglück – und viel mehr als nur eine kleine, gerade noch akzeptierte Bösartigkeit. Schadenfreude ist die kleine Schwester der Niedertracht, sie ist verwandt mit dem Neid und wird gespeist von dem Minderwertigkeitsgefühl. Sie ist evolutionär betrachtet überlebensnotwendig, weil sie das Gruppenrudel vor Einzelschmarotzern schützt, sagen einige Experten. Und sie ist ein gut funktionierender Sich- Vergewisserungs-Kitt in einer sozialen Gemeinschaft. »Seht her, der macht es falsch.« Heißt übersetzt: »Seht her, wir machen es also richtig.« Wer im Bus brav eine Fahrkarte gelöst hat, genießt die Genugtuung, wenn jemand vom Kontrolleur erwischt wird, der es nicht nötig hatte, für die Fahrt wie alle anderen zu zahlen. Mangels Befugnis hätte man ihn nicht selbst bestrafen dürfen, somit wird es als ausgleichende Gerechtigkeit empfunden, dass jemand anders es erledigt.

Schadenfreude setzt einiges voraus. »Das belachte Objekt muss Überlegenheit ausstrahlen, sonst wäre es Häme«, sagt die Psychologin Brigitte Boothe von der Universität Zürich. »Und der Schaden muss von begrenztem Ausmaß sein. Schadenfreude entsteht immer dann, wenn einem Beneidenswerten scheinbar unerwartetes Unglück widerfährt. »Schadenfreude ist in der psychoanalytischen Theorie neben der Vorfreude das einzige Gefühl, das unmittelbare Entspannung gibt«, sagt Boothe. »Das funktioniert ohne jeden weiteren Energieaufwand. Manchmal reicht es, nur ein Interview zu lesen, in dem etwas steht, über das man sich erheben kann. Das ist dann wie ein Geschenk des Schicksals, und deswegen mögen sich so wenige Menschen von der Schadenfreude lösen.«

Schadenfreude ist ein gesellschaftlicher Gleichmacher. Mit ihrer Hilfe können sich auch sozial Schwächere wenigstens für einen Augenblick auf einem Niveau mit den vermeintlich Besseren, Stärkeren, Schöneren fühlen.“

Bei Schadenfreude ist das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert, hat der Ökonom Urs Fischbacher von der Uni Zürich herausgefunden. Indem Menschen bestrafen, belohnen sie sich selbst. Das Belohnungszentrum ist auch dann aktiv, wenn man nicht selbst strafen kann, sondern wenn Leute bestraft werden, die den Probanden zuvor unfair behandelt werden. Schadenfreude ist ein Ventil für den menschlichen Gerechtigkeitssinn. Es stellt sich beispielsweise dann ein, wenn man einem Dieb von Herzen gönnt, dass er mit seinem unfairen Verhalten nicht durchkommt.

Nach Untersuchungen neigen Männer eher zur Schadenfreude als Frauen. Dafür hat Tania Singer eine Erklärung, die durchaus Sinn machen würde.  Was wir sehen konnten ist, dass es vielleicht Evidenz ist, dass Schadenfreude – zu sehen, dass jemand auch bestraft wird, der vorher ungerecht gehandelt hat – vielleicht auf eine generelle Rolle von Männern in der Gesellschaft hinweisen, nämlich Normen zu verstärken, gesellschaftliche Normen zu hüten. Das kann halt sein, dass das vor allem eine männliche Domäne ist, wenn es um physische, körperliche Bestrafung geht.

Aber gerade vor dem Hintergrund dieser Erklärungen ist es unverständlich, dass über Merckle und Klatten gespottet wird.

Literatur und Meldungen Zum Thema dieses Beitrag

3Sat: Schadenfreude aktiviert Belohnungszentrum im Gehirn

dradio: Schadenfreude in grauen Zellen

Welt: Warum Zocker Merckle zu Unrecht verspottet wird

Zeit: Schadenfreude Ätsch!


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