Beunruhigt hat mich am Donnerstag Abend ein Artikel in der NZZ über eine Neuauflage des Milgram-Experiments. Unter der Überschrift “Wie gehorsam sind die Menschen von heute?” schreibt Ralph Erich Schmidt über das Update des unheimlichen Experiments. Zu Beginn der sechziger Jahre fanden sich in seiner Urform rund zwei Drittel der Teilnehmer bereit, auf Geheiß einer Autoritätsperson, einen Menschen mit starken Elektroschocks zu bestrafen. Eine Neuauflage des Versuchs hat nun ergeben, dass die Gehorsamsbereitschaft seither kaum abgenommen hat.
Das Milgram-Experiment ist ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psychologisches Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen, ist in der Wikipedia zu lesen. Das Experiment sollte ursprünglich dazu dienen, Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus sozialpsychologisch zu erklären.
Angeregt wurde Milgram durch den Psychologen Jerome D. Frank, der bereits 1944 der Frage nachging, wovon die Gehorsamsbereitschaft willkürlich ausgewählter Personen abhängt. Frank verlangte damals von seinen Probanden den Verzehr von zwölf geschmacklosen Keksen. Der Gruppe wurde gesagt, dass der Verzehr salzloser Kekse wissenschaftlich notwendig sei. Überraschend weigerten sich nur zehn Prozent der Teilnehmer, die Kekse herunterzuwürgen.
Schmidt schreibt:
“Aus ethischen Gründen wurde das Experiment während langer Zeit nicht mehr durchgeführt. Manche Fachleute mutmaßten aber, die Menschen seien heute – etwa im Gefolge der antiautoritären 68er Bewegung – hellhöriger für die Gefahren blinden Gehorsams und würden sich daher eher widersetzen. Doch eine ethisch vertretbare Neuauflage des Experiments hat diese Vermutung nun widerlegt.”
Nun ist es doch zur Neuauflage an der Santa Clara University in Kalifornien gekommen. Jerry Burger “experimentierte” hier mit insgesamt 29 Männer und 41 Frauen. Die Details sind in dem Artikel nachzulesen. Zum Fazit schreibt Schmidt:
“In der nun durchgeführten Neuauflage des Experiments zeigten sich 70 Prozent der Teilnehmer gewillt, über das Strafmass von 150 Volt hinauszugehen. Da bei Milgram 79 Prozent derjenigen, die bei 150 Volt weitermachten, schliesslich auch den 450-Volt-Schalter gedrückt hatten, lässt sich hochrechnen, dass die Gehorsamsrate für den letzten Schalter heute nur unwesentlich unter derjenigen der sechziger Jahre liegen dürfte. Im Übrigen hing die Gehorsamsbereitschaft wie bei Milgram weder mit dem Alter noch dem Geschlecht oder Bildungsniveau der Teilnehmer zusammen. Indes ergab sich ein bedeutsamer Zusammenhang mit dem Empathievermögen, das mittels eines Fragebogens eingeschätzt wurde: Besonders einfühlsame Menschen verweigerten zwar nicht häufiger den Gehorsam, wandten sich aber früher als andere mit kritischen Rückfragen an den Versuchsleiter.”
Ich bin zwar kein Psychologe und kann daher die Methodik nicht einschätzen. Erschreckend klingt es aber allemal, weil unkritischer Gehorsam immer noch zu funktionieren scheint.
Was vielleicht im weitesten Sinne dazu passt: ein Artikel in der WirtschaftsWoche
vor einem Jahr:
Bankberater packen aus: Ich habe Sie betrogen
http://www.wiwo.de/unternehmer-maerkte/bankberater-packen-aus-ich-habe-sie-betrogen-264071/
Unbedingt empfehlenswert sind auch die unueblich vielen Leserbriefe. Sehr viele
stammen von Bankangestellten, gar nicht so wenige, die davon erzaehlen wie sie
unter Druck gesetzt werden.
Eigentlich waere dieser Artikel eine sichere Sache fuer einen Buchverlag, der diesen
Artikel samt Leserbriefen zwischen zwei Buchdeckel presst.
(Obiger Artikel ist m.E. „spot on“.)
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