Über Bernard L Madoff gibt es in diesen Tagen genug zu lesen. Nach seinem Geständnis am vergangenen Donnerstag haben jetzt die Anwälte das Wort. Wer sich z.B. dafür interessiert, wie sich das “Restvermögen” des Milliardenbetrüger noch zusammensetzt, der kann seine voyeuristischen Neigungen z.B. in der New York Times über diesen Artikel oder im Handelsblatt hier befriedigen.
Interessanter dagegen finde ich die Erklärungsansätze von Hendrik Schneider, Professor für Strafrecht und Kriminologie, in einem Interview der FAS (nur Printausgabe). Er analysierte das Geständnis und versucht das Verhalten von Madoff in den letzten Jahren verständlich zu machen. Nach der These von Prof. Schneider konnte Madoff den andauernden Betrug nur so lange vor sich selbst rechtfertigen, weil er sich ein nicht-delinquentes Selbstbild aufbaute, sich also einredete, er sei selbst nicht schuldig. Dies könne z. B. in der Weise erfolgen, in dem er sich eingeredet hat, er schädige ja nur eine Versicherung oder einen Milliardär. Weiter sagte Schneider wörtlich: “Solche Abwehrreaktionen” dienen dazu, dass Scham und Schuldgefühle gar nicht erst aufkommen. Wir sprechen dabei von einer kognitiven Impfung.”
Prof. Dr. Schneider beschäftigt sich seit längerem mit den kriminologischen Ursachen von Wirtschaftskriminalität. In einem interessanten Aufsatz sucht er nach Erklärungen für “Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit”. Einige Inhalte daraus werden auf den Anwalt-Seiten vorgestellt. So ist dort zu erfahren, dass es gegenwärtig noch keinen kriminologischen Ansatz gibt, der die Entstehungsbedingungen von Wirtschaftsstraftaten adäquat und vollständig erklären könnte. Ich zitiere mal weiter in Ausschnitten aus dem kompliziert geschriebenen Text:
“ Dabei besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Tätern von Wirtschaftsdelikten und denen der so genannte Elends- oder Straßenkriminalität. Empirische Untersuchungen. haben nämlich gezeigt, dass der überwiegende Teil der Wirtschaftstraftäter eine geringe oder keine Vorstrafenbelastung aufweist und im Hinblick auf das Spektrum verwirklichter Delikte weniger vielseitig ist als andere Straftäter. Außerdem ist das Einstiegsalter des Wirtschaftsstraftattäters in die Delinquenz höher, seine Bildung ist besser und allgemeine Verhaltensauffälligkeiten, wie zum Beispiel übertriebener Alkohol und Drogenkonsum, sind seltener. Aufgrund dieser und anderer Besonderheiten kann der überwiegende Teil der Wirtschaftsdelinquenz als Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit charakterisiert werden.”
Weiter heißt es dort zu Erklärung
“So bildet z.B. das in-adäquate Anspruchsniveau einen plausiblen Handlungsantrieb während die Existenz von Neutralisierungsstrategien es dem Handelnden ermöglicht, trotz der Interpretation einer Situation als günstige Gelegenheit, sein insgesamt nicht delinquenten Selbstbild aufrecht zu erhalten. Die Wertorientierung fungiert als Filter, durch den als mit den Werten grundsätzlich unvereinbare Verhaltensweisen zumindest nicht durchgeführt, gegebenenfalls auch schon überhaupt nicht ins Auge gefasst werden.”
Im Klartext bedeutet dies also, die Täter bauen sich ihre eigene Rechtfertigungswelt.
Ansonsten bin ich gespannt, welche Informationen zum Netzwerk von Madoff zu Vermögensverwaltern und Banken bekannt werden. Es dürfte ja mittlerweile klar sein, dass andere Finanzinstitutionen ihm sehr vermögenden Kunden zugeführt haben und dafür Provisionen kassiert haben. Ob diese gutgläubig waren oder tatsächlich Bescheid etwas hätten ahnen können, dürfte spannender als die Frage sein, wie viele Jahre Madoff in den Knast muss.
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