Wie Kinderhirne durch ihr Umfeld leiden können

by Dirk Elsner on 12. Juli 2009

Eigentlich erstaunlich, dass dieser Bericht über mehrere Studien von Hirnforschern, über die das Handelsblatt in der vergangenen Woche berichtete, nicht für mehr Aufregung sorgte. Aktuelle Untersuchungen zeigen nämlich: “Der Stress in sozial schwachen Familien wirkt sich auch auf die vorpubertäre Hirnentwicklung aus. Wie die soziale Herkunft Intelligenz und Leistungsfähigkeit von Kindern hemmt.”

OK, normalerweise kennen alle Eltern dieses Phänomen, wenn die eigenen Kinder Freunde unterschiedlichster sozialer Herkunft haben. Aber jetzt haben Hirnforscher genauer die Wirkungsweise in Kindergehirnen untersucht. So entdeckte eine Psychologengruppe, dass bei ärmeren Kindern der für die Aufmerksamkeit wichtige präfrontale Kortex tendenziell weniger aktiv war. Zur Erklärung Christian Wolf im Handelsblatt:

Normalerweise hilft der präfrontale Kortex, visuelle Reize besser zu verarbeiten. Besonders wenn es Neues zu entdecken gilt, ist er aktiv. Doch die sozial benachteiligten Kinder konnten die optischen Reize nicht angemessen verwerten. „Das ist insgesamt alarmierend. Diese Kinder sind nicht nur arm und haben mit größerer Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Probleme. Ihre Gehirne entwickeln sich offensichtlich nicht normal in ihrer vermutlich stressreichen und eher dürftigen Umgebung – einer Umgebung, in der Bücher, Spiele und Museumsbesuche Seltenheitswert haben“, so Knight. Kinder aus armen Familien hören beispielsweise in den ersten vier Lebensjahren ungefähr 30 Millionen Wörter weniger als die aus der Mittelklasse, erläutern die Wissenschaftler. “

Auf die Frage, über welche Wege Familien die Hirnentwicklung ihrer Kinder prägen, kommen Forscher mit folgender These: Unter anderem über Stress. “Je länger die Kinder ein Dasein unterhalb des Existenzminimums zugebracht hatten, desto stärker standen sie unter ständigem psychischem Druck. Die entbehrungsreiche Zeit schlug sich auch im Kurzzeitgedächtnis nieder, das unter anderem fürs Lesen und Problemlösen wichtig ist: Sie konnten sich weniger Informationen kurzfristig merken. „Manchem mag vielleicht nicht klar sein, wie viel mehr Stress ein Mensch mit niedrigem Einkommen erlebt. Es ist nicht nur die Belastung, die Miete zahlen und Essen auf den Tisch bringen zu müssen, sondern ebenso die Ungewissheit und das Gefühl, das eigene Leben nicht unter Kontrolle zu haben“, sagte dazu eine Forscherin.

Die psychische Dauerbelastung beeinträchtigt das Kurzzeitgedächtnis in der Form, dass die Nebennierenrinde in solchen Fällen das Stresshormon Cortisol ausschüttet, einen Botenstoff, der direkt ins Gehirn geht und das Ablesen von Genen beeinflussen und zu Zellveränderungen führen kann. Das wiederum kann den Hippocampus, dessen Nervenzellen degenerieren und sogar abgetötet werden können.

Allerdings klingt die Formel arm = Stress = schlechtere Hirnentwicklung = weniger Chancen doch zu klischeehaft, denn es gibt weitere Faktoren, die die geistige Entfaltung mitbestimmen. So kann mehr elterliche Zuneigung die Entwicklung des Hippocampus beeinflussen. Dies hat übrigens Martha Farah herausgefunden. Sie setzt sich zusammen mit anderen Wissenschaftlern ein für “Hirnpillen“ an Erwachsene, die ein jugendlich-frisches Gedächtnis wünschten, oder viel beschäftigten Angestellten, die ihre zahlreichen Verpflichtungen erfüllen müssten.

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