Ich weiß nicht, wie es anderen Beobachtern und Lesern geht, als sie heute die Nachrichten vom EU-Gipfel hörten, ich jedenfalls bin an diesem Urlaubstag trotz niedriger Erwartungen wieder einmal enttäuscht von dem, was die Politprofis in Brüssel abgeliefert haben.
Mich interessieren die PR-Blasen nicht, die die EU-Politiker in Brüssel nun aufsteigen lassen, sie feiern ja seit Jahren alle ihre Treffen und Vereinbarungen. Fest steht, dass 18 Monate nach Ausbruch der Schuldenkrise eine europäische Lösung immer noch weit entfernt ist und die EU damit die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllt hat. Was folgt ist nun endgültig ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Dokumentiert wird dies durch einen neuen zwischenstaatlichen Vertrag, dessen Entwurf erst im März 2012 vorliegen soll. Damit ist so gut wie keine konkrete Maßnahme auf diesem Gipfel beschlossen worden. Vorgelegt wurde nur erneut ein Fahrplan mit ein paar Rahmenbedingungen.
Der Gipfel „scheiterte“ am Gefangenendilemma nationaler Interessen. Mich erschreckt die mangelnde Einigungsfähigkeit der europäischen Politikelite. Besonders krass stößt auf, wie sich der britische Premierminister David Cameron zum Oberlobbyisten der englischen Finanzbranche aufgeschwungen hat und aus innenpolitischen Kalkülen eine gesamteuropäische Lösung verhindert hat. Cameron hat nach Angaben von Spiegel Online sogar angedroht, der geplanten neuen Fiskalunion aus der Euro-Gruppe und sechs weiteren EU-Staaten die Nutzung der EU-Institutionen zu verweigern.
Das Modell des Gefangenendilemmas (siehe im Detail Spieltheorie und das Gefangenendilemma) beschreibt am besten das Verhalten der politischen Machtelite Europas. Das Gefangenendilemma beschreibt bekanntlich eine Situationen, in der die Akteure eigentlich ein gemeinsames Interesse zur Zusammenarbeit haben sollten. Allerdings gibt es aufgrund der Anreizbedingungen grundlegende Interessenkonflikte. Diese verhindern die gemeinsame Besserstellung, weil man sich durch nicht kooperatives Verhalten einen Vorteil verspricht. Ich weiß nicht, welchen Vorteil Cameron aus der Blockadehaltung zieht, es dürften aber innenpolitische Gründe sein.
Wann genau nun dieser zwischenstaatliche Vertrag der Eurogruppe+ seine Wirksamkeit entfalten kann, ist vollkommen offen. Der Entwurf muss zunächst rechtlich wasserdicht ausverhandelt und dann ratifiziert werden. Das kann sich bis Ende 2012 hinziehen. Das ist ein sehr schwaches Signal.
Immerhin, die Finanzmärkte sind wohl noch pessimistischer gewesen. Bis zum Mittag zeigen sich DAX und Bund-Futures fester. Wie immer nach solchen Gipfeltreffen zerpflücken Ökonomen das Werk. Ich nehme das schon lange nicht mehr Ernst, weil dies zur medialen Begleitung gehört. Wegen der Uneinigkeit der Ökonomie brauchen Journalisten in der Regel nicht lange suchen, um prominente Kritiker von Entscheidungen zu finden.
Persönlich kann ich nach erster Sichtung mit den Inhalten (hier von der FTD zusammen gestellt) gut leben. Mich stört vor allem, dass diese Inhalte wieder einmal nur Absichtserklärungen sind und der Gipfel erneut Entscheidungen in die Zukunft verschiebt. Das beschlossene Gerüst wird, wenn überhaupt, frühestens Ende nächsten Jahres stehen. Solche Entscheidungszeiträume sind viel zu lang. Und mich nervt ausdrücklich die Begründung für die Sonderlocken der Briten, nämlich den Schutz der heimischen Finanzindustrie. Cameron hat sich für Europa disqualifiziert.
Volltext der Erklärung
Den Volltext der Erklärung als STATEMENT BY THE EURO AREA HEADS OF STATE OR GOVERNMENT gibt es hier als PDF-Download
Presseschau zum EU-Gipfel
HB: Medienberichte – Politiker zweifeln an EU-Verbleib Großbritanniens (10.12.11): Während viele Wissenschaftler die Pläne von Merkel und Sarkozy zerpflücken, schlagen manche Unternehmen andere Töne an. Europapolitiker scheinen sich einig: Sie könnten auch ohne Großbritannien auskommen.
HB: Reaktionen Ökonomen zerpflücken „Merkozys“ Rettungsplan (9.12.11): Mit ihren Euro-Beschlüssen hat die Politik wieder einmal den Befreiungsschlag verpasst. Ökonomen warnen bereits vor den Folgen einer weiter grassierenden Krise. Denn die Risiken wachsen – vor allem für Deutschland.
FTD: Ergebnisse des EU-Gipfels So sieht der Weg zur Fiskalunion aus: Der Rettungsschirm bleibt länger aufgespannt, Euro-Bonds sind vom Tisch, Schuldenstaaten müssen ein Stück ihrer Haushaltshoheit abtreten. Die Ergebnisse des Euro-Gipfels.
FAZ: Merkel und Sarkozy scheitern an den Briten: Ihr großes Ziel einer Änderung der EU-Verträge haben Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy verfehlt. Dennoch sind sie zufrieden, denn 17 Euroländer und sechs weitere EU-Staaten wollen sich zu verbindlicher Haushaltsdisziplin verpflichten.
HB: „Merkozy“ treiben Keil in Europa: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns: Merkel und Sarkozy peitschen ihre Euro-Pläne durch. Länder wie Großbritannien bleiben auf der Strecke. Der große Wurf ist damit passé. Und die Schrumpflösung birgt neue Risiken
Zeit: EU-GipfelEuro-Gruppe beschließt Alleingang: Die 17 Euro-Staaten schließen einen Sondervertrag für mehr Haushaltskontrolle, sechs weitere EU-Länder schließen sich an. Eine Lösung der 27 scheiterte an Großbritannien.
Beitrag wird im Lauf des Tages aktualisiert
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