Die Illusion des Verstehens

by Dirk Elsner on 7. Januar 2013

In unserem Neujahrsurlaub habe ich unter anderem Daniel Kahnemans “Schnelles Denken, langsames Denken” (hier zur Rezension der Süddeutschen) weiter gelesen. Ich hatte es bereits während de Sommerurlaub im Gepäck, dort aber wenig drin lesen können. Diesmal hatte ich mehr Zeit für die 622 Seiten, habe es allerdings nicht bis zum Ende geschafft.

Wenn ich den Titel Wirtschaftsbuch des Jahres 2012 vergeben könnte, dann an den israelisch-US-amerikanischen Psychologen und Wirtschafts-Nobelpreisträger. Insbesondere Kapitel 19, die Illusion des Verstehens, ist ein Muss für alle “Experten” und Welterklärer, die stets besser wissen, wie diese Welt funktioniert.

Er schreibt dort über die narrativen Verzerrungen*, die uns bereits in Talebs Schwarzen Schwan begegnet sind. Dabei geht es um fehlerhafte und unvollständige Geschichten vergangener und oft gerade passierter Ereignisse, die so konstruiert werden, dass sie im Nachhinein vollkommen plausibel erscheinen. Viele Berichte, etwa von Journalisten, Bloggern und Unternehmensberatern, vermitteln z.B. im Nachhinein genaues Wissen darüber, wieso ein Unternehmen (er macht das am Beispiel Google fest) erfolgreich war oder etwas aus ganz bestimmten Gründen genau so passieren musste. Sie geben somit den Lesern ein Gefühl dafür, selbst genau zu verstehen, was z.B. Unternehmen zum Erfolg führen. Leider spricht aus Sicht von Kahneman vieles dafür, dass wir einer Illusion unterliegen, wenn wir glauben, etwas verstanden zu haben.

Woran erkennt man das? Kahneman schlägt dafür einen Test vor:

“Der entscheidende Test für die Güte einer Erklärung ist die Frage, ob sie das Ereignis im Vorhinein vorhersagbar gemacht hätte. Keine Geschichte über Googles unwahrscheinlichen Erfolg wird diesen Test bestehen, weil keine Geschichte die zahllosen Ereignisse eibeziehen kann, die auch ein anderes Ergebnis hätte hervorbringen können. Das menschliche Gehirn beschäftigt sich nicht mit Nichtereignissen. Die Tatsache, dass viele der stattgefundenen wichtigen Ereignisse auf Entscheidungen beruhen, verleitet Sie noch stärker, die Rollen von Können und Geschick überzubewerten und den Anteil, den das Glück an dem Ergebnis hatte, zu unterschätzen. Weil jede maßgebliche Entscheidung positiv ausging, deutet die Geschichte auf ein beinahe makelloses Vorauswissen hin – aber Pech hätte jeden einzelnen der erfolgreichen Schritte zunichtemachen können. … Natürlich spielen Können und Geschicke eine große Rolle in der Erfolgsgeschichte von Google, aber Glück hatte in Wirklichkeit einen größeren Anteil daran, als in der Schilderung zum Ausdruck kommt.  Und je größer der Anteil des glück, umso weniger lässt sich aus der Geschichte lernen.”

Unsere Wahrnehmungsverzerrung führt Kahneman darauf zurück, dass wir stets versuchen, Ereignisse im Lichte unseres Wissens zu verstehen. Darin spielt für uns der Zufall, nicht erkannte bzw. unerklärbare Ereignisse nur eine untergeordnete Rolle. “Wir können einfach nicht anders, als mit den beschränkten Informationen, die wir besitzen, so zu verfahren, als wären sie alles, was man über das Thema wissen kann. Aus den uns verfügbaren Informationen konstruieren wir die bestmögliche Geschichte, und wenn es eine gute Geschichte ist, glauben wir sie.”

Kahneman kritisiert übrigens auch die Leute, die nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 “wussten, dass diese unvermeidlich war.” Bestenfalls könnten diese Personen sagen, sie haben geglaubt, dass es zu einer Krise kommen würde. Heute sagen wir nur, sie wussten es, weil sich die Krise tatsächlich ereignet hat. Er spricht von einer falschen Verwendung des Wortes “wissen”. Sie vermittelt den Eindruck, “die Erkennbarkeit der Welt sei größer, als sie es tatsächlich ist.” Das trage dazu bei, eine verderbliche Illusion aufrechtzuerhalten. “Der Kern dieser Illusion besteht darin, dass wir glauben, die Vergangenheit zu verstehen, woraus folgt, dass auch die Zukunft erkennbar sein sollte. In Wirklichkeit aber verstehen wir die Vergangenheit in geringerem Maße, als wir glauben.”

Das Buch ist ein wahres Füllhorn solcher Erkenntnisse. Diese sind zwar nicht neu, aber Kahneman fasst sie auf Basis seiner jahrelangen eigenen Forschung sehr gut lesbar zusammen und bettet sie in eine eigene Theorie über unser Denken und Handeln ein.

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* Neben den narrativen Verzerrungen spricht Taleb auch von „ludischen“ Verzerrungen. Damit ist gemeint, dass wir glauben, dass der strukturierte Zufall, wie er z.B.  in Glückspielen anzutreffen ist, dem unstrukturierten Zufall im Leben gleicht. Taleb hält selbst hochkomplexe Wahrscheinlichkeitsrechnungen für wissenschaftliche Spielchen und kritisiert die unreflektierte Anwendung von Modellen der modernen Wahrscheinlichkeitstheorie wie dem Random Walk.  Die wirklich großen Risiken werden damit gar nicht erfasst. Dennoch verlassen sich die Nerds unter uns genau auf solche Spielchen, wenn sie über Wahrscheinlichkeit nachdenken (sie auch get Abstract zu der Schwarze Schwan).

Dirk Elsner Januar 7, 2013 um 11:01 Uhr

Absolut richtig egghat
Kahnemann tobt sich übrigens richtig an Google. So wusste ich z.B. gar nicht, dass die Gründern Google bereits ein Jahr nach Gründung verkaufen wollten. Den Interessenten war allerdings der Preis damals zu hoch: 1 Mio. US$
Die Netzgeschichte wäre in jedem Fall anders verlaufen.

egghat Januar 7, 2013 um 08:41 Uhr

Glück und Zufall sind halt viel wichtiger als weithin angenommen.

Nimm google. Der Erfolg von google beruht ja nicht vorrangig darauf, dass sie beste Suchmaschine gebaut haben, sondern dass sie die beste Vermarktung hatten. Die über Suchwort-basierte Anzeigen, die jeder selber in einem Auktionsverfahren buchen kann. Jetzt zeige mir jemand denjenigen, der das am Anfang gesehen hat. A) dass diese geklaute Idee (google musste mal ne Mrd Strafe für die Patentverletzung zahlen (google hat nicht nur Android geklaut …)) auf einer Suchmaschine so grandios funktioniert und b) dass niemand schnell genug Google Konkurrenz macht. Dass google so groß werden konnte, liegt ja auch daran, dass die Konkurrenz so lange gepennt hat …

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