Ist das ein interessantes Buch über X-Events? John Castis Der plötzliche Kollaps von allem

by Dirk Elsner on 1. März 2013

Am Mittwoch stieß ich bei der Suche eher zufällig auf eine Rezension in der Badischen Zeitung über das Buch von John Casti: Der plötzliche Kollaps von allem: Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können. Ich habe das Buch bisher nur nicht bestellt, weil ich meinem Buchregal und auf meinem Tablet noch zu viele ungelesene Bücher habe. Der Text in der Badische Zeitung hat machten mich allerdings neugierig. Jürgen Schickinger schrieb

“Komplexität kann tödlich sein, wenn wir zulassen, dass sie außer Kontrolle gerät", warnt Casti in seinem Buch "Der plötzliche Kollaps von allem". Er versucht extreme Ereignisse zu ergründen, die selten sind und überraschend auftreten, aber gewaltige Auswirkungen haben. Casti nennt sie X-Events. Gutartige X-Events, etwa ein Durchbruch in der Medizin, vollziehen sich über Jahre. Die meisten bösartigen X-Events laufen schnell ab. Zu ihnen gehören Naturkatastrophen. Casti konzentriert sich aber auf solche, die vom Menschen teils unter Mitwirkung der Natur verursacht werden: Pandemien, Zusammenbrüche von Finanzmärkten, Strom-, Trinkwasser- und Ölversorgung.”

Das klingt natürlich nach Talebs Schwarzen Schwänen, der aber das Gefieder auch nicht erfunden hat, sondern nur wieder in unser Bewusstsein gebracht hat. Casti ist Professor für Operations Research und Systemtheorie am Institut für Ökonometrie, Operations Research und Systemtheorie an der Technischen Universität Wien und wurde lt. Wikipedia 1996 bekannt durch sein Werk "Die großen Fünf – Mathematische Theorien, die unser Jahrhundert prägten".

John Casti nutzt, so schreibt das Zukunftsinstitut, “Erkenntnisse der Systemtheorie, um sich der Wahrscheinlichkeit und Anatomie großer Katastrophen zu nähern. Unfälle oder einzelne Ereignisse sind nur Teil eines Ganzen. So kann ein einzelner Ausgangs-Event (11. September 2001) gigantische Auswirkungen und Folgen haben.

Im Zentrum von Castis Theorie steht die Diagnose wachsender Komplexitäts-Lücken. Ein vereinfachtes Beispiel: Funktioniert unser Immunsystem, bleiben wir gesund. Kommt es zu Störungen, werden wir krank. Wenn sich die Störung bis auf die DNA erstreckt, entsteht Krebs. Krebs ist somit der „X-Event” des Körpers. Bleiben die Systeme unserer Welt geordnet (synchron), dann befinden sie sich im Gleichgewicht. Es zeigt sich jedoch, dass steigende Komplexität zu mehr Spannungen zwischen den einzelnen Ebenen führt. Die steigende Interkonnektivität (globale Vernetzung) beispielsweise bietet zwar einerseits viele Annehmlichkeiten, Wahlmöglichkeiten und Chancen, anderseits macht sie den Weg frei für neue, unüberwindbare Schwächen im System (Urheberrechte, Cyberkriminalität, Mobbing).”

In einer Rezension auf Amazon schreibt ein Leser:

“Im Kern seiner Betrachtungen rekurriert Casti dabei auf die „aufgeblähte Komplexität“ des modernen Lebens und warnt vor dieser Komplexität, die, im Bild, immer noch ein paar zusätzliche Karten auf ein an sich bereits fragiles Kartenhaus setzen und damit die Risiken erhöhen. Das dabei „intelligente Roboter“ sich die Menschheit unterwerfen mag durchaus zu Recht an den äußersten Rand des Wahrscheinlichen verbannt werden (noch), dass aber Strom, Nahrung und Rohstoffe in beständiger hintergründiger Gefahr stehen, das ist real und wird von Casti in den inneren Zusammenhängen verständlich in der Tiefe dargestellt.”

Im Gegensatz zu Taleb, der überzeugt ist, dass sich Schwarze Schwäne nicht vorhersehen lassen, glaubt Casti, so schreibt Schickinger “lasse sich überschlagen, welche Sorte X-Events wahrscheinlicher eintrete als andere. Ihr Auftreten sei an einen gesellschaftlichen Hintergrund gebunden. Wer ihn und seine Schwankungen kennt, kann nach Casti zumindest abwägen, welche Katastrophe am ehesten droht.”

Castis Empfehlungen ähneln dann wieder denen von Taleb. Er will zum Schutz vor X-Events Systeme anpassungsfähig und robust machen. Schickinger ist in seiner Rezension enttäuscht von Castis Ratschläge und findet sie mager.

Rainer Zitelmann dagegen findet in einer Rezension auf empfohlene Wirtschaftsbücher Es ist jedoch keines der marktschreierischen Katastrophenbücher von Weltuntergangspropheten. Er findet es außerdem nicht so wirr und chaotisch geschrieben, wie Talebs Schwarzen Schwan (da stimme ich zu). Zitelmann fasst drei von 11 der von Casti beschriebenen X-Events zusammen, darunter auch

“Ein plötzliches, weltweites umfangreiches bzw. totales Versagen des Internets. „Vom Online-Banking über E-Mail und E-Books bis zu iPads und iPods und weiter bis zur Versorgung mit Elektrizität, Nahrungsmitteln, Wasser, Luft, Verkehrsmitteln und Kommunikation ist jedes einzelne Element des Lebens, wie wir es heute in den Industrieländern kennen, entscheidend abhängig von den Kommunikationsfunktionen, die das Internet zur Verfügung stellt. Fällt es aus, geschieht mit unserer Lebensweise das Gleiche.“ (S. 89) Nichts funktioniert dann mehr. Private und geschäftliche Finanztransaktionen kommen zum Erliegen. Denn ganz gleich, ob wir mit Kreditkarte, Scheck oder Banküberweisung zahlen, das Geld wird heute über das Internet bewegt. (S. 108 ff.) Der Einzelhandel bricht ebenfalls zusammen, weil sich heute alle Einzelhandelsgeschäfte automatischer, internetbasierter Warenwirtschaftssysteme bedienen. Auch der Flugverkehr würde sofort zusammenbrechen, alle Flughäfen müssten geschlossen werden. Gleiches gilt für die Stromversorgung. „Mögliche Ausfälle des Internets lassen sich ganz grob in zwei Kategorien einteilen: erstens systemische Ausfälle, verursacht durch die konstruktionsbedingten Begrenzungen der Internetstruktur selbst und durch Belastungen wegen der exponentiell zunehmenden Menge des Datenverkehrs, die das System bewältigen soll, und zweitens durch gezielte Angriffe auf das System durch Hacker, Terroristen oder andere, die das Internet als Geisel für ihre Wünsche und Ziele nehmen.“ (S. 112).”

Ich habe zwar durch die Lektüre ein neues Buzzwort gelernt, X-Event, aber so ganz überzeugt haben mich die gefundenen Ausführungen nicht. Was meint Ihr?

http://avantipappardellepasta.com/ April 2, 2013 um 15:18 Uhr

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Gierls März 1, 2013 um 08:41 Uhr

Ich habe das Buch ebenfalls nicht gelesen. Nach den hier zu lesenden Aussagen, scheinen mir aber Erwartungen bedient zu warten: „Böse“ X-Ereignisse kommen schnell und unerwartet, positive X-Ereignisse dagegen langsam. Eine solche Aussage ist genau das, was wir so gerne hören,schlechte Nachrichten verkaufen sich besser.
Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, warum dies so sein muss. Steckt hier nicht möglicherweise ein Erkenntnisproblem dahinter. Wenn man weit genug zurück geht und nach den „kleinsten“ Ausgangsereignissen (Flügelschlag des Schmetterlings) sucht, müsste derZeitverlauf in beiden Fälle gleich oder besser zufällig verteilt sein.

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