Ist das Modell Deutschland ein Modell für die nachlassende Wertschöpfung in Europa? (Teil 1)

by Udo Stähler on 23. April 2014

Ein Gastbeitrag von Udo Stähler*

Das Modell Deutschland hat einen kurvenreichen Weg hinter sich. Vom Rheinischen Kapitalismus über den kranken Mann, dann Dank der Agenda 2010 rasch vom rechten Pfad der globalisierten Deutschland AG zum ungeliebten Musterknaben in Europa. "Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen", freute sich Volker Kauder. Und die Tribüne warnt vor der Sozialkurve. Wofür steht das Modell Deutschland?

Nach Kauders Steilvorlage für Kritiker des deutschen Auftretens mahnte das Manager Magazin, dass Deutschland kein Vorbild für Europa sei. Nachdem nun das Wall Street Journal mit einer Neuauflage der „kranken Männer Europas“ – inklusiv Deutschland – Wasser in den Wein goss (Blick Log 12.03.2014) und sich Eric Bonse im Cicero Gedanken macht, warum das Modell Deutschland Europa gefährde, sollten wir die von Kauder auf den Punkt gebrachte Diskussion unter dem Blickwinkel betrachten, welche Handlungsempfehlungen sich aus der bisherigen und zu erwartenden Performance des Modell Deutschland für Europa ergeben. Die Aufforderung von Goerge Soros, das Deutschland in dieser Frage als „großzügiger Hegemon“ auftreten solle, habe ich übrigens vorauseilend am 12.03.2014 kommentiert. Ergänzend sagt der Economist, der 1999 den „kranken Mann Europas“ diagnostiziert hatte: "Die Frage ist nicht mehr, ob Deutschland Europa in eine bessere Zukunft führen kann – sondern ob es den Willen dazu hat". Wer das schon ältere Brüsseler Apercu kennt, dass ein Deutscher sofort am Bekenntnis zu Europa zu erkennen sei, denkt inzwischen mehr an die aktuelle deutsche Ernüchterung, denn an die ersten Hoffnungen von 1958 .

Die Geschichte Europas nach dem 2.Weltkrieg ist eine Geschichte der Friedenssicherung wie das Modell Deutschland ein Produkt der europäischen Integration ist. Das Modell Deutschland ist ein Kind Europas, doch Europa hat mit der Wiedervereinigung letztmalig darauf hinweisen können, unter welchem Tisch wir unsere Füße haben. Ich will nicht darüber räsonieren, ob der Preis für die Zustimmung Frankreichs zur deutschen Wiedervereinigung die Zustimmung Deutschlands zur Einführung des EURO − ohne politische Union − war, doch Deutschland hat den Maastrichter Verträgen − an die sich keiner hält − seinen Stempel aufgedrückt, so dass diese Frage überflüssig wird. Inzwischen steht das Modell Deutschland für Austeritätspolitik. Der investigative Journalist Jürgen Roth glaubt gar, in „Der stille Putsch“ erkannt zu haben „wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt”. Und Angela Merkel ist wegen Deutschlands wirtschaftlicher Stärke und seiner daraus folgenden politischen Einflussnahme in den südlichen Staaten des EURO weniger beliebt als Wilhelm II.

Meine Betrachtung des Modell Deutschland ist auch eine historische, da die ökonomischen Rahmenbedingungen zwar die grundlegenden, aber nicht die alles entscheidenden Eckpfeiler des Modell Deutschland sind. Die politische Entwicklung Deutschlands in Europa, seine wirtschaftliche Prosperität und die schon nach 1871 festgestellte „halbhegemoniale“ (Ludwig Dehio) Stellung gehören zum Modell Deutschland, wie die Kidney-Bohnen zum Chili-con-Carne. Der Historiker Andreas Rödder behauptet, dass eine wesentliche Wandlung im Staatsverständnis verantwortlich sei für eine Schwächung des Modell Deutschland. Als Zeugen, um den Bogen vom Wandel im veränderten Staatsverständnis zum dadurch gefährdeten Modell Deutschland zu ziehen, nimmt er Peter Glotz : „‘der Übermut eines Staates, der, über der Gesellschaft zu thronen schien‘, so bilanziert der sozialdemokratische Intellektuelle 1989 voller Genugtuung, ‘ist gebrochen; wahrlich ein deutsches Wunder. [. . .] Endlich einmal ist den Deutschen ein ziviler Staat gelungen [. . .]; wir mußten das große Tier zähmen. Es ist uns gelungen.‘ “ Den in Wirtschaftsfragen liberalen Glotz stellt Rödder in einen Zusammenhang mit der sich bildenden Versorgungsmentalität, dem Beelzebub des Modell Deutschland.

Der Staat sei von einer autonomen Autorität zur Aushandlungsagentur zwischen den gesellschaftlichen Interessen und zum „Generalagenten der Lebenszufriedenheit“ der Bürger „mit nahezu allumfassender Zuständigkeit“ (Anette Zimmer) geworden. Der vollständige Glotz, der in einem fiktiven Brief eine Arbeitsteilung zwischen wirtschaftlicher und politischer Elite im Auge hatte, wäre gewesen: „Gott sei Dank, daß wir die Weizsäckers haben; ein einziges Brüderpaar ersetzt eine ganze Elite. Endlich einmal ist den Deutschen ein ziviler Staat gelungen, … Der Handlungsspielraum von Politik und Verwaltung ist geringer geworden; mag sein, daß ein paar der stärkeren Naturen aus Eurer Generation eher an die Spitze von BMW streben als an die Spitze des Staates. Aber nach Hitler blieb uns keine Wahl; wir mußten das große Tier zähmen. Es ist uns gelungen.“

Hat die Agenda 2010 die Rückkehr des Modell Deutschland mit seinen bewährten Eckpfeilern in den Kreis wettbewerbsfähiger Volkswirtschaften vorbereitet? Diese deutsche Antwort auf die strukturellen Krisen seit 1973 in Europa sollte ein Gegenentwurf zu Reagonomics und Thatcherismus sein. Das reformierte Modell Deutschland lieferte mit der Agenda 2010 sowohl eine Erfolgsgeschichte als auch eine Verfallsdiagnose. Bereits Ende 2010 diskutierten die Teilnehmer der 2. Tendenzwende-Konferenz der FAZ, ob das Modell Deutschland zurückgekehrt sei. Von der Anpassungsleistung und Flexibilität des Sozialstaats war die Rede, von den wieder äußerst positiven Rahmenbedingungen, die sich in einer Reindustrialisierung ausdrückten und in der realistischer werdenden Vorstellung von Vollbeschäftigung. In der Tat hat das Modell Deutschland gezeigt, wie die Realwirtschaft der Finanzkrise trotzen kann. Der Stolz über den Erfolg hat jedoch den Blick getrübt zunächst für die Architektur des sozialpolitischen Gebälkes als einer der drei Eckpfeiler des Modell Deutschland und anschließend für den Zusammenhang von Investitionen und Wachstum. Völlig unbeachtet blieben die Bedingungen für eine Wertschöpfung bei weiterhin unzureichender Regulierung des Kapitalmarktes.

Auf einer Konferenz, die den deutschen Beitrag für eine europäische Wertschöpfungskette untersuchte, nannte Herbert Kerber vom BDI drei Erfolgsfaktoren für das deutsche Geschäftsmodell. Die Verbindung von ökonomischer Leistungskraft und sozialer Integration ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite erkenne ich fehlende Ernsthaftigkeit bei der Pflege von Wertschöpfung, Innovation und Sozialpartnerschaft:

1. Die internationale Ausrichtung des Vertriebs- und Produktionsnetzes, dem ersten Eckpfeiler des Modell Deutschland, macht die zahlreichen oftmals mittelständischen Unternehmen zu global auftretenden Wettbewerbern kapitalmarktfähiger Großunternehmen. Beim Wandel vom rheinischen Kapitalismus zur Globalisierung klopfte das trojanische Pferd des Shareholder Value bei den mittelständisch geführten Unternehmen an die Werkstore.

2. Über die zukünftigen Grundlagen des Modell Deutschland mache ich mir Sorgen, da Deutschland bei der Innovationsstärke zurückfällt; es beruhigt mich nicht, dass wir noch Europas Marktführer bei den Hidden Champions sind.

3. Der dritte Eckpfeiler ist die Sozialpartnerschaft, die im Kontext von Sozialpakt, Konzertierter Aktion und Bündnis für Arbeit eine Form der bewährten korporatistischen Wirtschaftspolitik ist. Ein Blick auf die zurückliegenden und aktuellen Auseinandersetzungen zeigt, dass die Einbeziehung aller policy stakeholders (Birger Pridat 2006) nicht mehr gelingen will.

Teil 2: Die Fortentwicklung des Modell Deutschland verlangt eine Rückbesinnung auf seine europäischen Wurzeln und seine drei Eckpeiler.

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*) Udo Stähler ist Diplom Volkswirt und Interim Manager. Er war über 25 Jahre in leitenden Funktionen im Firmen- und gewerblichen Immobilienkundengeschäft von Bankkonzernen tätig.

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