Die traumhafte Welt des Luxus

by Karl-Heinz Thielmann on 16. Juni 2014

Eines der bemerkenswertesten Phänomene der letzten 20 Jahre ist der Aufstieg des Luxusgütersektors zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftszweige der Welt. Weit überdurchschnittliches Wachstum in Aufschwungphasen, nur geringe Anfälligkeit in Krisenzeiten sowie eine außerordentlich hohe Profitabilität zeichnen diesen Bereich aus. Der Erfolg spiegelt sich z. B. in der Performance des Dow Jones Luxury Total Return Index wider, der seit seinem Start im 31. Dezember 2005 einen Zuwachs von über 130% zeigte.

Für die hervorragende Entwicklung des Luxussegments wird zumeist der Aufstieg der Schwellenländer in den vergangenen Jahren verantwortlich gemacht. Das Entstehen neuer wohlhabender Funktionseliten habe die Nachfrage nach Luxusgütern überdurchschnittlich angeregt.

Diese Begründung ist zwar nicht falsch, aber doch zu oberflächlich. Zwar spielen die aufstrebenden Schwellenländer wie China oder Russland eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Nachfrageanstieg nach Luxusprodukten. Andererseits ist der Trend zu Luxusgütern ein globales Phänomen in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Kulturen. Insbesondere zeigt die Erfahrung in Japan, das sich in den vergangenen Jahren trotz stagnierender Wirtschaft als einer der Hauptmärkte für Luxusgüter etabliert hat, dass hinter dem Trend zum Luxus mehr stecken muss als nur regional hohes Wirtschaftswachstum.

Das Wort „Luxus“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Üppigkeit“ bzw. „Ausschweifung“. Luxusgüter sind Produkte, die nicht dazu dienen, materielle Grundbedürfnisse zu befriedigen. Sie sind unnötig, wir wollen sie aber trotzdem gerne haben, um bestimmten Neigungen oder Eitelkeiten zu folgen. Sie sind kein neues Phänomen, ganz im Gegenteil. In grauer Vorzeit gehörten sie zu den allerersten Waren, die über größere Distanzen gehandelt wurden. Sehr lange war der Zugang zu Luxusgütern vor allem ein Herrschaftsprivileg. Nur Adelige und reiche Kaufleute hatten die Möglichkeit zum Besitz von repräsentativen Bauten, Kunsthandwerk, schönen Kleidern und edlen Speisen. Der Konsum von Luxus diente insbesondere dem Adel als Machtdemonstration, wovon heute noch viele prachtvolle Schlösser aus den Zeiten des Barock oder der Renaissance zeugen.

Parallel zur steigenden Prachtentfaltung entwickelte sich bei vielen Menschen aber auch eine tiefsitzende Zurückweisung des Luxus. Diese war einerseits religiös geprägt. Denn Luxus wurde als Ausdruck eines weltlichen, am Genuss orientierten Lebensstils empfunden, der in tiefen Widerspruch zu den Grundwerten stand, die den entstehenden Protestantismus prägten. Puritanismus, Calvinismus und andere Denkrichtungen bildeten sich, die Luxus zutiefst ablehnten. Gerade die Luxusfeinde wurden zu den Haupttriebkräften der industriellen Revolution und des wirtschaftlichen Fortschritts. Motiviert durch ihre „protestantische Leistungsethik“ (so der Begriff, den Max Weber prägte), erwirtschafteten sie Überschusskapital, das nicht in repräsentativen Konsum, sondern in Investments und damit in die Bildung eines volkswirtschaftlichen Kapitalstocks floss.

Des Weiteren war die Ablehnung von Luxus eine Reaktion darauf, dass es zwischen den Adelsfamilien im 17. und 18. Jahrhundert zu einer Art Wettrüsten darum kam, wer die prachtvollste Hofhaltung führte. Im vorindustriellen Zeitalter – als die Volkseinkommen noch nicht durch Produktivitätsfortschritte kontinuierlich gesteigert werden konnten – führte der steigende Finanzbedarf durch die Prunksucht von Fürsten zu einer immer stärkeren Ausbeutung und Verelendung der breiten Bevölkerung. Revolutionen wie in Frankreich 1789 waren die Folge.

Die traditionelle Ansicht, dass Luxus als sündig abzulehnen ist bzw. in direkter Verbindung mit Ausbeutung steht, prägte speziell das nordeuropäische Denken bis vor wenigen Jahren. All zu offensichtlicher Luxus galt als unfein und wurde, wenn überhaupt, eher im Verborgenen mit einem leicht schlechten Gewissen genossen. Seit einigen Jahrzehnten ist jedoch in den nordeuropäisch geprägten Ländern ein Wertewandel spürbar; in Asien spielte die protestantische Leistungsethik noch nie eine große Rolle. Die Möglichkeit, Luxusgüter zu konsumieren, wird immer mehr als Belohnung für Erfolg in unserer Leistungsgesellschaft empfunden. Und weil inzwischen Waren für den Grundbedarf in einigermaßen guten Qualitäten zu geringen Preisen allgemein verfügbar sind, kann nur noch schwerlich argumentiert werden, dass man mit dem Konsum von Luxusgütern anderen etwas wegnimmt. Zudem hat gerade die die massenweise Verfügbarkeit von vielen Waren das Bedürfnis gesteigert, für sich selbst etwas wirklich Besonderes und Herausragendes zu wollen.

Die Nachfrage nach Luxusgütern resultiert ebenfalls aus dem Bedürfnis, sich von anderen Menschen abzusetzen. Nicht wenige haben das Gefühl, selbst etwas Besonderes zu sein, nur weil sie sich etwas Exklusives leisten können. Luxuswaren werden deshalb immer stärker auch als sog. „Positionsgüter“ nachgefragt. Dies sind Produkte, die vor allem deshalb gekauft werden, weil sie einen bestimmten sozialen Status ausdrücken. Gerade soziale Aufsteiger schmücken sich gerne mit Luxusgütern, die ihre gestiegene gesellschaftliche Bedeutung nach außen dokumentieren.

Dieses Bedürfnis, etwas Besonderes zu besitzen oder selbst besonders zu sein sowie dies im Konsumverhalten zu manifestieren, sind bei jedem Luxuskäufer unterschiedlich stark ausgeprägt. Sie hängen aber eng miteinander zusammen, da sie letztlich beide Konsequenzen aus dem Streben weg von der Massengesellschaft sind. Dieser kann man in einer Welt mit 7,2 Mrd. Bewohnern und zunehmender Verflechtung immer schlechter ausweichen. Die Nachfrage nach Luxusgütern steigt auch deshalb so stark, weil ihr Konsum zum Bestimmungsfaktor eines individuellen „Lifestyles“ von Wohlhabenden geworden ist.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Siegeszug der Luxusgüterindustrie dürfte ebenfalls die Professionalisierung der Produzentenseite gespielt haben. Typischer Ursprung einer Luxusmarke sind Ingenieure, Designer, Hoteliers, Uhrmacher oder Köche, deren Liebe zu ihrem Handwerk sie dazu trieb, ihren Kunden Produkte mit herausragender Qualität anzubieten. Dabei haben die Macher nicht selten kurzlebige Markttrends ignoriert und das gemacht, was sie persönlich als richtig erachteten. Luxusmarken haben sich zumeist über Jahrzehnte und manchmal auch über Jahrhunderte ihren Ruf mühevoll aufgebaut.

Deshalb ist es sehr schwierig, eine erfolgreiche Luxusmarke künstlich zu kreieren. Hinter jeder steckt eine Geschichte, die in einer außergewöhnlich kreativen und qualitätsbewussten „Macher-Persönlichkeit“ ihren Ausgangspunkt hat. Der erfolgreiche Ursprung kann aber irgendwann einmal zu einem Problem werden: Geniale Produktmacher sind nur manchmal gute Verkäufer und eher gelegentlich brauchbare Betriebswirte. Noch seltener haben sie kongeniale Erben.

Speziell die effiziente Organisation von Produktionsprozessen war oft ein kritischer Faktor und hat nicht selten dazu geführt, dass zwischenzeitlich erfolgreiche Luxusmarken an ihrem eigenen Wachstum gescheitert sind. Luxusprodukte werden noch oft in aufwendiger Handarbeit hergestellt, nicht zuletzt um sich von der industriellen Massenproduktion abzusetzen. Hiermit machen sich Produzenten abhängig von sehr teurer, hoch qualifizierter Arbeit, womit sie dann zu unflexibel werden können, um sich an Marktänderungen anzupassen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich dieses jedoch grundlegend gewandelt. Luxus ist von der Domäne kleiner Familienunternehmen zum Spielfeld spezialisierter Konzerne geworden. Diese basieren i.d.R. auf erfolgreichen Anbietern von Luxusprodukten, die irgendwann begonnen haben, ihre Managementmethoden zu professionalisieren. In der Folge haben sie dann immer mehr mittlere und kleine Luxusanbieter erworben und dort die Effizienz gesteigert. Schlüsselfaktor hierbei war immer, die Markenidentität möglichst unangetastet zu lassen, den Vertrieb zu internationalisieren und vor allem Kostenvorteile in der Produktion zu nutzen, ohne die Produktqualität zu opfern.

Vorbild für das Geschäftsmodell ist das französische Konglomerat LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton S.A., das aus 60 Marken besteht und weltweit über 3.000 Geschäfte hat. Es entstand 1987 aus den Traditionsunternehmen Louis Vuitton (gegr. 1854), Moët et Chandon (gegr. 1743) sowie Hennessy (gegr. 1765) und expandierte seitdem in so unterschiedlichen Bereichen wie Lederwaren, Champagner, Cognac, Parfüm & Kosmetika, Uhren & Schmuck, Medien oder Duty Free Shopping.

Inzwischen gibt es eine Reihe von anderen Firmen, die erfolgreich ein ähnliches Geschäftsmodell adaptiert haben. Es gibt aber auch zahlreiche spektakuläre Misserfolge, die zeigen, dass das Luxusgütergeschäft alles andere als einfach ist. Denn Luxus-Käufer haben sehr unregelmäßige Konsummuster. Perioden starker Nachfrage können von zwischenzeitlichen Durststrecken unterbrochen werden, die man mit einem soliden Finanzpolster überstehen muss.

Die erfolgreiche Vermarktung von Luxusgütern ist ein Balanceakt. Einerseits muss die relevante Zielgruppe so angesprochen werden, damit sie Preise zahlt, die weit über die Herstellungskosten hinausgehen, aber trotzdem nicht exzessiv wirken. Zum anderen muss „Exklusivität“ garantiert werden, d. h., es dürfen nicht die falschen Leute das Produkt kaufen und damit die Zielkundschaft verschrecken. Vor allem muss beim Kunden der Eindruck aufrechterhalten werden, dass er ein authentisches und hochwertiges Handwerksprodukt kauft, obwohl es längst weitgehend aus standardisierten Bestandteilen besteht. Burberrys in den 90ern und Gucci in den 80ern scheiterten fast, weil eine zu aggressive Expansion ihre Marken zu verwässern drohte. Sie mussten sich danach den Ruf als Anbieter hochwertiger Produkte mühsam wiederherstellen. Produktinnovationen dürfen nur sehr zaghaft vorgenommen werden, um den Markenkern nicht zu beschädigen. Andererseits darf man auf sie nicht verzichten, damit die Produkte nicht irgendwann altmodisch erscheinen. Beispiele für den Niedergang von an Beliebtheit verlierenden Luxus-Traditionsmarken sind die auf Lederwaren spezialisierte deutsche EganaGoldpfeil-Gruppe (Insolvenz 2008) sowie die für hochwertige Keramik bekannte irische Firma Waterford Wedgeford (Insolvenz 2009).

Das Marketing von Luxusgütern spricht vor allem Emotionen an, aber auf andere Art wie bei normalen Konsumprodukten. Deshalb tun sich die großen Konsumgüterkonzerne in diesem Segment extrem schwer. Ein lukratives Oligopol aus einigen diversifizierten „Marken-Managern“ wie LVMH, Richemont und Kering hat sich gebildet. Hinzu kommen einige spezialisiertere Firmen wie Hermès International oder Luxottica. Ihr Hauptproblem ist im Moment, dass ihnen langsam die Akquisitionsobjekte ausgehen, d. h. originäre Luxusmarken, die im Rahmen ihrer mittelständischen Strukturen an die Grenzen der Vermarktbarkeit oder von Managementkapazitäten gekommen sind. Vielleicht wird dann in Zukunft aber mehr von dem enormen freien Cashflow, den diese Unternehmen generieren, an die freien Aktionäre wiedergegeben.

Im Moment spricht wenig gegen eine weitere Expansion des Luxussektors. Das weltweit feststellbare überproportionale Wachstum hoher Einkommen begünstigt gerade die potenziellen Kunden von Luxuswaren. Zudem ist paradoxerweise bei den Luxuskäufern immer stärker ein Herdentrieb im Konsumverhalten festzustellen. Sie suchen Individualität und Exklusivität zunehmend in den gleichen Shopping-Malls, in denselben Wohngegenden und mit sehr mit ähnlichen Produkten. Dies erleichtert das Marketing ungemein. Dass sich in den Schwellenländern zunehmend soziale Aufsteiger durch standardisierten Luxuskonsum in ihren Sozialstatus mental bestätigen lassen, tut ein Übriges dazu.

Originärer Schönheitsfehler einer Branche, die Verschwendung als als Unternehmenszweck hat, ist allerdings eine mangelnde Sensibilität bezüglich Umweltfragen. Mit Ausnahme des Branchenriesen LVMH kommen die großen Luxusfirmen deswegen in Nachhaltigkeitsrankings zumeist relativ schlecht weg. Auch wenn „nachhaltiger Luxus“ in gewisser Weise ein Widerspruch in sich ist, so müssen sich die Anbieter dem Thema stellen, sonst droht langfristig wieder ein Akzeptanzproblem.

Selbst wenn der Luxusgüter-Sektor letztlich nichts anderes als schöne Illusionen verkauft, so scheint er doch damit in den nächsten Jahren weiterhin auf der Siegerstraße. Denn hinter seinem Erfolg steht ein Wertewandel weg von der protestantischen Leistungsethik hin zu mehr status- und genussorientierten Lebensstilen. Dies mag der eine oder andere Leser mit gemischten Gefühlen sehen, letztlich bleibt es jedem selbst überlassen, ob er sich auf das Spiel der Luxusgütermarken mit Emotionen und ihre hohen Preise einlässt.

Dieser Beitrag erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 26 vom 2. Juni 2014.

Comments on this entry are closed.

Previous post:

Next post: