Macht es Sinn Unternehmen wie eine Familie zu betrachten?

by Dirk Elsner on 30. Juni 2014

Kürzlich lass ich den Beitrag von Reid Hoffman, Ben Casnocha und Chris Yeh im Blog der Harvard Business Review Your Company Is Not a Family. Darin befassen sie sich damit, dass viele Unternehmer und CEOs die Mitarbeiter ihres Unternehmens wie eine Familie behandeln wollen, dies aber aus Sicht der Autoren nicht sinnvoll ist. 

Hoffmann, Casnocha und Yeh weisen auf einige wichtige Unterschiede hin. In einer Familie könne man seine Kinder nicht feuern, wenn sie keinen guten “Job” gemacht haben. Freilich übersehen die Autoren, dass sich vor allem deutsche Mittelständler sehr schwer tun mit Entlassungen. Ich habe das selbst in einigen Unternehmen erlebt, für die ich gearbeitet habe bzw. die ich beraten habe. Als ein Unternehmen während der Finanzkrise große Absatzeinbußen erlitt, wollte der Unternehmer um jeden Preis Entlassungen vermeiden. Er war eher bereit sein eigenes Vermögen aufs Spiel zu setzen, als einen verdienten Mitarbeiter auf die Straße zu setzen.

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In einem anderen Fall kam das Unternehmen nicht mehr um Entlassungen herum, weil die Liquidität ausging und der Hauptgesellschafter bereits alle verfügbaren Mittel in sein Unternehmen gesteckt hatte. Über befreundete Geschäftspartner und das erweiterte Netzwerk gelang es ohne Outplacement- und Personalberatungen alle Mitarbeiter, die man entlassen musste, zu nahezu gleichen Konditionen einen neuen Job zu verschaffen. 

Solche Fälle findet man eher im Mittelstand und nicht bei großen Unternehmen. Hier werden Sprüche, man sei wie eine Familie, eher als durchschaubare Motivationsrhetorik angesehen. Die Mitarbeiter spüren meist die Unterschiede und wissen, dass man sich in Großunternehmen nicht auf diese Form der Küchenmotivation verlassen kann. Und tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass der Anteil der Mitarbeiter mit hoher Loyalität und Engagement in mittelständischen  Unternehmen deutlich höher ist als in großen Konzernen (siehe Mitarbeiterbindung im Mittelstand Teil 2).

Aber macht es deswegen Sinn, Unternehmen wie eine Familie zu betrachten? Hoffmann, Casnocha und Yeh machen noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam. Im Gegensatz zu einem Unternehmen oder einer Sportmannschaft, haben Familien kein eigenständiges Ziel oder eine Mission. Außerdem ändere sich die Zusammensetzung von Teams im Zeitablauf. Ob diese Differenzierung aber alle Mitarbeiter glücklich macht, sei einmal dahin gestellt, denn im Sport werden die Spieler, die nicht (mehr) in die Mannschaft passen, fix aussortiert und verkauft. Genau davor fürchten sich viele Mitarbeiter in Unternehmen.

Hoffmann, Casnocha und Yehs Einschätzungen gelten für große Unternehmen, in denen der Haupteigentümer keine Rolle mehr im Tagegeschäft spielt. Für den deutschen Mittelstand und selbst für große Familienunternehmen wie Oetker in Bielefeld gilt das nicht. Der Oetker-Konzern in Bielefeld, wo ich wohne, hat bei den Arbeitnehmern einen so ausgezeichneten Ruf, dass, so wird hier erzählt, kaum jemand das Unternehmen verlassen wolle. Spricht man mit Menschen, die für Oetker arbeiten, dann klingt dies tatsächlich eher nach Familie.

Ob die Familienbindung nun der entscheidende Erfolgsfaktor für ein Unternehmen ist, sei einmal dahin gestellt. Der Unternehmenserfolg ist bekanntlich von sehr vielen bekannten und unbekannten Faktoren und oft auch von Zufällen abhängig. Aber der Kampf um junge Mitarbeiter und überhaupt um die Besetzung freier Stellen mit qualifiziertem Personal ist in Deutschland längst in vollem Gang (siehe dazu aber “Der Kampf um die Talente: Mythos und Paradoxien”).  Das Ringen um die begehrten Kräfte gewinne an Brisanz, schrieben die Autoren in “Mitarbeiterbindung im Mittelstand (Teil 1)”: “Es sind doch besonders die in der breiten Öffentlichkeit bekannten Unternehmen, die am Arbeitsmarkt eine hohe Anziehungskraft ausüben.”

Aus meiner Sicht haben mittelständische Unternehmen aber eine große Chance, weil sie die für Menschen notwendigen Gruppenzugehörigkeit viel besser fördern, als Großunternehmen. In Konzernen dominiert eher ein überholtes ökonomisches Bild, nämlich das vom “individuellen Nutzenmaximierer”. Dass das Bild vom rational und nur auf seine persönlichen Interessen handelnden Homo Oeconomicus ausgedient hat, bestätigt der bekannte Biologe Edward O. Wilson. Er hat sich in seinem herausragendem und auch in ökonomische Fragestellungen hineinreichendem Werk “Die soziale Eroberung der Erde” damit beschäftigt hat, was uns Menschen ausmacht und antreibt. Wilsons sagt nicht, dass Egoismus keine Rolle in der Evolution und im Verhalten des Menschen spielt. Er widerspricht aber der These vom Individuum als der einzigen im Evolutionsprozess relevanten “Einheit”. Er ist prominenter Vertreter einer Richtung, “dass es in der Evolution auch Gruppen sein können, die sich gemeinsam, also unegoistisch kooperierend, durch das Gestrüpp der Umwelten schlagen (vgl. Cord Riechelmann, Dem Menschen kein Wolf, Cicero Online vom 11. April 2013).

Nach Wilson sind Menschen in sozialen Netzwerken verwoben und von Kindesbeinen dazu veranlagt, Intentionen anderer Menschen zu lesen und zu kooperieren, wenn sich gemeinsame Interessen abzeichnen. Für Wilson ist die soziale Kooperation und Kommunikation ein zentraler Baustein für den “Erfolg” des Menschen. Mann kann es auch anders ausdrücken. Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen hat einen starken Einfluss auf das menschliche und auch ökonomische Verhalten. Und diese Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wird in mittelständischen oder Familienunternehmen eher gefördert als in funktional-rational  programmierten Großunternehmen.


Dieser Beitrag habe ich ursprünglich für die CFOWorld erstellt.

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